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Wo Fußball ist, ist auch ein Weg
An diesem Freitag beginnt in Rom die Europameisterschaft der Männer - unter allerlei Verrenkungen
Und? Fiebern Sie ihr schon entgegen, dieser Europameisterschaft, die der europäische Fußballverband Uefa trotz der Verlegung in dieses Jahr weiterhin stoisch »EURO 2020« nennt, Pardon: »UEFA EURO 2020«. Wie? Sie wussten bis vor wenigen Tagen gar nicht, dass ein Fußball-Highlight ansteht? Doch, doch, es stimmt, was in der Fernsehwerbung behauptet wird: An diesem Freitagabend soll es losgehen im nur spärlich besetzten Stadio Olimpico di Roma - das erste der 51 Spiele dieses »paneuropäischen« Endrundenturniers wird angepfiffen. Jeder vierte Platz der altehrwürdigen Arena darf um 21 Uhr besetzt sein, wenn die Auswahl Italiens ihr Auftaktspiel gegen die türkische Nationalmannschaft bestreitet. 16 000 Zuschauer, mehr sind nicht erlaubt wegen der Corona-Auflagen in Rom.
Die Uefa gefällt sich in blumigen Lobpreisungen des Turniers: »Es wird die erste Veranstaltung von weltweiter Dimension sein, die seit Ausbruch der Pandemie durchgeführt wird - die perfekte Gelegenheit, der Welt zu zeigen, dass Europa anpassungsfähig ist«, so Aleksander Čeferin, Präsident der Europäischen Fußball-Union.
Strenge Hygienekonzepte wurden entworfen, die Zuschauer tragen Masken und werden in bestimmten Zeitfenstern in die Stadien eingelassen. Doch schon beim Auftaktspiel dieser 16. Europameisterschaft der Männer zeigen sich die Probleme des Megaturniers, das vor neun Jahren ersonnen wurde - in einer Zeit also, in der es den Begriff Flugscham noch überhaupt nicht gab und auch eine weltweite Pandemie jenseits des Vorstellbaren lag. Zur Eröffnung der »Veranstaltung von weltweiter Dimension« können anno 2021 wegen der in Italien geltenden Pandemiegesetze keine türkischen Fans direkt einreisen; es sei denn, sie weilen schon seit 14 Tagen im Schengen-Raum und haben damit die Quarantänezeit eingehalten. Dennoch werden beim Anpfiff zum Glück nicht nur die Tifosi zu hören sein: Etliche in der EU lebende Türken haben sich Tickets besorgt.
In insgesamt elf Städten des laut Čeferin »anpassungsfähigen« Kontinents wird dieses Turnier ausgespielt. Teams aus 24 Ländern sind dabei. Sevilla stellt zugleich den westlichsten und südlichsten Punkt dieser EM-Endrunde dar, während St. Petersburg den nördlichsten Breitengrad des Turniers markiert. Dazu gesellen sich neben Rom auch noch London, Glasgow, Kopenhagen, Amsterdam, Budapest und Bukarest. Auch der Deutsche Fußball-Bund wollte nicht fehlen beim alleuropäischen Spektakel: In der Münchener Arena werden die drei Vorrundenspiele der deutschen Mannschaft sowie ein Viertelfinale ausgetragen.
Das Nationalstadion Baku indes, wo die türkische Mannschaft ihre zwei dem Auftakt folgenden Begegnungen als gefühlte Heimspiele bestreiten darf, ist die am weitesten östlich gelegene Spielstätte. Ein Blick in den Atlas verrät: Auch 2021 liegt das aserbaidschanische »EURO 2020«-Stadion in Vorderasien, doch wie das eben so ist in internationalen Sportverbänden: Hier laufen die Dinge gerne mal etwas anders.
Allein schon mit der europaweiten Streuung der Spielorte machte es sich die Uefa kompliziert, die Corona-Pandemie hat das Ganze natürlich noch einmal verschlimmert - für die Fans, für den begleitenden Tross aus Journalisten und Technikern, vor allem aber auch für die Teams: So hat die polnische Auswahl für ihre ersten drei Spiele echte Distanzen zurückzulegen: St. Petersburg - Sevilla - St.Petersburg lautet die Flugroute für Weltfußballer Robert Lewandowski und seine Kollegen. 7157 Kilometer für drei Fußballspiele. Bei manch anderen Mannschaften sieht es nicht viel besser aus.
In Sachen Klimaschutz ist die EM ein Anachronismus. Mehr noch: Ein Fußballturnier in zehn Ländern (Großbritannien ist mit Glasgow und London dabei) ist eine Zumutung, vor allem wegen der jeweils unterschiedlichen Rechtslage, die angesichts der allgemein fallenden Inzidenzen kurz vor Turnierbeginn vielerorts noch einmal geändert worden ist.
Aber wo Fußball ist, ist immer auch ein Weg: Als im Mai 2020 das Virus den Kontinent noch fest im Griff hatte, durften die Profikicker schon wieder ran, wenn auch ohne Zuschauer. Die Fußballer in der deutschen Bundesliga waren die ersten Profiathleten in Europa, die nach dem Verhängen der Lockdown-Maßnahmen wieder ihrem Sport nachgehen durften. Das Recht zur freien Berufsausübung wog für die Fußballverantwortlichen schwerer als die Bedenken hinsichtlich des Gesundheitsschutzes.
So hielt es die Uefa nun auch mit dem EM-Turnier 2021: Sie verlangte - mitten in der dritten Welle - von den ursprünglich zwölf Ausrichterstädten eine Garantie, dass Zuschauer bei allen EM-Spielen zugelassen sein würden - vorgeblich, weil »in vielen Ländern die EM schon Teil der nationalen Strategie zum Wiederaufschwung« sei. Die irische Hauptstadt Dublin stieg daraufhin aus, der spanische Fußballverband schwenkte vom ursprünglich geplanten Bilbao auf Sevilla um, weil die Regelungen in Andalusien Zuschauer gestatteten, die im Baskenland hingegen nicht.
Auch für München war keine Zuschauergarantie abgegeben worden, die Uefa beließ die bayerische Landeshauptstadt indes gnädig in ihrer Ausrichterrolle. Zu wichtig ist der deutsche Markt, als dass ihn der Kontinentalverband den Großsponsoren verderben will. Mittlerweile sind in München 14 000 Fans zugelassen für die Spiele der DFB-Elf gegen Weltmeister Frankreich (15.6.), Europameister Portugal (19.6.) und Ungarn (23.6.) sowie fürs Viertelfinale am 2. Juli.
Und bei einem EM-Turnier im eigenen Lande macht auch die Bundesregierung Zugeständnisse: Laut einem Beschluss des Bundeskabinetts vom Mittwoch gilt nun in Deutschland eine Ausnahmeregelung für die EM: Jeder, »der zur Teilnahme, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung internationaler Sportveranstaltungen durch das jeweilige Organisationskomitee akkreditiert« worden ist, wird bis 28. Juli von der Quarantänepflicht befreit.
Diese Regelung würde im Fall der Fälle vor allem den Spielern einer Nationalmannschaft helfen, die in London oder Glasgow gespielt haben, nun aber zum Viertelfinale nach München müssen. Dennoch lässt sich auch mit diesem Dekret nicht das Problem aus der Welt schaffen, das sich rund um die Finalstadt London zusammenbraut: Die zunächst in Indien entdeckte Delta-Variante des Coronavirus breitet sich in Großbritannien mehr und mehr aus. Auch akkreditierte Fußballer können sich anstecken, wie sich zuletzt bei Coronafällen im schwedischen und spanischen Team zeigte. Und infizierte Fußballer können das Virus sicherlich auch weitertragen.
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