Fischotters Spielplatz, Seeadlers Revier

In der Naturlandschaft Groß Schauener Seen gehen Naturschutz und Fischerei Hand in Hand - zum Wohle aller

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 5 Min.

Wir sind spät dran. Zu spät für den Fischotter jedenfalls. Nicht, weil es das Lieblingstier des legendären Tierfilmers Heinz Sielmann (1948-2006) hier nicht mehr gäbe - immerhin waren die Tiere in Deutschland fast ausgestorben. Ganz im Gegenteil: Die Erlenbrüche, Moorwälder und Schilfröhrichte rund um die Groß Schauener Seen sind ideales Terrain und beliebter Spielplatz für die scheuen Wassermarder. Wer sie beobachten will, braucht Zeit, Geduld und auch ein Quäntchen Glück - am größten sind die Chancen frühmorgens, wenn sich die verspielten Racker am Seeufer zum Frühsport treffen oder sich die Jungtiere um die erste Mahlzeit streiten.

Bei strahlend blauem Himmel tuckern wir gemächlich über die Groß Schauener Seenkette. Das 1150 Hektar große Seengebiet bei Storkow ist Namensgeber von Sielmanns Naturlandschaft. Seit 2001 betreut die Stiftung die gesamte Seefläche und Teile des Umlands. Mit dem Ziel, den Artenreichtum vor Ort zu schützen sowie bedrohten Spezies wie Fischotter und Rohrdommel wieder zu stabilen Populationen zu verhelfen. Unter anderem.

Keine leichte Aufgabe: Fast überall an und auf Gewässern kollidiert Naturschutz mit wirtschaftlichen Interessen. Und die reichen hier sehr weit zurück: Bereits seit dem 13. Jahrhundert holt die Fischerei Köllnitz Zander, Hechte, Karpfen, und Barsche aus den Seen; ältere Rechte hat hier weit und breit niemand. Doch der Mensch und die Natur gehören zusammen - davon war Heinz Sielmann fest überzeugt. Und hier funktioniert es tatsächlich prima: Seit nunmehr fast 20 Jahren gilt die Naturlandschaft Groß Schauener Seen als Paradebeispiel dafür, dass guter Naturschutz und Fischerei kein Widerspruch sein müssen. Sie können sogar Hand in Hand gehen. Als Partner. Zum Wohle beider. Und letztlich zum Wohle aller.

Schon die Bootstour wird zum puren Landschafts- und Naturgenuss. Nicht nur wir genießen Sonne, Windstille und Ruhe; vielen Vögeln geht es ganz ähnlich. Lachmöwen hängen auf einem Bootswrack ab. Ein Reiher balanciert auf einer Reuse. Flussseeschwalben jagen im Tiefflug übers Wasser. Graugänse ziehen im Keil über den Himmel. Vor dem Kirchturm von Selchow stiebt ein Schwarm Kiebitze in die Luft, während sich aufgeregte Silberreiher nach hoch oben in Baumwipfel verziehen. Gern hätte uns Nora Künkler auch eine Rohrdommel präsentiert, doch keine Chance. Und zaubern kann selbst die Biologin von der Sielmann Stiftung nicht.

Auch der Seeadler lässt sich heute vergeblich bitten. Das neben dem Fischotter zweite Charaktertier der Seenlandschaft hat seine Horste auf Strommasten in der Nähe. Dort wird gebalzt und gebrütet. Dort zieht er seine Jungen auf. Und von dort startet der imposante Greifvogel - meist ohne Publikum - zu seinen täglichen Fischzügen im Revier. Wo er ungestört jagen und aus der vollen Speisekammer schöpfen kann. Wie es bei ihm zu Hause zugeht, verrät eine Webcam im Infozentrum der Stiftung auf dem Gelände der Fischerei.

Als Ersatz stellt sich freundlicherweise ein Schwarzer Milan zur Verfügung. Er zeigt uns ohne langes Federlesen, wie sich Raubvögel ihre Beute aus dem Wasser besorgen - absolut fangfrisch sozusagen. Erst dreht er ein paar scheinbar harmlose Kreise. Fixiert dann sein Opfer und bleibt dabei quasi in der Luft stehen. Schießt jäh wie ein Pfeil nach unten. Krallt sich im wahrsten Wortsinn den Fisch und hebt wieder ab zum alsbaldigen Verzehr an einem ruhigen Ort - in diesem Fall ist das ein hoher Baum.

Doch nicht nur die Tierwelt begeistert mit Vielfalt und Action. Auch die Seen selbst sind ein Traum. Immer wieder passieren wir blühende Seerosenfelder. Ein Kanal zwischen zwei Seen gleicht einem Spreewaldfließ - ein magisches Spalier bizarrer Bäume und Wurzeln inklusive Biberburg, die frontal perfekt gespiegelt und nach achtern von den Wellen verwirbelt werden zu Fantasiegebilden. Einmal sogar blockiert ein ganzer Seerosenkanal jegliche Weiterfahrt, doch wir werden großzügig entschädigt: Mit Engelsgeduld und ohne Starallüren lassen sich die zauberhaften Wasserlillies von allen Seiten ablichten.

Zurück an Land. In eine Schatzkammer der anderen Art. In den Moorwäldern finden sich botanische Kostbarkeiten wie Königsfarn, Sumpfcalla, Sumpfporst und Sonnentau. In den Feuchtwiesen wachsen Kuckucks-Lichtnelken, Wollgras, Sumpfschachtelhalm und Hahnenfuß. Sie bieten zudem Insekten und Kleintieren ein perfektes Zuhause. Auch diese Biotope hat die Stiftung unter ihren Schutzschirm genommen. Und bedient sich dabei auch tierischer Mitarbeiter. »Auf besonders schwierigen Standorten setzen wir Wasserbüffel ein«, verrät Nora Künkler, »denn die fressen alles, was Kühe nicht mögen, aber die Entwicklung einer artenreichen Feuchtwiese behindert. Ohne die Büffel würden Seggen, Binsen und Simsen bald überhandnehmen; mit ihnen erzeugen wir biologische Vielfalt.«

Nicht nur auf dem Wasser, auch an Land arbeiten Stiftung und Fischerei übrigens gut zusammen. So vermittelt die Ausstellung »Eintauchen und Abheben« Wissenswertes über die Bewohner der Naturlandschaft; typische Fische der Seen sind in verschiedenen Aquarien zu beobachten. Und klar: Natürlich gibt es hier manch Prachtexemplar auch auf Tellern und in Brötchen - wie es frischer nicht sein kann. Wen dann immer noch die Neugier plagt, dem sei der neue Naturlehrpfad nachdrücklich nahegelegt. Er informiert praktisch auf Schritt und Tritt, was alles überhaupt im und am See lebt, ist 1,5 Kilometer lang und führt von der Fischerei durch Wald und über Wiesen bis zu einem mächtigen hölzernen Aussichtsturm. Mit perfektem Panoramablick. Mitten hinein ins Herz der Groß Schauener Seenlandschaft.

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