Wenn Gegensätze dominieren

Zwei gesellschaftliche Lager stehen sich laut einer Studie mit verhärteten Positionen gegenüber

Horst Seehofers Warnung war eindringlich. Als der CSU-Innenminister am Dienstag den Verfassungsschutzbericht vorstellte, rief er den Alarmzustand aus. Der Geheimdienst zählte im vergangenen Jahr 33 000 Rechtsextremisten, ein Drittel davon könnte gewaltbereit sein. Die ebenfalls ins rechte Milieu hineinreichende Reichsbürgerszene hat rund 20 000 Anhänger. Die Zahlen sind bedrohlich. Und der große Zuspruch für die AfD bei Wahlen legt nahe, dass es in Deutschland ein ausgeprägtes rechtes Lager gibt.

Diesen Eindruck bestätigt auch eine am Donnerstag vorgestellte Studie des Exzellenzclusters »Religion und Politik« der Universität Münster. Demnach hat sich in Deutschland mittlerweile jeder Fünfte der radikalen Rechten zugewandt, wobei die Autoren der Studie sie »Verteidiger« nennen. Ihnen steht das Lager der »Entdecker« gegenüber, das komplett entgegengesetzte Ansichten zu nationaler Zugehörigkeit, Demokratie und Vertrauen in die Politik hat. Der Studie zufolge gehören dieser Gruppe 14 Prozent der Bevölkerung an.

Man sei nach der Befragung von bundesweit mehr als 1400 Personen überrascht gewesen, sagte Mitautor Mitja Back, dass insgesamt ein Drittel einem der beiden Lager zuzuordnen sei. »Wer gehört zu unserem Land, wer bedroht wen, wer ist benachteiligt? Es ist erstaunlich, wie weit die Positionen bei vielen Konfliktthemen auseinanderliegen«, so der Psychologe. Das Forscherteam der Universität Münster spricht sogar von einer Spaltung der Gesellschaft, weil diese beiden Lager sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen.

Die psychologischen Grundbedürfnisse dieser Gruppen seien laut der Studie sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite sorgen sich die »Verteidiger« um die Sicherheit und wünschen sich Stabilität, auf anderen stehen Bedürfnisse der »Entdecker« nach Offenheit und Veränderung. Mitautor Back kommt zu dem Schluss, dass hinter vielen konträren Einzelthemen ein zentraler und grundlegender Konflikt um die Identität steht. Unberücksichtigt lassen die Forscher die beiden Gruppen zwischen diesen Polen, die »mittlere Positionen« vertreten.

Die Studie lässt sich auch als Mahnung verstehen. Es müsse aufgepasst werden, dass die Konflikte nicht eskalieren. Denn die »Verteidiger« wandeln ihr Bedürfnis nach Sicherheit zunehmend in eine aggressive Grundhaltung gegenüber dem Unbekannten und Fremden, heißt es. Während die »Entdecker« immer vehementer auf gesellschaftliche Veränderung »nach ihren eigenen Vorstellungen von maximaler Offenheit und Diversität« drängten. Ihr Bedürfnis nach Veränderung wandle sich zunehmend in eine »genervt-überhebliche Grundhaltung«, die das Gegenlager provoziere.

Diese Spaltung der Gesellschaft ist allerdings kein Phänomen, das nur in Deutschland auftritt. Die Bevölkerungsumfrage war auch in Frankreich, Schweden und Polen durchgeführt worden, und in vielen Bereichen gab es in den liberal regierten Ländern Frankreich und Schweden ähnliche Aussagen. In Frankreich zählt zu den beiden Blöcken rund ein Viertel der Bevölkerung. In Schweden 44 Prozent.

Anders dagegen ist die Situation in dem semi-autoritär regierten Polen, wo die Spaltung der Gesellschaft viel ausgeprägter ist. Dort liegt der Anteil beider Gruppen zusammen bei 72 Prozent. »Das zeigt, wie weit der Konflikt in einem Land gehen kann: Die polarisierten Positionen können sich zur Mehrheit ausweiten«, so Back. »Wie stark sich eine Bevölkerung polarisiert und wie sehr Bedrohungsgefühle und enge Identitätsideen auch Benachteiligungsgefühle und Misstrauen nach sich ziehen, variiert also je nach politischem System.«

Der Identitätskonflikt löst sich nicht allein, da sind sich die Studienautoren sicher. Zumal Globalisierungseffekte wie Migration, Finanzkrisen, die Klimakrise oder die Covid-Pandemie die Konflikte noch verstärken. Der Politik empfehlen die Forscher, sich nicht auf eine Seite der polarisierten Positionen zu schlagen. Weder in liberalen Demokratien noch in autoritär geführten Ländern sei so ein verhärteter Konflikt zu lösen, weil sich dann immer eine Gruppe ausgegrenzt fühle. Vielmehr gelte es, die zugrunde liegenden psychologischen Bedürfnisse auf beiden Seiten ernst zu nehmen und als gesellschaftliche Ressourcen zu begreifen. Ziel müsse es sein, die »teils weit auseinanderliegenden Forderungen beider Gruppen je auf den funktionalen Kern zurückzuführen«.

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