Beide Behörden sind kaum erreichbar

über arbeitsagenturen und jobcenter in der pandemie

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Auswertung der bundesweiten Befragung für das Bündnis »AufRecht bestehen« ergab kein sonderlich erfreuliches Bild. Denn die aktuelle Situation ist bei vielen Jobcentern und Agenturen für Arbeit sehr problematisch. Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie sind die Behörden zum Teil kaum erreichbar, noch nicht einmal in akuten Notsituationen. So gaben die Befragten unter anderem an:

Anträge auf Arbeitslosengeld werden nur bei vorheriger Anfrage in Papierform zugesendet, ansonsten ist Ausfüllen nur online möglich. Viele Menschen mit Sprachbarrieren haben damit Probleme, und auch nicht jeder, der arbeitslos wird, ist in der Lage, online Formulare auszufüllen.

Digital ist das Jobcenter zwar ganz gut erreichbar, aber die Erreichbarkeit ist kaum gegeben bei fehlendem Telefon- oder Internetzugang von Betroffenen und mangelnden Deutschkenntnissen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat zwar Sprachmittler*innen, doch sind sie nicht jederzeit vor Ort oder in der Lage, in die benötigte Sprache zu übersetzen.

Es gibt auch keine Möglichkeit, die Abgabe von Schreiben an das Jobcenter durch eine amtliche Eingangsbestätigung glaubhaft zu machen. Die auf den Bescheiden angegebenen Fax-Nummern funktionieren oft auch nicht. Das Jobcenter verweist in solchen Fällen auf den Einwurf in Briefkästen. Wer beweissicher Widersprüche und Beschwerden einreichen will, hat also ein Problem. Den Betroffenen bleibt nur die teure und langsame Möglichkeit, die Post als Einschreiben mit Rückschein zu senden.

Insgesamt ist durch den Behörden-Lockdown die Antragstellung sehr stark beeinträchtigt und die Bearbeitung stark verlangsamt. Sobald Klärungsbedarf auftritt, sind die Leistungsberechtigten selten in der Lage, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln, was einen hohen Beratungsbedarf zur Folge hat.

Betroffene werden aus dem Hilfesystem ausgegrenzt

Die Bundesagentur für Arbeit nimmt die durch die Corona-Pandemie verursachte Schließung der Agenturen und der Jobcenter zum Anlass, um den Leistungszugang zu digitalisieren und zu modernisieren: So sollen Anträge möglichst alle elektronisch übermittelt werden. Ebenso sollen Dokumente von den Betroffenen selbst hochgeladen werden. Beratungsgespräche und Nachfragen sollen nur noch telefonisch abgewickelt werden.

Alles schön und gut: Aber das grenzt viele Betroffene aus dem Hilfesystem aus. Wer nicht über die notwendigen technischen Geräte und Kenntnisse im Umgang mit der EDV verfügt, wer seine Anliegen sprachlich im Telefonat nicht eindeutig und in deutscher Sprache vorbringen kann, wer kaum lesen und schreiben kann, dringt mit seinem Anliegen in der Regel gar nicht durch.

Besonders bei Notfällen gibt es erhebliche Probleme. So sagen 16 Prozent der Befragten, dass es auch im akuten Notfall gar nicht möglich ist, zum Jobcenter einen Zugang zu bekommen. Weitere 55 Prozent sagen, dass der Zugang nur »mit Termin« möglich sei - also nachdem man bereits die hohe Hürde der Telefonhotline überwunden hat! Nur 3 Prozent der Befragten bejahen uneingeschränkt die Möglichkeit von Vorschusszahlungen in einer akuten Notsituation; weitere 19 Prozent berichten, dass das »selten« der Fall sei; 26 Prozent schließen eine solche schnelle Hilfe des örtlichen Jobcenters schlichtweg aus.

Wofür die Sozialbehörden per Gesetz verantwortlich sind

Gesetzlich haben die Sozialbehörden dafür Sorge zu tragen, dass Leistungsberechtigte »die ihnen zustehenden Leistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhalten« (§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I). Auch haben sie das Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig zu gestalten (§ 9 S. 2 SGB X).

Die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen müssen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen, und die Verwaltungs- und Dienstgebäude haben frei von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren zu sein (§ 17 Abs. 1 SGB I).

Die Realität ist weit davon entfernt. Insgesamt 23 Prozent der Befragten bewerten die Erreichbarkeit des örtlichen Jobcenters denn auch als »mangelhaft«, sage und schreibe 32 Prozent bezeichnen die Situation sogar als »katastrophal«. KOS/nd

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