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Good old Germany
Die Hotelmarke »Tante Alma« richtet sich an Studenten und Städtereisende - mit Nostalgie-Design, einer guten Geschichte und festen Ritualen
Egal ob Hüttenkäse oder Hotel, wer heutzutage ein Markenprodukt einführen will, muss sich eine gute Geschichte ausdenken. Beim Hüttenkäse wäre es vermutlich etwas mit Bio und der Wiederentdeckung eines alten Rezepts. Bei den »Tante Alma«-Hotels ergab sich das Narrativ aus der Notwendigkeit, in die Jahre gekommene Einzelhotels ohne Nachfolger kostengünstig umzugestalten, und der Wohnungsnot von Studenten in Universitätsstädten zu begegnen.
Wie das zusammenpasst? Nun - wegen fehlender Studentenbuden kommen viele Semester zunächst einmal für ein paar Wochen bei Freunden und Verwandten unter. Im schlimmsten Fall kann es aber auch die schrullige Tante sein, die ein Zimmer frei hat. Dass sie Alma heißt, hat mit der Bezeichnung einer Uni als Alma Mater zu tun. Diese Tante also hat noch nie etwas weggeschmissen und ihr Einrichtungsstil spiegelt ihre verschiedenen Lebensphasen wider. Das Resultat sind jede Menge Nippes, Häkel- und Spitzendeckchen, mittelbraune Stilmöbel und wild gemusterte Tapetenwände.
Wer Tante Alma noch nicht kennt, wird in Köln fündig. Das Hotel wurde im März eröffnet und entführt seine Gäste gnadenlos in eine Retro-Welt, in der sich auf jedem Zentimeter Ablagefläche Vasen, Figürchen, Uhren und Kitsch etc. frei entfalten dürfen. Ja selbst in mancher Schublade findet sich noch altes Leinen, in manchem Fach ein Stapel alter »Playboys«. »Von allem too much«, erklärt Stephan Gerhard, Mitbegründer und -erfinder der Hotelmarke, das Designkonzept, »es muss wehtun, wenn man zu der Tante ziehen muss.«
Diese optische Rückwärtsgewandtheit folgt freilich nicht nur dem derzeitigen bundesdeutschen Gemütszustand, sondern ist betriebswirtschaftliches Kalkül. Gemäß Alma-Geschäftsführer Marc J. Schlieper ist man »an Objekten in Toplagen in Universitätsstädten mit mindestens 30 bis rund 100 Zimmern Kapazität« interessiert, um Langzeit- wie Kurzzeitgäste zu beherbergen. Die Frage, die sich folglich stellte, formuliert Gerhard wiederum so: »Wie übernimmt man kleine Hotels, ohne viel zu investieren?«
Die Antwort heißt Deko und diese Tante-Alma-Story, mit der sich äußerst unterschiedliche Gebäude markenmäßig auf eine Linie bringen lassen und die zugleich den kunterbunten Look rechtfertigen. Die Bausubstanz muss nicht angetastet, die Bäder nicht ausgetauscht werden. Stattdessen kann die Ausstaffierung, die en gros von Flohmärkten und Trödelläden stammt, flexibel dem Grundriss älterer Häuser angepasst und mit Tante Almas Schrulligkeit vermarktet werden. So überflutet der Prototyp der neuen Hotelmarke in Köln mit visuellen Reizen in jeder Ecke. Die nächsten anvisierten Herbergen werden andere Lebensabschnitte von Tante Alma betonen. In Bonn wird es ihr Opernfaible sein, in München die Hippiezeit.
Doch mit Einrichtung vom Trödel allein lassen sich die Gäste nicht locken. Ein wesentlicher Faktor der Häuser sind ihre Rituale. Das beginnt mit dem morgendlichen Frühsport, den sich jeder Gast auf sein Handy oder Tablet streamen kann. Es geht weiter mit der täglichen Kaffee-und-Kuchen-Runde im Wohnzimmer, Spaghettikochen jeden Mittwochabend und kollektivem »Tatort«-Glotzen am Sonntagabend. So entsteht eine informelle Community unter den Gästen, die sich im Instagram-tauglichen Ambiente inmitten bunter Wohnaccessoires und spießbürgerlichem Holzmobiliar in die Welt aussenden lässt.
Bereits nach wenigen Monaten Betrieb geht die Rechnung mit den unterschiedlichen Gästegruppen auf - fast. So ist Tante Alma bei jungen Leuten unter 30 ein Hit. »Die finden das richtig cool«, sagt Gerhard, der als Gründer der Consultingfirma Treugast zu den ausgewiesenen Hotelexperten dieser Republik zählt. Dabei beobachtet er, dass Alma nicht nur unter Studenten ein Selbstläufer ist. Auch junge Gäste aus dem Ausland, vorzugsweise aus kreativen Metiers, fliegen auf die Tante. Sie integrieren sich nahtlos in die Community mit ihren Ritualen, und die altmodische Einrichtung ist für sie der Inbegriff von »good old Germany«.
Für Reisende mittleren Alters, also zwischen 35 und 55 Jahren, haben die Hotels dagegen einen hohen Wiedererkennungswert. Da kennt schließlich jeder noch jemanden mit ähnlichem Mobiliar. Wem die schräge Einrichtung allerdings überhaupt nicht gefällt, sind Leute über 60. Gerhard kann also zufrieden sein. Konkret bedeutet das: »Bestehende Gäste zu halten, wird schwierig, und ältere Touristen bekommen wir nicht«, so der Hotelprofi. Doch in Bezug auf die Verjüngung der Zielgruppe - der begehrten Generation Z, die langsam nach der Generation Y in den Fokus rückt -, konstatiert er: »Volltreffer!
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