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Assad vor Wiederwahl
Die USA und die EU sowie verschiedene oppositionelle Gruppen kritisieren die Präsidentschaftswahl in Syrien
51 Personen hatten sich um das höchste Amt in Syrien beworben, unter ihnen waren erstmals auch Frauen. Das Verfassungsgericht ließ schließlich drei der Kandidaten zu den Wahlen zu. Landesweit wurden 12 000 Wahlzentren eingerichtet. 14 Staaten haben auf Einladung des syrischen Parlaments Delegationen zur Wahlbeobachtung entsandt.
Neben Amtsinhaber Baschar Al-Assad, der von der Baath-Partei nominiert wurde und dem allein schon wegen seiner Prominenz die besten Chancen zugerechnet werden, tritt der wenig bekannte Politiker Abdallah Saloum Abdallah von der linksgerichteten Nasseristischen Partei Syriens an. Abdallah stammt aus Aleppo, strebt die Einheit Syriens im Sozialismus an und ist Herausgeber einer Zeitung.
Dritter Kandidat ist Mahmud Ahmed Marei von der oppositionellen Demokratischen Arabischen Sozialistischen Union (DASU). Mit zwölf anderen Parteien hatte die DASU sich 2011 zum Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC) zusammengeschlossen, einer zunächst sehr einflussreichen Dachorganisation der (nicht bewaffneten) syrischen Opposition.
Von vielen wird der Jurist Marei aufgrund seines persönlichen Werdegangs als glaubwürdige Alternative zum bestehenden politischen System favorisiert. Sechs Jahre war er als politischer Gefangener inhaftiert, 2011 wurde er eine der führenden Personen der innersyrischen Opposition.
Marei ist Vorsitzender der Syrischen Arabischen Organisation für Menschenrechte und gehört der Delegation der innersyrischen Opposition an, die in Genf an den Verhandlungen des Verfassungskomitees unter dem Dach der Uno teilnimmt. Im Zentrum seiner Kampagne stehen die Forderungen nach Freilassung der politischen Gefangenen und Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit mit einer wirklichen Vertretung der Opposition«.
Beobachter rechnen mit einer mäßigen Wahlbeteiligung um die 50 Prozent. Angesichts der vielen Probleme, mit denen die Bevölkerung täglich zu kämpfen hat, nehmen die Wahlen keinen prominenten Platz ein. Die Syrer gelten besonders nach den verheerenden Entwicklungen im Irak und in Libyen als risikoscheu und wollen eher an dem Bekannten festhalten.
Millionen staatliche Angestellte und Beamte werden ebenso zur Wahl gehen wie Hunderttausende Pensionäre. Sie erhalten regelmäßig ihre Gehälter und Pensionen, als Vorwahlgeschenk gab es eine zusätzliche monatliche Zahlung. Als Zeichen des guten Willens wurden zudem vor den Wahlen Tausende Gefangene freigelassen, darunter auch rund 400 Juristen, Angestellte und Journalisten, die in den sozialen Medien die schlechte wirtschaftliche Lage massiv kritisiert hatten.
Die Kommunistische Partei und die Syrische Soziale Nationalistische Partei werden ihre Anhänger zu den Wahlen mobilisieren. Einerseits wollen sie damit politische Präsenz zeigen, andererseits halten sie die Wahlbeteiligung für wichtig angesichts der massiven, zumeist von europäischen Staaten und den USA verbreiteten Kritik.
Seit Monaten werden die Wahlen von der EU und den USA als »Farce« gebrandmarkt, deren Ergebnis man nicht akzeptieren werde. Auf eine Anfrage des »nd« antwortete das Auswärtige Amt in Berlin, die Bundesregierung habe »bereits im März in einem gemeinsamen Statement mit den USA, Vereinigtem Königreich, Frankreich und Italien sowie im Rahmen einer EU27-Erklärung (...) klar Stellung bezogen«. Die Präsidentschaftswahlen seien »weder frei noch fair« und entsprächen nicht »der maßgebenden UN-Sicherheitsrats-Resolution 2254« vom Dezember 2015.
Demnach soll eine Übergangsregierung gebildet und anschließend eine neue Verfassung erarbeitet werden. Die Präsidialwahlen finden aber nun nach der derzeitigen syrischen Verfassung von 2012 statt. Eine formelle Anfrage der syrischen Botschaft zur Teilnahme der in Deutschland lebenden syrischen Wahlberechtigten an den Wahlen in der Botschaft in Berlin habe das Auswärtige Amt »abschlägig beschieden«, hieß es weiter. »Völkerrechtlich besteht keine Verpflichtung der Bundesregierung«, die Wahlen zu genehmigen.
Damit zählt Deutschland zu der kleinen Gruppe von Staaten, darunter die USA und die Türkei, die den im Ausland lebenden Syrern die Möglichkeit verweigerten, am 20. Mai in den Botschaften ihres Landes zu wählen. In 40 Staaten hingegen waren die Wahlen erlaubt. Besonders viele Syrer machten im Libanon von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Auch massive Angriffe der Libanesischen Kräfte, einer christlichen Miliz, die mit Stangen und Fäusten die Menschen auf dem Weg zur Botschaft in Beirut attackierten, konnten die Wähler nicht stoppen.
Im UN-Sicherheitsrat erklärten die USA, Großbritannien und Frankreich, die Wahlen nicht anerkennen zu wollen. Russlands UN-Boschafter Vasily Nebenzya warnte davor, sich in die inneren Angelegenheiten Syriens einzumischen. Die westlichen Staaten sollten keine falschen Informationen verbreiten, so Nebenzya. Die Präsidentschaftswahlen in Syrien hätten »nichts mit der Arbeit des Verfassungskomitees zu tun«, das unter dem Dach der Vereinten Nationen tagt.
Kritik an den Wahlen kam vom kurdisch geführten »Syrischen Demokratischen Rat« in Qamischli. Man habe nichts mit diesen Wahlen zu tun und werde auch »nicht dazu beitragen, dass irgendwelche Wahlen stattfinden, die die Bedeutung der UN-Resolution 2254 herabsetzen«, so eine Erklärung. Wahlen in Syrien könnten nur »in Übereinstimmung mit internationalen Entscheidungen« stattfinden. Soll wohl heißen: Erst muss es eine neue Verfassung geben.
Die Nationale Koalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte (Etilaf) mit Sitz in Istanbul organisierte in Gebieten unter ihrer Kontrolle zahlreiche Proteste gegen die Wahlen. Der Chef der Syrischen Oppositionellen Organisation (SOC), Nasr Al-Hariri, bezeichnete die Abstimmung als »Putsch gegen den politischen Prozess« in Syrien. Die einzigen akzeptablen Wahlen in Syrien seien Wahlen, »an denen der Kriegsverbrecher Baschar Al-Assad nicht teilnimmt«.
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Landesweit fanden in Syrien vergangenen Sonntag Demonstrationen unter dem Motto »Für das verfassungsgemäße Recht zu wählen« statt. Auch wenn man wisse, dass man an der Lage wenig ändern könne, müssten die Wahlen stattfinden, sagte eine Geschäftsfrau aus Damaskus dem »nd« am Telefon. »Wir stimmen weniger über einen der Kandidaten ab als für das grundsätzliche Recht zu wählen«, sagte die Frau, die nicht mit Namen genannt werden wollte. »Die Syrer sind politisch sehr bewusst. Sie wollen sich nicht bevormunden lassen, von niemandem.«
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