- Kultur
- 1848/49
Voller Unruhe und Tatendrang
»Akteure eines Umbruchs«: Die Männer und Frauen der Revolutionen von 1848/49
Der nunmehr bereits sechste Band der 2003 ins Leben gerufenen Edition mit Biografien von Männern und Frauen der Revolutionen von 1848/49 bezeugt, dass wissenschaftlicher Ehrgeiz und Kompetenz finanzielle und personelle Grenzen zu überwinden vermögen. Ein aus biologischen Gründen immer kleiner werdender Arbeitskreis von dem Thema seit Jahrzehnten verpflichteten Historikern und Historikerinnen um den Geschichtsprofessor Walter Schmidt forscht und publiziert tapfer weiter, ohne sich über mangelnde Geldquellen und institutionellen Rückhalt zu beklagen. Das verdient Respekt. Und findet auch höchste Anerkennung in der Zunft. Das verdienstvolle Unternehmen »Akteure des Umbruchs« hat seinen Platz als geschätzter Titel und standardsetzende Literatur im Bestand wissenschaftlicher Bibliotheken gefunden.
In dem Band, der nun das Halbdutzend abrundet, betont zunächst Rüdiger Hachtmann in einem lesenswerten Essay den hohen Stellenwert biografischer Studien für die Geschichtswissenschaft, bevor erneut Frauen und Männer vorgestellt werden, die vor über über 150 Jahren voll revolutionär-demokratischer Unruhe im politischen Tagesgeschehen Partei ergriffen, darunter Marie von Colomb (1808-1868), Bahnbrecherin der Frauenemanzipation, die sich nach dem Sieg der Konterrevolution auch noch einen Namen als Vorkämpferin der Kaltwasser-Naturheilmethode machte. Auguste Scheibe (1824-1898) nahm vielfache Risiken auf sich, als sie nach der Niederlage des Dresdner Maiaufstandes Barrikadenkämpfern, die zu Flucht und Untertauchen gezwungen waren, Beistand erwies.
In ganz anderen Sphären bewegte sich Clotilde Koch-Gontard (1813-1869), die als Angehörige des aus Klasseninteresse auf einen großdeutschen Wirtschaftsraum fokussierten Bürgertums ihren Salon als informellen Treffpunkt für die um den Präsidenten der nur einjährigen Frankfurter Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, gruppierten liberalen Partei zur Verfügung stellte. Kathinka Zitz (1801-1877) dürfte manchen leidenschaftlichen Lesern und Leserinnen bekannt sein; sie feierte seit den 1840er Jahren auf dem literarischem Markt Erfolge und hat es in Schriftstellerlexika geschafft. Im vorliegenden Band wird sie aber zuvorderst als Aktivistin der 48er Frauenbewegung gewürdigt, die zudem mit dem von ihr gegründeten Hilfsverein »Humania« ein weites Netzwerk zur Unterstützung politischer Gefangener geknüpft hatte.
Den Reigen der männlichen Protagonisten eröffnet der Wortführer der demokratischen Bewegung in Wien, Andreas Freiherr von Stifft (1819-1877), der den Exekutionspelotons der Konterrevolution - anders als Robert Blum - wohl nur deshalb entging, weil seine Familie Kreisen am österreichischen Kaiserhof verbunden war. Inmitten des Wiener Revolutionsgeschehens hat der Jurist Eduard Müller-Tellering (1811-1884) gestanden, der zudem Korrespondenzen und Kommentare von dort für die »Neue Rheinische Zeitung« schrieb. Seinen ruppigen Antisemitismus übersah leider geflissentlich im Interesse eines die Auflage fördernden »lebhaften« Journalismus der Chefredakteur ebenjenes »Organs der Demokratie«. Dessen Name: Karl Marx, selbst jüdischer Herkunft.
Der Buchhändler und Redakteur Wilhelm Cornelius (1809 geboren, Todesdatum unbekannt) weilte zum Ausbruch der Revolution nicht mehr in deutschen Landen; nach der Erfahrung einer siebenjährigen Festungshaft wegen »demagogischer Umtriebe« hatte er sich bereits 1847 ins Exil aufgemacht; er gehörte aber zu den lautstarken Agitatoren der sich im Gefolge der Pariser Julirevolution im Jahr darauf aufraffenden südwestdeutschen Opposition.
Der gebürtige Westfale Friedrich von der Nahmer (1822-1882) wiederum avancierte zum Wortführer der demokratisch gesinnten Studenten der Greifswalder Universität. Er erwarb sich insbesondere Meriten bei der Einbeziehung der Arbeiter in die Phalanx der Demokratie. Nach seiner Promotion zum Arzt übersiedelte er Ende 1850 an den Niederrhein. Seine Erinnerungen an die Revolution titelte er mit »Ein junger Rebell«.
Der Jurist Conrad von Rappard (1805- 1881), zugleich ein Pionier des Braunkohlenbergbaus im Brandenburgischen, wurde in das erste gesamtdeutsche Parlament, in die sich im Mai 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main konstituierende Nationalversammlung, gewählt, wo er der Fraktion »Westendhall« angehörte, die als »die Linke im Frack« verspöttelt wurde. Auch er wurde hernach von der preußischen Reaktion des »Hochverrats« angeklagt, konnte sich der Rachejustiz jedoch durch Flucht in die Schweiz entziehen, wo er erfolgreich im Fremdenverkehr tätig wurde.
Als unbestrittenes Highlight des Bandes präsentiert sich die Biografie von Julius Brill (1816-1882) - einer der brillantesten Köpfe der äußersten Linken in der Preußischen Verfassungsversammlung. Der Buchdrucker wird als erster Arbeiter in einem deutschen Abgeordnetenhaus gewürdigt. Dank günstigeren Zugangs zu unter anderem in Wrocław, seinerzeit Breslau, aufbewahrten Akten und des via Internet erleichterten Zugriffs auf US-amerikanische Zeitungsarchive und Einwanderlisten sind weitere biografische Details von ihm ans Licht gelangt. Der nach der Niederlage der 1848er in den USA Zuflucht suchende Schriftsetzer war zugleich ein Pionier der Fotografie.
Dankenswerterweise hat der Verlag dem sechsten Band eine Inhaltsangabe der vorangegangenen fünf Bände beigefügt, gleichsam als Tableau der bisher gewürdigten Persönlichkeiten.
Akteure eines Umbruchs. Männer und Frauen in der Revolution von 1848/49. Bd. 6. Hg. v. Rudolf Zewell. Fides-Verlag, 349 S., geb., 48,80 €.
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