Unterstützen und bekämpfen
Die russischen Behörden basteln vor den Dumawahlen an einer zahnlosen Opposition
Falls durch die aktuellen Repressionen gegen Dissidenten, Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Medien der Eindruck aufkommt, das russische Establishment brauche keine Opposition, so ist dieser falsch: Zur formalen Legitimation der Herrschaft der Regierungspartei Einiges Russland ist es nötig, dass bei den Duma-Wahlen im September auch andere Parteien Sitze ergattern. Erst mit Gegnern ist ein Triumph der Partei der Macht auch ein echter Sieg.
Wer die Rolle der Opposition ausfüllt, wollen die Mächtigen Russlands jedoch selbst bestimmen. Zugedacht ist sie den drei - neben Einiges Russland - bereits im Parlament vertretenen Kräften: Den systemtreuen Kommunisten, den zahmen Populisten der liberal-demokratischen Partei LDPR von Politikveteran Wladimir Schirinowski sowie der Partei Gerechtes Russland. Vor allem Schirinowskis Truppe und Gerechtes Russland äußern sich kaum gegen Vorhaben der Partei von Wladimir Putin - und sind somit die optimale Besetzung.
So optimal, dass die Mächtigen sogar unterstützend eingreifen, wenn es den oppositionellen Partnern einmal schlecht geht - zum Beispiel im Fall von Gerechtes Russland. Die Partei hatte sich nach der Krimkrise 2014 stark der russischen Regierung angebiedert. Im Jahr 2020 kam es darüber zu einem Skandal, als die Kandidatenliste für eine Wahl zwar mit Putins Regierungspartei abgesprochen wurde - jedoch nicht mit der eigenen Basis. Zudem wurden kritische Delegierte am Betreten eines Parteitages von Gerechtes Russland gehindert.
Die Umfragewerte für die systemkonforme Partei stürzten daraufhin in den Keller - man konnte kaum noch vermitteln, wofür man Gerechtes Russland eigentlich braucht und für welche politische Alternativen es steht. Ein Scheitern an der Fünf-ProzentHürde bei den Wahlen 2021 wurde immer wahrscheinlicher. Dann kam es zur überraschenden Rettung: Einer Fusion von Gerechtes Russland mit zwei anderen Parteien. Diese war so offensichtlich von oben eingefädelt, dass sich Parteichef Sergej Mironow von der Zeitung Kommersant fragen lassen musste, warum die Präsidialverwaltung vom Zusammenschluss früher informiert war als die eigenen Parteimitglieder.
Doch die Vereinigung brachte nur einen leichten Aufwärtstrend und so griff man auf eine Methode zurück, welche Einiges Russland selbst nutzt, um die eigene Attraktivität aufzupeppen: Die Kandidatur politikfremder Prominenter aus Film, Sport und Unterhaltung. So wie Einiges Russland beispielsweise auf die Tatu-Sängerin Julia Wolkowa setzt, schickt Gerechtes Russland nun den amerikanischen Actionschauspieler Steven Seagal ins Rennen.
Im gleichen Maße, wie die politische Eltite zahme Parteien unterstützt, hält sie unbequeme Parteien aus der russischen Staatsduma raus. Bekannt sind beispielsweise die jüngsten Schritte gegen die Fundamentalopposition von Alexej Nawalny - seine Organisationen wurden für extremistisch erklärt, ihre örtlichen Strukturen mussten sich auflösen, ein kürzlich verabschiedetes Gesetz verbietet Nawalnys Unterstützern, für das Parlament zu kandidieren. Zudem soll Einiges Russland nach einem Bericht des Onlinemediums Meduza Nawalnys Strategie des Smart Voting torpedieren - die Abstimmung für den Kandidaten mit den größten Chancen gegen den jeweiligen Aspiranten von Einiges Russland. Die Kremlpartei soll dafür unter anderem Fake-Homepages und -Bots einsetzen. Außerdem schüre sie Konflikte unter Oppositionellen und stelle sogenannte Spoilerkandidaten auf, um den Oppositionskandidaten Stimmen abzujagen.
Auch gemäßigteren liberalen Kräften werden Steine in den Weg gelegt. Etwa der Partei Jabloko, die früher selbst in der Duma vertreten war. Im April reichte sie Beschwerde bei der Wahlkommission ein. Jabloko-Aktionen würden stets mit dem Hinweis auf Corona-Beschränkungen verboten, während zeitgleich im Moskauer Luschniki-Stadion Regierungsanhänger bei Großevents Präsident Putin lauschen durften. Außerdem beklagte sich Jabloko über das neue Gesetz zum Ausschluss »extremistischer« Gruppen von Wahlen. Die Behörden nutzten dieses, um der Opposition insgesamt zu schaden. Jedem, der einmal einen Post einer Nawalny-Organisation in sozialen Netzwerken geteilt habe, als dies noch erlaubt war, könne nun die Duma-Kandidatur deswegen verweigert werden.
Ob die Doppelstrategie aus Stütze und Behinderung aufgeht, wird sich bei den Wahlen im September zeigen. Allzu positiv sind die Umfrageergebnisse für Einiges Russland trotz des Aktionismus nicht.
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