Verhaltener Optimismus für den Osten

Dresdner Ifo-Institut geht von schneller Erholung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern aus

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Sonntag wird in Stolberg der automatisiert fahrende Shuttlebus »Thyra Floh« starten. »Jeweils sechs Personen kann der elektrisch betriebene Kleinbus auf seiner Fahrt befördern«, berichtet Hartmut Zadek vom federführenden Institut für Logistik der Universität Magdeburg. Der kleine Harz-Ort am Flüsschen Thyra und die Verkehrsgesellschaft Südharz werden damit zu flotten Vorreitern des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland. Nach einer Feierstunde mit Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) und Landrätin Angelika Klein (Die Linke) startet der Pendelbus, der zukünftig regelmäßig durch Stolberg verkehren wird, zu seiner ersten Runde.

Nicht überall in der ostdeutschen Provinz gibt es solche Hochtechnologie-Gründe zum Feiern. Die Gegensätze zwischen Stadt und Land haben sich seit dem Ende der DDR drastisch verschärft. Zogen seit 1990 zunächst mehr als eine Million Menschen allein aus Sachsen fort, um im Westen Arbeit zu suchen, registrieren Dresden, Leipzig oder Magdeburg seit Jahren einen teilweise enormen Zuwachs. Dieser erreicht auch andere ostdeutsche Städte und deren Speckgürtel, etwa das brandenburgische Umland von Berlin.

Derweil verödet wirtschaftlich ein Großteil der »echten« Provinz. Dort lebt die mit Abstand älteste Bevölkerung zwar in häufig wunderbar aufgehübschten Ortschaften und blühenden Landschaften, doch es fehlt an Bäckern, Schulen und Arbeitsmöglichkeiten. Die früheren Hoffnungen vieler Landespolitiker, wirtschaftliche »Leuchttürme« würden in die Provinz ausstrahlen, sind meistens zerstoben.

Dennoch haben vielerorts Bäckereien und Restaurants verkürzte Öffnungszeiten, bleiben Hotels geschlossen, können Handwerker Termine bei ihren Kunden nicht einhalten und Landwirte kommen bei der Ernte von Spargel und Kirschen nicht hinterher. Der Grund sind fehlende Arbeitskräfte. Viele Menschen haben sich in der Coronakrise andere Beschäftigung gesucht, osteuropäische Saisonarbeiter bleiben aus und mancher mag wohl auch nicht länger für kleinen Lohn hart arbeiten.

»In einzelnen Bereichen kann es sektoral wie regional zu Engpässen kommen«, blickt Joachim Ragnitz, stellvertretender Geschäftsführer des Ifo-Instituts in Dresden, voraus. Auf solche Engpässe werden viele Firmen mit höheren Löhnen reagieren, um Arbeitskräfte zu gewinnen, ist Ragnitz überzeugt. Die Dresdner Niederlassung der eher wirtschaftsliberalen Münchner Wirtschaftsforschungseinrichtung stellte am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz eine verhalten optimistische »Konjunkturprognose für Ostdeutschland und Sachsen« vor.

Im ersten Vierteljahr 2021 war die Entwicklung vor allem bei Dienstleistern noch durch die andauernden Corona-Maßnahmen gedämpft. Seither geht es für die ostdeutsche Wirtschaft bergauf: Im laufenden Jahr wird sie um 2,4 Prozent, in Sachsen sogar um 3,1 Prozent wachsen. »Wir gehen von einer schnellen und kräftigen Erholung der Wirtschaft aus«, sagt Konjunkturexperte Ragnitz. »Die wirtschaftliche Erholung dürfte gegen Ende des Jahres 2021 abgeschlossen sein.« Grund hierfür ist, dass mit dem zunehmenden Wegfall der Corona-Beschränkungen die Wirtschaft wieder stark wachsen wird. Im Jahre 2022 wird die Wirtschaftsleistung in Ostdeutschland dann um 3,6 Prozent über dem Vorjahresniveau liegen; in Sachsen wird der Anstieg des Bruttoinlandsproduktes 3,9 Prozent betragen.

Die Voraussagen des Ifo-Instituts stehen unter dem Vorbehalt, dass nicht eine vierte Corona-Welle zu einem weiteren harten Lockdown führt. »Im Jahr 2022 dürfte Corona keine Rolle mehr für die deutsche Wirtschaft spielen«, erwartet Ragnitz. Das Wachstum sollte sich dann in allen Zweigen normalisieren. Auch die Lieferengpässe bei Baumaterialien, Mikrochips und anderen Waren müssten im nächsten Jahr wieder verschwinden.

Die Corona-Pandemie hatte die Wirtschaft in Ostdeutschland insgesamt etwas weniger heftig getroffen als in Westdeutschland. Entsprechend dürfte der Aufschwung ein wenig geringer ausfallen. Das hat strukturelle Gründe, wie den demografischen Wandel und den geringeren Anteil der Industrie an der gesamten Wirtschaftsleistung. An dieser Stelle könnten dann doch wieder »Leuchttürme« einen Weg weisen. Sei es die neue milliardenschwere Chip-Fabrik, die das Stiftungsunternehmen Bosch vor zwei Wochen in Dresden in Betrieb nahm und in der einmal 700 Menschen arbeiten sollen. Oder sei es der »Thyra Floh«, der ganz Stolberg bewegt.

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