Trottel hat Tausende Follower

Ein Gespräch über Verschwörungstheorien und ihre Anhänger

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Die schwangere Frau von Adolf Hitler wird 1945 mit einem U-Boot aus Deutschland herausgeschmuggelt und in die USA gebracht. Jahrzehnte später schickt sich die Tochter des Diktators an, in Amerika die Macht zu übernehmen. Michael Butter muss schmunzeln, als er dieses Märchen erzählt. Aber es gab Menschen, die das glaubten.

Butter ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. »Der Inbegriff des Bösen: Hitler in der amerikanischen Fiktion 1939 bis 2002«, das war das Thema seiner 2009 publizierten Doktorarbeit. Bei seinen Nachforschungen ist er auf die Sache mit Hitlers angeblicher Tochter gestoßen. Das war quasi sein Einstieg in die wissenschaftliche Beschäftigung mit Verschwörungstheorien. Inzwischen ist er ein gefragter Experte. Journalisten wollen seine Einschätzung hören, selbst wenn es sich gar nicht um sein Spezialgebiet Amerika dreht.

So auch am späten Dienstagnachmittag im Potsdamer Landtag. Dort wird Butter befragt von Carla Kniestedt, die ihre journalistische Laufbahn beim »ND« begann, durch das RBB-Fernsehen bekannt wurde und inzwischen Abgeordnete der Grünen ist. Dementsprechend moderiert sie sehr professionell die Gesprächsrunde zum Thema »Corona, Fake News und Verschwörungen«. Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) fand es wichtig, darüber zu reden, weil »Dinge, die einfach nicht stimmen«, in die Welt gesetzt werden, sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreiten und geglaubt werden - egal, wie absurd sie klingen. Das macht Liedtke Sorgen.

Experte Butter meint allerdings: »Wir müssen nicht in Panik verfallen.« Zwar müsse man die Ausbreitung von Verschwörungstheorien ernst nehmen. Es sei in Deutschland aber noch genug Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. In Polen oder Ungarn sei es schon viel schlimmer, da dort die Regierungen und etablierte Medien solche Theorien verbreiten. In der Bundesrepublik sind sie vorerst eine Domäne der sozialen und der »alternativen« Medien.

Kollegen aus den USA haben Butter erzählt, es helfe schon gut, wenn Filter eingebaut sind, die dem Internetnutzer einen Hinweis auf seltsame, ungeprüfte Fakten geben und ihn zwingen, noch einmal zu klicken, bevor er diese zweifelhaften Inhalte lesen darf. Möglich sei es außerdem, derartige Inhalte mit Links zu seriösen Informationsquellen zu versehen. Im Fall von Corona wäre so eine Quelle die Weltgesundheitsorganisation.

Man weiß, dass ein Drittel der Deutschen Verschwörungstheorien anhängen. Dass dies mehr sind als früher, bezweifelt Butter. Wenn man beispielsweise an die Hexenverfolgung denkt, die es bis in die Frühe Neuzeit hinein gegeben hat, dann wisse man, früher seien es 80 bis 90 Prozent gewesen. Der Professor glaubt nicht, dass es mehr Verschwörungstheorien und mehr Anhänger dieser Theorien gibt als früher. Man habe nur das Gefühl, weil diese durch das Internet sichtbarer geworden seien.

Das meint auch Benjamin Lassiwe, Vorsitzender der brandenburgischen Landespressekonferenz: »Die Infrastruktur für Verschwörungstheorien ist besser geworden. Wir haben Facebook, wir haben Twitter.« Den Dorftrottel, der nachmittags um halb drei besoffen im Wirtshaus saß und schwadronierte, habe früher niemand ernst genommen. »Heute hat er Tausende Follower.« Man benötige Medienbildung. Zu vermitteln wäre dabei etwa auch, dass nicht alles stimme, was im Internetlexikon Wikipedia steht.

Für eine solche Medienbildung im Schulunterricht hat sich Parlamentspräsidentin Liedtke immer wieder eingesetzt - bislang vergeblich, wie sie bedauert. »Uns fehlt noch eine Gesamtstrategie«, sagt sie zum Umgang mit Verschwörungstheorien.

In Deutschland spricht man übrigens inzwischen lieber von Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen oder -ideologien. Für Professor Butter ist das typisch deutsch. Der Begriff Verschwörungstheorie rühre aus dem Englischen her und habe in jeder Sprache seine Entsprechung. Nur die Deutschen dächten wieder einmal, sie wüssten es besser, obwohl sich in der Geschichte mehrfach gezeigt habe, dass die Deutschen es keineswegs besser wissen.

Die klassische Zeitungsente, dass ein Redakteur nicht gründlich genug recherchierte oder auch nur eine Zahl verwechselte, habe es gegeben, seit es Zeitungen gibt, erklärt Journalist Lassiwe. Die absichtlich in die Welt gesetzten Falschnachrichten haben eine andere Qualität.

Politiker, die Desinformation betreiben, gebe es in jeder Partei, unterstreicht die Sozialpsychologin Pia Lamberty. Sie würde sich vor der Bundestagswahl im September eine Selbstverpflichtung der Parteien wünschen, dies zu unterlassen. Überhaupt glaubt sie, es gebe zwar Profitgier beim Verbreiten von Verschwörungstheorien, aber die politischen Interessen würden dabei zu wenig beachtet. Michael Butter ergänzt, es gebe Leute, die mit Verschwörungstheorien Geld machen, aber andere ruinierten sich, so etwa der Koch Attila Hildmann. »Der wird nie wieder in Kochshows auftreten oder höchstens in 50 Jahren als Geläuterter.«

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