Weg mit Paragraf 218!

Seit Jahrzehnten protestieren Feminist*innen gegen den »Abtreibungsparagrafen«. Er verpflichtet Frauen zu gebären, kritisiert Laura Sophie Dornheim

  • Laura Sophie Dornheim
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich kann nicht fassen, dass ich immer noch gegen diesen Mist protestieren muss« ist ein Spruch, der leider für zu viele feministische Anliegen gilt. Trauriger Rekordhalter ist der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch. Vor 150 Jahren wurde er Teil des (west-)deutschen Rechts und ebenso lange protestieren Feminist*innen dagegen. Denn er verpflichtet Frauen zu gebären. Wer das nicht will, muss einen gesetzlich auferlegten Spießrutenlauf durchmachen, um eine Schwangerschaft abzubrechen. Legal ist das selbst dann nicht, es wird nur nicht strafverfolgt.

Der Paragraf 218 droht Schwangeren und ihren Ärzt*innen bis zu drei Jahren Haft an, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen. Paragraf 219, der die Beratung vor einem Abbruch vorschreibt, verlangt von Frauen zudem die »Opferbereitschaft« eine Schwangerschaft auszutragen. Denn die Beratung »hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen«, so der Gesetzestext.

Vor sechs Jahren war ich selbst in der Situation, ungewollt schwanger zu sein. Die Entscheidung gegen die Schwangerschaft war nicht einfach, aber sie war für mich die richtige. Rückblickend kann ich sicher sagen, dass der Abbruch keine übermäßig traumatische Erfahrung war. Was mich jedoch belastet, verstört und immer noch unfassbar wütend macht, ist, dass ich diese Entscheidung nicht frei und selbstbestimmt treffen konnte.

Ich musste mich einer wildfremden Person offenbaren, um den notwendigen Beratungsschein zu bekommen. Ich musste, nach reiflicher Überlegung und Gesprächen mit Vertrauenspersonen, eine dreitägige »Bedenkfrist« einhalten, weil der Staat ungewollt Schwangeren offensichtlich nicht für ganz zurechnungsfähig hält. Ich musste mich durch mehrere Praxen telefonieren, weil 2015 Ärzt*innen auf ihren Webseiten noch nicht mal darüber informieren durften, ob sie Abbrüche durchführen. Dabei hatte ich das große Glück, mich aufgrund meines langjährigen feministischen Aktivismus zumindest in der Theorie gut mit der Situation auszukennen.

Ich wusste hinlänglich über die Optionen des medikamentösen und des operativen Abbruchs Bescheid und ich kannte seriöse Beratungsstellen wie »Pro Familia«. Und ich wusste, dass der ähnlich klingende Verein »Pro Femina« eben genau nicht seriös, sondern stark tendenziös ist, und auch keinen Beratungsschein ausstellen darf. Vor allem lebte ich in Berlin, der Großstadt mit der besten Versorgungslage Deutschlands und meine Schwangerschaft wurde früh festgestellt, so dass ich nicht unter zusätzlichen Stress der nahenden Frist war. Der Zugang zu einem selbstbestimmten, legalen und sicheren Schwangerschaftsabbruch darf aber kein Privileg akademischer Großstädterinnen sein!

In Niederbayern gab es zuletzt monatelang keine einzige Ärztin, die Abbrüche bis zur rechtlich zulässigen zwölften Woche durchgeführt hat. Frauen müssen oft Hunderte Kilometer fahren, um in eine Praxis zu finden. »Nach Holland fahren« ist leider kein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert, sondern auch heute noch für viele Frauen im Nordwesten die einfachste Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden.

Seit Jahrzehnten gibt es aber auch breiten Widerstand gegen diese nicht hinzunehmenden Zustände, gegen die menschenverachtende Gesetzgebung. Vor 50 Jahren haben über 300 Frauen im »Stern« mit »Wir haben abgetrieben« das Schweigen gebrochen. Es ist bitter, dass eine Neuauflage des gleichen Titels immer noch notwendig ist. Aber während erzreligiöse Gruppen sich mit einer erstarkenden Rechten verbünden, um Frauen zum Gebären zu zwingen, wird das Band zwischen älteren und jüngeren Feminist*innen, Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten, Müttern und Kinderlosen immer sichtbarer und damit stärker.

Eine Zugangshürde mehr - Der Importstopp des Medikaments Cytotec könnte folgenreiche Konsequenzen für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben.

Nachdem ich begonnen habe, öffentlich über meinen Abbruch zu sprechen, hat mich die Kita-Leiterin meines Kindes darauf angesprochen und betont, wie wichtig sie das findet. Für sie, Anfang 60 und in der DDR aufgewachsen, sei die bundesdeutsche Regelung »ein Schritt zurück ins Mittelalter« gewesen. Ich hoffe für uns beide, dass wir es noch erleben, dass der Paragraf 218 in die Geschichtsbücher verbannt wird. Und solange es dieses Gesetz gibt, das mich als Frau zur Straftäterin macht, wenn ich über meinen Körper und mein Leben selbst bestimmen will, so lange muss und werde ich dagegen protestieren.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.