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Zu nah am Wasser gebaut
Rot-Rot-Grün will die Berliner Ufer für Menschen und Natur sichern und zurückgewinnen
Vor dem ehemaligen Kabelwerk in Berlin-Oberschöneweide liegt eine kleine Jacht auf dem betonierten Uferstreifen der Spree. Jemand bastelt an ihr, eine kleine Rauchfahne vom Schleifen steigt auf. Auf dem nackten Beton des seiner Fassadenverkleidung beraubten einstigen Fabrikgebäudes prangt neben einer gesprühten Liebeserklärung an den örtlichen Fußballverein 1. FC Union in präzisen weißen Lettern der Schriftzug »Ufer frei« gleich zweimal. Einmal auf der Spreeseite und einmal in Richtung des Platzes am Kaisersteg. Von der namensgebenden Fußgänger- und Fahrradbrücke kommend führt der Weg entweder nach links, an der Spree stadteinwärts entlang, oder geradeaus zur Wilhelminenhofstraße. Rechts versperrt ein Zaun den Uferweg. Jemand hat ein blaues »X« daran befestigt. »Enteignen« steht auf einem kleinen Aufkleber.
Der blockierte Uferweg ist nicht einfach nur ein Ärgernis für Ausflügler, die die Spree entlanglaufen wollen. Für die Studierenden der Hochschule für Technik und Wirtschaft bedeutet er jedes Mal bis zu 600 Meter Umweg, wenn sie von der anderen Spreeseite kommen. Seit 2014 kämpft die Bürgerinitiative Schöneweider Ufer für eine Öffnung. Bisher ohne Erfolg. Das Bezirksamt Treptow-Köpenick verwies 2017 darauf, dass es für die Fläche keinen Bebauungsplan gebe. Somit bestünde auch keine Möglichkeit, den öffentlichen Uferweg festzusetzen. 2019 wurde das Bezirksamt von der Bezirksverordnetenversammlung auf Antrag von Grünen und Linken aufgefordert, den Plan endlich festzusetzen. Das ist bis heute nicht passiert.
Neuen Schwung in die Berliner Uferdebatte soll ein Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Linke und Grünen im Abgeordnetenhaus bringen. Unter dem Titel »Das Wasser und die Ufer gehören Berlin« wird der Senat darin »aufgefordert, sicherzustellen, dass alle Ufer der Berliner Gewässer grundsätzlich öffentlich zugänglich sind und so naturnah wie möglich gestaltet werden«. In der vergangenen Woche wurde der Antrag vom Parlament in die Ausschüsse verwiesen.
Die Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg ist sehr zufrieden, dass ihre jahrelange beharrliche Arbeit nun politische Früchte trägt. »Das ist mein Baby«, sagt sie zu »nd«. Kein Wunder, nicht nur wegen ihrer politischen Überzeugung, zu der eine Stadtentwicklung jenseits von Verwertungsinteressen gehört, sondern auch wegen ihrer geografischen und politischen Heimat Treptow-Köpenick, dem wohl wasserreichsten Bezirk der Hauptstadt. »Dort wird der Uferwegeplan aber einfach nicht durchgesetzt«, beklagt sie.
»Wir streiten für die Rückeroberung privatisierter Räume und eine gemeinwohlorientierte Umverteilung des Stadtraums«, sagt Gennburg. Ufer und Gewässer seien zuvorderst Gemeingut, deshalb müsse die Privatisierung gestoppt und rückgängig gemacht werden. »Wir geben euch die Stadt zurück! - Das ist unser Versprechen und das gilt auch für die vielen Wasserbereiche von Spree-Athen«, verfällt sie in für sie durchaus ungewohntes Pathos.
Der Antrag enthält konkrete Forderungen. Öffentliche Uferwege sollen durch Bebauungspläne, Geh- und Wegerechte im Grundbuch gesichert werden. Die Bezirke sollen dafür Unterstützung erhalten, so wie bei der Erstellung von Uferkonzeptionen zur Ordnung von schützenswerten Naturbereichen und Flächen für Sportbootstege. Außerdem soll ein ungefähr zehn Meter breiter Bauverbotsstreifen an Berliner Gewässern ausgewiesen werden.
»Es ist lobenswert, dass es überhaupt gemacht worden ist, aber es ist ein bisschen spät«, sagt Manfred Krauß zu »nd«. Der freiberuflich tätige Biologe ist Gewässerexperte beim Umweltverband BUND Berlin. »Die Ufer von zwei Dritteln der innerstädtischen Gewässer sind bebaut, entlang der Spree von Köpenick bis Spandau«, erklärt er. »Außerhalb der Innenstadt wäre auch ein Bauverbot auf einem 20 Meter breiten Streifen plausibel gewesen«, so Krauß. Denn das sei eine naturschutzrechtliche Vorgabe. »Aber es ist ein Fortschritt gegenüber den fünf Metern, die beispielsweise am Goslarer Ufer an der Spree freigehalten worden sind.« Die ehemaligen Industrieflächen an der Spree in Moabit und Charlottenburg seien oft ein schlechtes Beispiel dafür, wie die Chancen der Konversion nicht genutzt worden sind. Er weiß auch, warum: »Die Wasserlagen sind Goldnuggets für Investoren.«
Der aktuelle Antrag von Rot-Rot-Grün hat ein Vorbild in politisch grauer Vorzeit, woran dann auch Gennburg von der Linksfraktion erinnert: »Bereits 1978 legte der West-Berliner Senat eine Uferwegekonzeption vor und erklärte, die Öffnung der Ufer für sehr viele Menschen bringe sehr viel mehr Nutzen und müsse deswegen gegen private Nutzungen durchgesetzt werden«, erklärt die Stadtentwicklungspolitikerin.
»Urheber war der damalige SPD-Bausenator Harry Ristock. Er hatte versucht, die ganzen verbauten Ufer freizubekommen. Auch der Druck der Immobilienlobby, der das missfiel, führte schließlich zu seinem Rücktritt«, ergänzt Gewässerexperte Manfred Krauß. »Seine Idee hat trotzdem überdauert, und zwar in Spandau«, so Krauß weiter. Die 1981 frischgebackene Leiterin des bezirklichen Grünflächenamts, Elke Hube, habe es zu ihrem »Lebenskonzept« gemacht, die Uferwanderwege durchzusetzen. Im Jahr 2015 ist sie in Pension gegangen. »Mit Zähigkeit hat sie es geschafft, einen Wanderweg entlang der Havel von Hakenfelde im Norden bis Kladow im Süden durchzukriegen. 70 Prozent davon verlaufen direkt am Ufer«, schwärmt Krauß. »Wenn man ein Konzept hat, dann geht es. Das Gegenteil davon ist Reinickendorf. Die sagen: Die Leute haben doch Häuschen am Wasser.«
»Zwiespältig« nennt Krauß das Vorgehen von Treptow-Köpenick. Dabei biete die immer noch nicht abgeschlossene Konversion ehemaliger Industrieflächen die größten Chancen, die Ufer zu renaturieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. »In den Westbezirken, wo es keine Industrie mehr gibt, käme man nur mit Enteignung voran.« Doch das ist ein äußerst zäher Vorgang. Für den Uferweg an der Spree auf der Friedrichshainer Halbinsel Stralau dauerten allein die Prozesse bis hinauf zum Bundesgerichtshof zehn Jahre. Bei einem weiteren Grundstück zog der Eigentümer im Anschluss sogar noch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der die Beschwerde jedoch nicht annahm.
Für Krauß führt kein Weg daran vorbei, möglichst viele Uferteile öffentlich zugänglich zu machen. »Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung beanspruchen exklusiven Zugang zu etwa einem Drittel der Gewässerkanten«, sagt er. »Die anderen mindestens 3,5 Millionen Menschen in der Stadt müssen sich auf dem Rest drängen.« Wichtig ist für ihn der Kompromiss mit dem Naturschutz. »Er kann gelingen, wenn man abschnittsweise die Ufer für den Menschen zugänglich macht und den Rest als Naturufer belässt.«
Ein Paradebeispiel ist für ihn die Ostseite der Rummelsburger Bucht, wo ein breiter Streifen als geschützter Naturbereich abgezäunt worden ist und dazwischen Liegewiesen und Zugänge zum Wasser eingestreut sind. »Das Aquarium direkt an die Spitze der Bucht hinbauen zu wollen, ist allerdings wirklich blöd«, bemängelt er die Pläne für das stark umstrittene Schauaquarium der Kette Coral World am Ostkreuz.
»Die Signalwirkung des aktuellen Antrags ist, dass es politisch gewollt wird. Vielleicht bewirkt das etwas«, sagt Krauß. »Aber letztlich steht und fällt die Durchsetzung mit den jeweiligen Amtsleitern in den Bezirken. Wenn die eine Vision haben, was sie durchsetzen wollen, haben sie ganz viel Macht.« So wie einst Elke Hube in Spandau, die auch auf jedes Grundstück gelauert habe, das frei wurde. Die Amtsleiterin habe den Plan unter Stadträten wechselnder Parteien durchgezogen. »Für so etwas braucht man Kontinuität«, ist Manfred Krauß überzeugt.
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