»Maya ist für sie reine Folklore«

Der Schriftsteller Pedro Uc Be spricht über die Maschine »Maya-Zug«, die Natur als Ressource oder Teil der Familie und über die letzte Wahl, die den Indigenen bleibt

  • Hannah Simón Fröhlich
  • Lesedauer: 7 Min.

Vor laufenden Kameras bittet der aktuelle mexikanische Präsident López Obrador die Mutter Erde mit einer pompösen Zeremonie um Erlaubnis für sein Eisenbahnprojekt namens »Tren Maya«. Maya-Gemeinden fühlen sich verspottet. Was halten Sie von dem Begriff »Maya-Zug«?

Wir finden es sehr merkwürdig, dass ein Zug Maya genannt wird. Ein Zug glaubt nicht an das, woran wir glauben, ein Zug respektiert die Natur nicht, fühlt nicht, was wir fühlen und sieht nicht, was wir sehen. Ein Zug ist ein Apparat, der dem, woran wir glauben, was wir fühlen und was wir denken, fremd ist. Unsere Weltanschauung unterscheidet sich fundamental von der westlichen. So sehen wir in der Natur Verwandte wie Schwestern, Großväter, Neffen, Mütter, Onkel.

Aus westlicher Perspektive ist die Natur bloß eine Ressource, die verkauft werden kann. Auch der Begriff Maya ist zu einer Währung geworden, mit der Unternehmen viel Profit erwirtschaften. Es gibt Maya-Restaurants, Maya-Hotels, eine Maya-Transportfirma, eine touristische Meile in Cancún, die Maya heißt, und jetzt gibt es auch noch einen Maya-Zug. Das Traurige daran ist, dass diese Objekte und Geldmaschinen das Einzige sind, was bleibt, wenn die Entwicklungsprojekte es einmal geschafft haben, mit uns fertig zu werden. Es ist blanker Hohn, dass uns sogar der Name entrissen wird, denn diese Projekte richten uns zugrunde und löschen unsere Kultur aus. Durch den enormen Wasserverbrauch sind Entwicklungsprojekte dabei, uns auszutrocknen. Dann bringen sie uns in ihre Museen und verdienen daran, unsere ausgestopften Körper auszustellen. Das ist für sie Maya, nämlich reine Folklore, die vor allem der aktuelle Präsident vorangetrieben hat.

Interview

Pedro Regalado Uc Be wurde in Buctzotz, Yucatán geboren. Seine Vorfahren sind Maya-Bauern, die seit Generationen traditionelle Subsistenzlandwirtschaft betreiben und Maya-Yucateco sprechen. Er ist Dichter, Schriftsteller, Lehrer für Sozialwissenschaften und aktiv in der Verteidigung indigener Territorien der Halbinsel Yucatán. Mit ihm sprach Hannah Simón Fröhlich.

Was bedeutet Ihnen Maya?

Maya ist für uns eine Art, die Welt zu begreifen, zu leben, uns zu organisieren, gemeinsam zu lernen und uns zu reproduzieren. Es bedeutet zu erkennen, dass der Mensch der Natur nicht überlegen ist. Für uns bedeutet Maya, den Regen und den Wind zu respektieren, die Erde zu lieben, einander zu lieben, für die Gesundheit aller zu sorgen. Wenn eines der vitalen Elemente krankt, können alle anderen auch erkranken. Maya-Sein entspricht nicht nur einer Hautfarbe, oder einer Sprache, sondern etwas, das wir Óol nennen, es bezeichnet in etwa den tiefsten Teil unseres Wesens, der mit all den verschiedenen Lebensformen verbunden ist. Unsere Sprache ist sehr lautmalerisch und das zeigt, dass sie den Vögeln, den Klängen des Windes, den Tieren und den Farben entspringt. Aber vor allem ist Maya ein Herz, das sein Territorium liebt und eine Lebensweise verteidigt, die im Einklang ist mit der Natur. Wir sind real existierende, lebendige Gemeinschaften.

Was verbinden Mayas mit dem Begriff »Entwicklung«?

Für uns ist es ein fremdes Wort. Wer hier ankommt und von Entwicklung spricht, macht uns Angst. Im Namen der Entwicklung werden große Waldflächen abgeholzt, unsere Süßwasserhöhlen, sogenannte Cenoten, und Lagunen angegriffen, wir werden vertrieben und krank. Mit dem Diskurs der Entwicklung kommt der Rassismus: Wir werden disqualifiziert, für dumm gehalten. Es heißt, der »Indio« soll beseitigt und die Menschen modernisiert werden. Aber die scheinbar so weit entwickelte Welt voller Plastik, Zement und Glas interessiert uns nicht. Wir wollen frische Luft atmen, im Regen nass werden, den Duft der feuchten Erde riechen - all das ist für uns ein erfülltes Leben. Die sogenannte Entwicklung hat diese Wirklichkeit mit Öl beschmutzt. Wenn irgendetwas entwickelt wird, dann ist es unser Tod und die ökonomische Macht der Investoren.

Sie sind schon seit einigen Jahren im Widerstand gegen das Bahnprojekt aktiv. Wie haben Sie sich organisiert?

Seit 2018 sind wir eine Versammlung namens Múuch Xíinbal. Das ist eine Gruppe aus 25 Gemeinden der Yucatán-Halbinsel, die gerade von verschiedenen Entwicklungsprojekten betroffen sind. Diese reichen von transgenen Soja-Monokulturen, die einen riesigen Teil des Urwalds in Wüsten verwandeln, bis hin zu vielen großen Schweinefarmen, die unsere Karsthöhlen und das Grundwasser verseuchen. Das Fleisch wird an China verkauft. Hinzu kommen Projekte für erneuerbare Energien, die als sauber verkauft, aber sehr schmutzig umgesetzt werden. Tourismusprojekte sprießen aus dem Boden: Es werden große Hotels und riesige Wohnsiedlungen gebaut. Viele einheimische Tiere sterben, andere fliehen. Wir haben heute keine Landschildkröten, Schlangen, Gürteltiere und Erdhörnchen mehr. Millionen von Bienen sind an den Ausräucherungen der Plantagen gestorben. Und um den Kreislauf zu schließen, kommt nun der Zug. Er soll dem Transport von Soja, Fleisch, Tourist*innen, Solar- und Windenergie dienen. Diese vier, fünf Projekte sind in sich unterschiedlich, scheinen mir aber ein einziges Paket der Enteignung zu sein. Die Menschen in unseren Gemeinschaften werden betrogen und dazu gebracht, leere Blätter zu unterschreiben, die später zu Nießbrauchverträgen gemacht werden.

Bei unserem ersten Treffen wurden zehn Kameraden und ich zur Kommission der Versammlung ernannt. Unsere Hauptprinzipien lauten, das Land weder zu verkaufen noch zu vermieten, sowie ein klares Nein zu politischen Parteien. Außerdem beantragen wir keine Fördergelder und arbeiten rein ehrenamtlich. Wir kämpfen aus unserem Wesen als Gemeinschaft heraus. Einige Klagen gegen Projekte haben wir gewonnen, andere haben wir verloren. Unsere Strategie ist vielschichtig und besteht daraus, die verschiedenen Gemeinden auf dem Laufenden zu halten. Wir nutzen verschiedene Social-Media-Kanäle zur Öffentlichkeitsarbeit. In bürokratischen Angelegenheiten wie in Rechtsfragen oder Umweltstudien unterstützen uns solidarische Akademiker*innen und Anwält*innen. Ein paar Meinungsbildner*innen helfen uns, das Thema medial auf den Tisch zu bringen. Wir werden auch vom Nationalen Indigenen Kongress begleitet. Heute ist unsere Versammlung in vielen Teilen der Welt bekannt.

Was fordern Sie?

Alle Entscheidungen über unser Land müssen einvernehmlich sein. Wenn die Regierung irgendetwas auf unserem Territorium machen will, muss sie uns auf der Grundlage der Konvention 169 der ILO dazu befragen. Dies muss mit ausreichend Vorlauf, unabhängig und informativ, kulturell angemessen und in guter Absicht geschehen. Wir entscheiden selbst, was wir brauchen. Die Regierung behauptet, der Zug befreie uns aus der Armut. Doch seit Beginn des Baus vor zwei Jahren gibt es keine einzige Gemeinde, die ihre Lebensbedingungen verbessert hätte - dafür aber welche, die arm waren und jetzt noch ärmer sind. Die Unternehmen hingegen sind gewachsen und haben ein großes Vermögen angehäuft. Wir fordern: Nichts ohne unsere Autonomie und Selbstbestimmung.

Mit Ihrem Aktivismus machen Sie sich sicher mächtige Feinde. Wurden Sie bereits bedroht?

Ja. Ein Kamerad namens Gregorio Hau Camaal, mein Sohn und ich haben Morddrohungen von der organisierten Kriminalität erhalten. Sie machen keine leeren Drohungen, daher ist die Situation gerade extrem riskant. Aber unsere Wahl ist nicht die zwischen Leben und Tod, sondern nur zwischen der einen und anderen Art von Tod. Wenn wir die Projekte zulassen, sterben wir nach und nach, wie Fische in einem Aquarium mit Leck - das Wasser beginnt auszulaufen, bis wir vertrocknen. Oder man jagt uns eine Kugel durch den Kopf. Wir haben uns längst entschieden: Wir bleiben hier und kämpfen weiter. In der jetzigen Regierungsperiode gibt es bereits mehr als 40 ermordete indigene Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler. Die Regierung stellt sich taub, nennt alle Gegner des Projekts »konservativ« und schiebt sie mit seinen Parteigegnern in dieselbe Schublade. Auf Maya gibt es diesen Begriff nicht. »Konservieren« bedeutet »bewahren«. Wenn das gemeint ist, hat er recht - wir sind Bewahrer unserer Umwelt.

Wie sehen Sie die Zukunft für sich und die Mayas?

Wir sehen noch immer kein Licht. Die Nacht der Eroberung durch den Kolonialismus dauert seit mehr als 500 Jahren an, und es scheint noch immer nicht zu dämmern. Wir sind verzweifelt. Die Regierungen wollen uns seit mehr als 500 Jahren nicht verstehen. Sie wollen nicht nachvollziehen, was wir sehen, fühlen und denken. Aber das heißt nicht, dass wir nachlassen. Genau wie die wilden Tiere, die ihren Tod nicht hinnehmen, werden wir bis zum letzten Atemzug kämpfen.

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