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- Diskrimierung von behinderten Menschen
Nicht besser, nur direkter
Stereotype und Vorurteile werden leicht von einer Generation auf die nächste übertragen, beobachtet Verena Borchert
Seit ich außerhalb meiner Wohnung so gut wie ausschließlich den Rollstuhl nutze, fällt mir immer wieder eines auf: Kinder starren mich an. Und was mich als Fußgängerin nie besonders gestört hat, macht mich jetzt oft wütend. Nicht das Kinder damals weniger gestarrt hätten, aber im Gegensatz zu jetzt war ich mit Kindern nie auf Augenhöhe; so war es schlicht einfacher, ihre Blicke zu ignorieren. Heute ist das anders. Und wenn ein etwa zehnjähriges Kind mich anstarrt, ohne dass die Eltern auch nur im Geringsten daran zu denken scheinen, es darauf hinzuweisen, dass das nicht in Ordnung ist, beginne ich mich nach den Gründen zu fragen. Denn es geht hier nicht um einen kurzen Blick, sondern um ein teils minutenlanges stummes Starren.
Meine Vermutung: Viele Eltern würden gerne mitstarren, trauen sich aber nicht. Denn auch von Erwachsenen kenne ich dieses Verhalten gut, nämlich dann, wenn ich gehend unterwegs bin. Da man mir meine Behinderung an meinem Gang ansieht, scheinen manche meiner Mitmenschen, egal welchen Alters, nicht umhinzukommen, mich unverhohlen anzuschauen.
Um auf die Kinder zurückzukommen: Mir ist bewusst, dass es die weit verbreitete Annahme gibt, Kinder seien – im Gegensatz zu Erwachsenen – bis zu einem gewissen Alter durchweg gut und man müsse mit ihnen grundsätzlich nachsichtig sein. Es gibt behinderte Aktivist*innen, die diese Ansicht vertreten. Dabei wird aber eines oft vergessen: Kinder übernehmen häufig das Verhalten ihrer Eltern und sind genauso Teil der Gesellschaft wie alle anderen Menschen auch. Das heißt, sie orientieren sich unbewusst an bestimmten Werten und Normen, die die Gemeinschaft ihnen vorlebt. Anders als Erwachsene sind Kinder jedoch noch viel direkter in ihrer Kommunikation.
So kommt es wahrscheinlich nicht von ungefähr, dass ich meine schlimmsten Diskriminierungserfahrungen in meiner Grundschulzeit machte. Viele nicht behinderte Erwachsene denken wahrscheinlich nicht viel positiver als Kinder über behinderte Menschen aber sie wissen meist besser, dass es unangebracht ist, eine Person anzustarren, nachzuahmen oder sie zu schubsen. Bei Grundschulkindern ist das leider seltener der Fall.
Auch Kinder haben also genau wie Erwachsene oft ein Problem mit Behinderung oder besser gesagt: Sie bekommen es im Laufe ihrer Kindheit beigebracht. Es sind also nicht einzig die Erwachsenen – wie so oft in den Medien dargestellt –, die ein Problem mit Vielfalt und Inklusion haben. Das heißt nicht, dass alle Kinder mir gegenüber negativ eingestellt sind. Ich hatte durchaus Begegnungen, die Kinder reges Interesse an mir und meinem Rollstuhl gezeigt haben und schlicht auf positive Art sehr neugierig waren. Das ist aber leider eine große Ausnahme. Und zumindest von einem der Kinder weiß ich, dass es in seinem sozialen Umfeld schon eine andere behinderte Person gab.
Was ich mir von den Eltern wünschen würde: dass sie mit ihren Kindern über Dinge wie Diskriminierung sprechen oder ihnen je nach Alter erklären, dass ihr Verhalten der Situation unangemessen ist. Denn dass Kinder so reagieren, wie sie reagieren, ist keinesfalls verwunderlich – die meisten nicht behinderten Kinder haben in ihrem Leben keinerlei Kontakt zu behinderten Kindern.
So können Stereotype und Vorurteile leicht von einer Generation auf die nächste übertragen werden. Es liegt an den Eltern, dafür zu sorgen, dass ihre nicht behinderten Kinder etwas über Behinderung erfahren und bestenfalls sogar mit behinderten Kindern in Kontakt kommen. Das ist natürlich insofern schwierig, als dass die meisten Erwachsenen ja ebenfalls ohne behinderte Menschen aufgewachsen sind und daher gewisse Stereotype und Vorurteile verinnerlicht haben. Aber es ist – neben dem Kampf um Inklusion, den wir als Behinderte selbst führen – die einzige Möglichkeit, wie es vielleicht in naher Zukunft sowohl für behinderte als auch für nicht behinderte Kinder normal sein wird, miteinander aufzuwachsen.
Und allem Pessimismus zum Trotz rolle ich vielleicht irgendwann durch ein Berlin, in dem kein Kind mich mehr anstarrt, weil es dann eine Selbstverständlichkeit sein wird, dass behinderte Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen dazugehören.
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