Antikapitalisten sorgen in Katalonien für Ordnung

Vidal Aragonés von der linksradikalen CUP über ihre surreale Vermittlung bei der Regierungsbildung im Unabhängigkeitslager

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Diesen Freitag wird Pere Aragonès von der sozialdemokratischen Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) auch mit den Stimmen der linksradikalen CUP zum neuen Präsidenten Kataloniens gewählt. Wieso hat es drei Monate gedauert, bis sich die ERC und die konservative »Junts per Catalunya« (Gemeinsam für Katalonien/Junts) auf eine Koalition geeinigt haben?

Es ging weniger um politische Differenzen, sondern darum, wie man dieses Autonomiegebiet Katalonien verwaltet, wer mehr vom Haushalt verantwortet. Andere Fragen erschienen uns eher untergeordnet, wie die Rolle des Republikrats von Carles Puigdemont (im Exil in Belgien, d. Red.) oder ob man eine gemeinsame Linie im spanischen Parlament in Madrid fährt.

Die zivile Katalanische Nationalversammlung (ANC) hatte auf einer Großkundgebung am Sonntag mit dem Bruch gedroht, sollten es keine Regierung geben, welche das Unabhängigkeitslager vertritt. Welche Bedeutung kam der Mobilisierung der Basis zu, um Neuwahlen abzuwenden?

Interview

Vidal Aragonés saß für die antikapitalistischen CUP bis 2021 im Parlament von Katalonien. Da CUP-Parlamentarier nur eine Legislatur ein Amt bekleiden dürfen, arbeitet der aus der Arbeiterstadt Cornellá de Llobregat kommende Jurist nun wieder als Professor an der Autonomen Universität in Barcelona und als Arbeitsrechtler im Anwaltskollektiv Ronda. Über die Regierungsbildung sprach mit ihm für »nd« Ralf Streck.

Die Bewegung war praktisch einstimmig dafür, dass es diese Regierung geben muss. Die Mobilisierung der Straße kam spät, als fast feststand, dass es eine ERC-Junts-Regierung geben würde. Junts hat taktiert, wenn man sich die Verteilung der Ministerien anschaut, dann hat der Wahlsieger ERC nicht das entsprechende Gewicht erhalten. War eine Mobilisierung in anderen Momenten entscheidend, war es sie in diesem Fall nicht.

Ist es nicht merkwürdig, dass die linksradikale CUP zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten vermitteln musste?

Das ist surrealistisch, dass wir als Antikapitalisten Ordnung schaffen mussten. Das ist aber ein Teil der komplexen Situation in einem Prozess zur Befreiung Kataloniens. Man muss, um die Politik und die Dynamik der CUP zu verstehen, zwei Sachen klar haben: Wir treten gleichberechtigt für die nationale und die soziale Befreiung und den Sozialismus ein. Im nationalen Aufbau ist unsere Rolle nun die, eine Regierung von Unabhängigkeitsparteien zu ermöglichen, um Neuwahlen zu verhindern.

Was konnte die CUP durchsetzen? Blieb das Abkommen zwischen CUP und ERC unangetastet, dass es einen Linksschwenk geben soll, ein Grundeinkommen, einen Rettungsplan für einfache Leute, Abschaffung der Hartschaum-Geschosse bei der Polizei …?

Wir haben nur ein Abkommen mit der ERC. Das besteht weiterhin. Eine andere Sache ist, dass im Pakt zwischen ERC und Junts Teile fehlen, die wir mit der ERC vereinbart haben. Es war klar, dass Junts nicht alles mittragen würde. Man braucht aber eine absolute Mehrheit im Parlament. Was umgesetzt wird, hängt aber nicht davon ab, was Junts will, sondern von der Mobilisierung der Straße.

Welche Rolle wird Puigdemont spielen? Die ERC hatte die Frage des Republikrats ziemlich hochgespielt und von »Kontrolle aus Brüssel« gesprochen.

Puigdemont wird die gleiche Rolle wie bisher spielen, da er verschiedene politische Strömungen der Bewegung repräsentiert. Das ist eine Realität. Er macht als Exilpräsident Vorschläge, doch er bestimmt nicht die Tagespolitik. Wer glaubt, dass er bald keine Rolle mehr spielen wird, irrt sich. Wer meint, dass entscheidende Vorstöße aus dem Republikrat kommen, irrt sich auch.

Was erwarten Sie von dieser Regierung, in der die beiden Protagonisten sehr verschiedene Vorstellungen haben? Die ERC stützt in Madrid den Sozialdemokraten Pedro Sánchez, erreicht dafür kaum etwas, während die CUP dort in klarer Opposition mit Junts in einem Boot sitzt.

Wir haben wenig Hoffnungen, aber wir können nicht ständig wählen. Es besteht die Gefahr, dass sich Leute abwenden und die Bewegung und die Linke an Kraft verlieren. Wir wollen in Richtung Unabhängigkeit und in der sozialen Frage vorankommen. Wir werden Druck machen. Wenn wir sehen, dass nur eine Autonomie gemanagt werden soll und soziale Verbesserungen nicht umgesetzt werden, werden wir harte Oppositionspolitik machen, im Parlament und auf der Straße.

Wäre nicht auch eine Linksregierung mit spanischen Sozialdemokraten, dem PSOE-Ableger PSC, und dem Podemos-Ableger En Comú möglich gewesen?

Eine Regierung aus Sozialdemokraten, ERC und En Comú war unmöglich, da PSC und ERC sie abgelehnt haben. Wir sollten nicht vergessen, dass die PSC hinter der brutalen Repression hier steht und noch rechts von der SPD positioniert ist. Wir können sie deshalb nicht unterstützen. En Comú regiert dagegen in Spanien mit. Trotz aller Versprechungen wurden weder die Arbeitsmarktreformen, noch repressive Gesetze wie das Maulkorbgesetz gestrichen oder Antworten auf die dramatische Wohnungsfrage gegeben. Wir würden mit ihnen etwas Gemeinsames aufbauen, doch wenn ihr Projekt mit dem der PSOE verbunden ist und sie an der Regierung alle Forderungen aufgeben, geht das nicht.

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