Das Full-House-Prinzip

Die Schulen gehen in den Regelbetrieb, von Normalität kann keine Rede sein

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

An diesem Mittwoch kehren Berlins Schülerinnen und Schüler noch einmal in den vollständigen Präsenzunterricht zurück, bevor dann in gut zwei Wochen die Sommerferien beginnen. Dazu hatte sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor gut einer Woche eher unwillig durchgerungen, nachdem das Verwaltungsgericht ihr Festhalten am bisherigen Wechselunterricht in einer Einzelfallentscheidung für rechtswidrig erklärt hatte. Eine Entscheidung, die keineswegs bei allen Begeisterungsstürme ausgelöst hat.

Präsenz ist prima. Ines Wallrodt begrüßt die vollständige Öffnung der Schulen

»Die Stimmung unter den Schülerinnen und Schülern ist extrem gespalten«, berichtet Felix Koeppe. Der Bezirksschülersprecher von Tempelhof-Schöneberg führt die Zustimmung oder Ablehnung des Regelbetriebs vor allem auf die individuellen Erfahrungen mit dem bisherigen Mix aus Präsenzunterricht und Daheimbeschulung zurück. Dem Full-House-Prinzip werde dabei insbesondere an jenen Schulen mit Skepsis begegnet, an denen der Wechselunterricht der letzten Monate bestens funktioniert habe. »Dagegen bekomme ich von Schulen, wo das nicht so gut oder fast gar nicht lief, positive Rückmeldungen«, so Koeppe zu »nd«.

Ein ähnlich gespaltenes Bild ergibt sich bei der Elternschaft: Absolut irrsinnig, längst überfällig oder auch schon egal - auch hier gebe es »die ganze Palette zwischen Zustimmung und Ablehnung« und dabei »keine klaren Mehrheiten« für oder gegen den Vollpräsenzbetrieb, sagt der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise, zu »nd«.

Klar ist, dass die Senatsbildungsverwaltung weiterhin bemüht ist, auf Nummer sicher zu gehen. So bleibt die Präsenzpflicht wie bisher ausgesetzt. Niemand ist damit gezwungen, sein Kind in den verbleibenden Unterrichtstagen bis zu den Sommerferien in voll besetzte Klassenzimmer zu schicken.

Natürlich könnte es sein, dass Eltern nun verstärkt von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sagt Sven Zimmerschied, Schulleiter der Friedensburg-Oberschule in Charlottenburg. »Ich gehe nicht davon aus, dass alle Schülerinnen und Schüler in den vollständigen Präsenzunterricht kommen werden, und sei es nur, weil ihre Eltern Bedenken haben, dass durch einen möglichen Coronafall in der Klasse der Urlaub gefährdet ist.« Ob das in nennenswertem Umfang passieren werde oder nicht, sei letztlich »Kaffeesatzleserei«, so Zimmerschied zu »nd«. Sicher ist vielmehr: »Es wird wieder sehr voll werden in unserer Schule.«

Ginge es nach Bildungssenatorin Sandra Scheeres, sollten die Schüler freilich eher nicht in Innenräumen zusammenhocken. Außenaktivitäten, Exkursionen oder Projekttage seien »gut geeignet, um das Recht auf Bildung und ein soziales Miteinander im vollständigen Kurs- oder Klassenverband in den kommenden Wochen sicherzustellen«, so Scheeres’ Rat an die Schulleitungen nach der Entscheidung, das Wechselmodell zu kippen.

»In der Tat ist für die letzten zehn Unterrichtstage des Schuljahres ja nicht mehr viel zu erwarten«, sagt Elternsprecher Norman Heise und verweist auf den Notenkonferenzen, die aktuell in vollem Gange ist. Auf das soziale Miteinander zu setzen, sei daher gut. »Aber die Frage ist, was man denn überhaupt sinnvollerweise machen kann.« Viele Aktivitäten wie Museumsbesuche seien auf kleinere Gruppen ausgelegt, nicht auf volle Klassenstärken. Außenaktivitäten zu organisieren, sei für die Lehrkräfte zwar kein Ding der Unmöglichkeit, aber auch nicht ganz ohne.

Das kann Schulleiter Sven Zimmerschied bestätigen. »Es braucht ja einiges an Vorlauf, um beispielsweise einen Besuch im Klettergarten in großer Gruppe zu organisieren.« Daher werde es - neben »normalen Unterrichtstagen«, die eben auch eingeplant sind - an der von ihm geleiteten Integrierten Sekundarschule vor allem auf Wandertage in den Tiergarten oder den Grunewald hinauslaufen.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) plädiert dafür, möglichst viele schulische Aktivitäten jetzt nach draußen zu verlegen. Das sei immerhin eine Möglichkeit, den Schulalltag in größeren Gruppen »infektionssicher« zu gestalten, sagt GEW-Sprecher Markus Hanisch zu »nd«.

Die Pandemie sei schließlich noch nicht vorbei, das solle nicht vergessen werden. Bekanntlich war es neben der Berliner Linksfraktion vor allem die GEW, die Scheeres in ihrer ablehnenden Haltung zum Vollpräsenzbetrieb vor den Ferien den Rücken gestärkt hatte. »Daran hat sich auch nichts verändert«, sagt Hanisch. »Wir hätten es besser gefunden, wenn wenigstens die weiterführenden Schulen am Wechselmodell in halbierten Klassen festgehalten hätten, weil wir nach wie vor der Ansicht sind, dass bei der Vollpräsenz die Nachteile die Vorteile überwiegen.«

Gleichwohl will auch Gewerkschafter Hanisch nicht alles schlechtreden: »Viele Kollegen freuen sich natürlich darauf, ihre Schülerinnen und Schüler wieder in ganzen Klassenverbänden unterrichten zu können.«

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