Wie die Helden von 1996

Vor dem Match gegen Kroatien erinnern sich in Tschechien viele an das Jubeljahr

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Stefan Kuntz hat das Telefongespräch bis heute nicht vergessen. Europameisterschaft 1996, der langjährige Bundesligastürmer und heutige Trainer der U21-Nationalmannschaft, fieberte bereits dem Endspiel gegen Tschechien entgegen, als er einen Tag zuvor aus dem Landmark-Hotel mitten im Stadtzentrum von London noch einmal zu Hause anrief. Seinem Vater wollte er eigentlich nur erzählen, dass er im Finale spielen werde, als der sagte: »Mensch, wir sind so stolz auf dich! Das ganze Dorf fiebert mit. Aber Mama will noch mit dir sprechen.« Die habe nämlich in der Zeitung gelesen, dass die Queen jedem einzelnen Spieler die Hand geben werde. »Wenn die Frau dir die Hand gibt, machst du aber eine ganz tiefe Verbeugung«, berichtet Kuntz in einer NDR-Dokumentation von der mütterlichen Aufforderung.

Der 58-Jährige ist fürwahr nicht der einzige, bei dem sich die Begegnung mit der Königin von England vor Spielbeginn im alten Wembley-Stadion tief eingebrannt hat, ehe das Golden Goal von Oliver Bierhoff für Deutschland EM-Geschichte schreiben sollte.

Auch Dasin Uhrin, damals der Trainer Tschechiens, erinnert sich gut, wie ihm Queen Elisabeth II. die Hand schüttelte: »Ja, ich weiß das bis heute zu schätzen. Ich habe das Foto gerahmt.« Um den 78-Jährigen war es zuletzt eher ruhig geworden, aber auch er wird jetzt wieder auf die Episoden von der EM in England angesprochen. Denn die Parallelen bieten sich nach dem Auftaktsieg Tschechiens gegen Schottland (2:0) an: Abermals kann die Nationalmannschaft auf britischem Boden bei einer Europameisterschaft überraschen.

In Glasgow geht es im zweiten Gruppenspiel gegen Kroatien (Freitag 18 Uhr/ZDF). Der Kenner Uhrin glaubt: »Es ist ein gutes Team, geschickt, reif. Soucek, Coufal, Darida, Barak, Schick, sie sind keine Faulenzer. Sie sollten nicht vor dem Viertelfinale zurückkommen.«

Andere halten die Lorbeeren für verfrüht - erst der Gradmesser Kroatien im Hampden Park und dann der Härtetest gegen England im neuen Wembley-Tempel werden zeigen, ob Tomas Soucek, Vladimir Coufal (beide West Ham United), Vladimir Darida (Hertha BSC), Antonin Barak (Hellas Verona) oder Patrik Schick (Bayer Leverkusen) wirklich die Fährte der alten Helden aufnehmen.

Vor einem Vierteljahrhundert warf die Truppe um den Feingeist Karel Poborsky nach dem verlorenen ersten Gruppenspiel gegen Deutschland (0:2) nacheinander die Favoriten Italien, Portugal und Frankreich aus dem Turnier. Ob das Ensemble von Jaroslav Silhavy wirklich so viel Potenzial mitbringt, ist dann doch zweifelhaft. Erst im März 2019 kassierte Tschechien mit einem 0:5 in England die heftigste Abreibung seit Verbandsgründung 1993. Und: Bei der EM 2016 war schon nach der Vorrunde Schluss, für die WM 2018 gelang erst gar nicht die Qualifikation.

Deshalb gibt sich auch Patrik Berger, der lange in England, am längsten davon für den FC Liverpool spielte, als einer der prägenden Protagonisten von 1996 noch zurückhaltend. Im Finale gegen Deutschland verwandelte der langhaarige Frauenschwarm damals einen Elfmeter zum 1:0, erst spät rettete der eingewechselte Bierhoff die Deutschen mit seinem ersten Tor in die Verlängerung. Berger ist heute vor allem von Soucek beeindruckt, der sich im Stahlbad der Premier League bestens zurechtfindet. »Ich habe ihn beobachtet, er hatte eine erstaunliche Saison. Ich finde es gut, dass wir wieder einige Jungs in der besten Liga der Welt haben. Früher hatten wir mehr davon, dann war eine Zeit lang niemand mehr da«, sagte der 47-Jährige kürzlich dem tschechischen Online-Anbieter »iDnes«. Eine Prognose über den weiteren Turnierverlauf wollte er nicht abgeben; und sich genauso wenig über das unschöne Ende der EM 1996 beschweren. »Niemand hat an uns geglaubt. Wir kamen aus der Todesgruppe. Silber war am Ende wie Gold für uns.« Und den Händedruck der Queen gab’s auch noch dazu.

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