Mehr Vorlage geht kaum

Warum die Linkspartei sofort einen Rentenwahlkampf starten sollte

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Da legt das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium den nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt schwer angeschlagenen Parteien einen Ball auf den Elfmeterpunkt – und statt ihn ins leere Tor zu verwandeln, lautet der Aufschrei aus der Linkspartei: »Nehmt sofort den Ball wieder weg!« Dieser Vorgang ist so ärgerlich, dass sogar inflationär gebrauchte Fußballmetaphern zur Anwendung kommen müssen.

Was ist passiert? Rund drei Monate vor der Bundestagswahl schlägt der Wissenschaftliche Beirat – ein Beratergremium des Wirtschaftsministeriums – eine Reform hin zur Rente mit 68 vor. So weit, so wenig überraschend: Die schwierigen demografischen Bedingungen, die das derzeit vor allem umlagefinanzierte Rentensystem immer mehr strapazieren und irgendwann zwangsläufig kollabieren lassen, sind seit Jahrzehnten offenbar. Die Berater konstatieren jedoch »schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025«. Demografische Entwicklungen sind extrem tiefenwirksame Prozesse für Gesellschaften, vergleichbar mit einigen geologischen Prozessen: extrem langsam, aber unaufhaltsam. Woher der »Schock« plötzlich kommen soll, bleibt rätselhaft: Die Zahlen liegen doch offen. »Schockiert« kann jetzt nur sein, wer in den letzten Jahrzehnten nicht genau hingucken wollte.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) müsse das entsprechende Gutachten seiner Berater »sofort kassieren«, »sonst beginnt morgen der Rentenwahlkampf«, fordert nun die Linke-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. Stattdessen sollte die Linke ebendiesen Wahlkampf sofort beginnen! Falls sie noch ein paar Gründe braucht, bitteschön: Die Rente wird in einer alternden Gesellschaft ein immer mehr drängendes Thema für immer mehr Menschen. Derzeit wählen die Älteren vor allem die Unionsparteien - diejenigen, denen in Jahrzehnten kaum etwas anderes eingefallen ist, als das Rentenniveau abzusenken – nicht als einzige Partei – und die Altersversorgung und damit auch die Risiken des Alters zu privatisieren. Jene Unionsparteien, denen jetzt ein »Schock« droht – wie lange Vorlauf darf ein »Schock« haben: 30 Jahre, 40 Jahre? Die Unionsparteien haben die Augen verschlossen: in der Gegenwart keine Wähler verärgern, nach uns die Zukunft. Aber die ist jetzt gleich da.

Der Vorschlag, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, ist dabei so alt wie fantasielos. Er bewegt sich nämlich nur im heutigen, sehr engen Rahmen, in dem die heutigen Renten direkt oder indirekt von immer weniger werdenden abhängig Beschäftigten bezahlt wird. In diesem Rahmen ist es tatsächlich angesichts der demografischen Entwicklung zwingend, entweder die Beiträge zu erhöhen oder den Rente zu kürzen, entweder durch geringere Zahlungen oder kürzere Bezugsdauer, wahrscheinlich beidem. Den Kollaps des jetzigen Systems zögert aber auch dies nur hinaus.

Warum setzt die Linke hier nicht an? Wenn ich das Renteneintrittsalter nicht erhöhen möchte, muss bei weniger Beitragszahlern immer mehr Rente aus Steuern finanziert werden, das ist auch heute schon so. Hier nur einer von vielen möglichen Ansätzen, die längst in der Luft liegen: Warum nicht mit einer wirklichen Finanztransaktionssteuer den Rentenzuschuss nicht nur stabilisieren, sondern gar Rentenbeiträge tendenziell sinken lassen? Weil die SPD samt Olaf Scholz zu feige ist? Wie könnte in einem Wahlkampf folgende Botschaft ankommen: Die Union hat das Rentenproblem komplett verschlafen und ihr fällt nichts anderes ein als eine längere Lebensarbeitszeit. Wie wäre es mit einer Steuer, die kaum jemandem wirklich wehtut, in Summe immense Einnahmen bringen kann – und jeder kann früher in Rente bei sogar höheren Bezügen?

Natürlich kann man jetzt einwenden, so einfach sei das nicht und so verkürzt funktioniere das nicht und Steuern sind nicht zweckgebunden ... Aber: Wann, wenn nicht im Wahlkampf soll die Frage denn auf den Tisch? Welches größere, mehr Menschen betreffende und originäre Thema könnte der Linken im Wahlkampf noch einfallen? Die bisherigen scheinen minder erfolgversprechend. Auch beim Schuss auf ein leeres Tor ist der Ball aber noch nicht drin. Aber mehr Vorlage als jetzt geht kaum; leichter wird es jedenfalls nicht mehr, so einen Elfmeter zu verwandeln. Schießen muss man allerdings schon selbst.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.