- Politik
- Neuer Feiertag in den USA
Wahre Freiheit bleibt für Schwarze fern
Hunderte »Juneteenth«-Veranstaltungen zum Gedenken an das Ende der Sklaverei in den Vereinigten Staaten
An jeder Ecke wummern die Bässe eines anderen Hip-Hop-Beats, ab und zu liegt Essensgeruch in der Luft. Die meisten Besucher sind schwarz. Dieses Bild bot sich am 19. Juni beim Juneteenth-Straßenfestival in Denver, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Colorado. Juneteenth ist der Gedenktag zur Befreiung der Afroamerikaner*innen aus der Sklaverei. Er wird traditionell mit Straßenfesten begangen, mit Livemusik und Verkaufsständen. Neu ist allerdings, dass Juneteenth 2021 erstmals als bundesweiter Feiertag in den USA begangen wurde – das entsprechende Gesetz unterzeichnete US-Präsident Joe Biden erst am vergangenen Donnerstag.
Vor 156 Jahren, am 19. Juni 1865, verkündete ein Nordstaaten-General in Galveston, Texas das Ende der Sklaverei. Dies geschah erst zweieinhalb Jahre nachdem der damalige Präsident Abraham Lincoln in der Emanzipationsproklamation die Abschaffung der Sklaverei verfügt hatte. Gleichwohl ist der 19. Juni der Feiertag zum Ende der Sklaverei.
Drei Afroamerikaner*innen, die sich für Antirassismus einsetzen, haben sich gegenüber »nd« exklusiv zu Juneteenth geäußert. Adrienne Lawrence lebt in Los Angeles, Kalifornien, ist Juristin, Buchautorin, Kommentatorin, Rechtsexpertin und lehrt Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion am Arbeitsplatz. Bruce Wilkinson, 66, ist katholischer Priester in der Erzdiözese Atlanta, Georgia. Er befindet sich im Ruhestand, predigt nur noch gelegentlich und befasst sich mit Rassismus in der Kirche. Deon Osborne, 28, ist Autor und Mitherausgeber der Zeitung »The Black Wall Street Times« und lebt in Tulsa, Oklahoma. Er sagt: »Juneteenth war in der US-Geschichte schon immer relevant. Doch erst jetzt wird der Tag von nichtschwarzen Leuten wahrgenommen wegen der aufsehenerregenden Lynchmorde, die die Polizei an Schwarzen verübt. Es gibt Hunderte von George Floyds jedes Jahr. Das war schon in der Vergangenheit so, als die Polizei in erster Linie auf Sklaven-Streife war.« Einer aktuellen Umfrage zufolge wissen mehr als 60 Prozent der US-Amerikaner*innen »gar nichts« oder »nur ein bisschen« über Juneteenth. »Es wird nicht offiziell im Geschichtsunterricht gelehrt, also muss man in vielen Fällen eine schwarze Person kennen, um davon zu erfahren«, so Deon Osborne.
»Der Feiertag zeigt, dass wahre Freiheit in den USA noch immer nicht erreicht wurde, trotz all der Jahre der Bürgerrechtsbewegung«, meint Bruce Wilkinson, der Pfarrer. Diese Ansicht teilen auch die linken schwarzen Abgeordneten im Repräsentantenhaus, Jamaal Bowman und Cori Bush. Sie begrüßen zwar die Entscheidung, Juneteenth zu einem nationalen Feiertag zu machen, doch das reiche noch lange nicht. »Man stelle sich einmal vor«, so Autor Deon Osborne, »ein Land, das für seine Ideale der Freiheit und Selbstbestimmung bekannt ist, hat ein riesiges Problem damit, die Menschlichkeit von 13 Prozent seiner Bevölkerung anzuerkennen – bis heute.«
Dies zeigt sich nicht nur in puncto (tödlicher) Polizeigewalt, sondern auch durch das enorme Wohlstandsgefälle zwischen weißen und schwarzen US-Amerikanern – vor allem verursacht durch Diskriminierung auf dem Immobilienmarkt und im Kreditgeschäft, Wählerunterdrückung, Masseninhaftierung, Diskriminierung bei der medizinischen Versorgung, im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt. »Juneteenth erinnert daran, dass systemischer Rassismus in den USA noch immer existiert. Es ist erforderlich, dass dieser von der schwarzen Gemeinschaft und ihren Verbündeten bekämpft und ausgemerzt wird«, fordert Bruce Wilkinson.
Die Juristin Adrienne Lawrence sieht den Gedenktag positiver: »Für mich symbolisiert Juneteenth den Fortschritt hin zu einer Gesellschaft ohne Unterdrückung. Ich begehe den Tag, indem ich meine Stimme dazu nutze, andere über die Bedeutung dieses amerikanischen Feiertages aufzuklären, denn er ist nicht nur ein Feiertag für schwarze Amerikaner*innen.« Auf die Frage, was Deutsche über Juneteenth wissen sollten, antwortet sie: »Wer gegen Sklaverei und Unterdrückung ist, sollte Juneteenth feiern – ganz gleich, welche ethnische Herkunft, Hautfarbe oder welches Heimatland man hat.«
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