Vermeidbares Leid

Lisa Ecke über Hartz-IV-Sanktionen gegen Kinder und Jugendliche

Armut bedeutet für Minderjährige nicht nur Verzicht auf bestimmte materielle Dinge und weniger Chancen in der Schule. Vielmehr umschlingt sie ihr gesamtes Leben bis ins hohe Alter. Sie werden ihrer Entwicklungsmöglichkeiten beraubt und erleiden Unterversorgung. Wer mit seiner Familie in einer viel zu engen Wohnung leben oder zur Tafel gehen muss, sich das Schwimmbad mit den Freunden nicht leisten kann, verinnerlicht früh, es nicht Wert zu sein, ein ausreichend gutes Leben führen zu dürfen. Betroffen von diesem Leid sind etwa Kinder aus Familien, die Hartz IV beziehen. Dieses liegt unterhalb der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Armutsschwelle, daher ist klar, dass sich die miserable Situation noch verschlechtert, wenn die Sozialleistung gekürzt wird. Trotzdem passiert das, und zwar nicht nur in einigen Einzelfällen.

Im Corona-Jahr 2020 lebten fast einhunderttausend Minderjährige in Haushalten in Hartz-IV-Bezug, in denen mindestens eine Sanktion verhängt wurde. Das geht aus der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Katja Kipping hervor. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht 2019 geurteilt, dass es Betroffenen möglich sein muss, »die Minderung existenzsichernder Leistungen durch eigenes Verhalten abzuwenden«. Minderjährige sind dazu offensichtlich nicht in der Lage, was ebenso wenig eine Rolle spielt, wie die zusätzliche Belastung durch die Coronakrise. Dabei ist offensichtlich, dass Kinder mitbetroffen sind, wenn ihre Familien weniger Geld bekommen und weit unterhalb der Armutsgrenze gedrängt werden.

Das Leid der 95 000 im letzten Jahr von Sanktionen betroffenen Kinder wäre so leicht zu verhindern gewesen. Durch die Abschaffung der Sanktionen, die Einführung einer Kindergrundsicherung, oder durch eine zumindest zeitweise krisenbedingte Hartz-IV-Erhöhung. Passiert ist nichts. Bleibt da eine andere Erklärung, als dass Kinderarmut gewollt ist?

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