Sympathie für eine Verzweiflungstat

Prozess gegen Valérie Bacot bewegt Frankreich - Gewalt an Frauen fordert jährlich mehr als 100 Opfer

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Fakten sind unumstritten, doch was entscheidend ist und auch im Gerichtssaal ausführlich erörtert wird, ist das, was dieser Tat vorausgegangen ist. »Es war die Hölle, Tag für Tag«, fasst die zierliche 40-jährige Frau ihr Leiden in schlichten Worten zusammen. Ihr Mann war ein tyrannischer und gewalttätiger Alkoholiker. Das bestätigen alle, die ihn kannten.

Der zum Zeitpunkt seines Todes 61-jährige Daniel Polette kannte seine spätere Frau schon, als sie zwölf war und er der Geliebte ihrer alleinstehenden Mutter. Damals hat er sie das erste Mal vergewaltigt - und dann über Jahre immer wieder. Für diese und vergleichbare Taten wurde er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Als er diese abgesessen hatte, ließ sich die inzwischen 17-jährige Valérie auf eine Ehe mit ihm ein, um so ihrer alkoholsüchtigen und gewalttätigen Mutter zu entkommen.

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Doch damit kam sie vom Regen in die Traufe. Ihr Mann hat sie terrorisiert, brutal behandelt und oft geschlagen. In den letzten 14 Jahren dieser Zwangsehe hat er sie zur Prostitution gezwungen, für 20 bis 50 Euro pro Akt. Dafür hatte der nebenberufliche Zuhälter einen Kleinbus umgebaut und mit einem Bett und Vorhängen ausgestattet.

Dass Valérie vor der letzten Fahrt auf den »Strich« - einen mitten im Wald gelegenen Autobahnrastplatz - einen Revolver aus der illegalen Waffensammlung ihres Mannes genommen und eingesteckt hatte, wertet der Staatsanwalt als »Mordvorsatz«. Valéries Verteidiger wollen die Richter überzeugen, dass es in Wirklichkeit die Verzweiflungstat einer Frau nach einem neuerlichen und besonders brutalen Gewaltakt ihres Mannes war - also nicht Mord, sondern Notwehr.

Die Tat so zu bewerten und ein entsprechend milderes Urteil zu fällen, wird auch in einer von Frauenvereinen initiierten Petition gefordert, die im Internet bereits von 540 000 Menschen unterzeichnet wurde.

Ansätze für eine solche Neubewertung gibt es seit einigen Jahren. Große Aufmerksamkeit und Sympathie in breiten Kreisen der Öffentlichkeit fand - so wie heute bei Valérie Bacot - 2012 der Fall Jacqueline Sauvage. Nach 45 Jahren Ehe, die eine nicht enden wollende Tortur war, hatte die 68-jährige Frau ihren alkoholsüchtigen und gewalttätigen Mann, der auch die drei Töchter vergewaltigte, 2012 mit einem Jagdgewehr erschossen. Die Richter wollten keine Notwehr anerkennen und verurteilten sie zu zehn Jahren Gefängnis. Die Frau begnadigen, wie es eine von mehr als 300 000 Menschen unterzeichnete Petition gefordert hatte, wollte Präsident Francois Hollande nicht. Aber er reduzierte ihre Strafe um die Hälfte.

Fälle wie die von Jacqueline Sauvage und Valérie Bacot sind nur die Spitze eines Eisbergs, aber sie machen einmal mehr die Öffentlichkeit auf das Problem von Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Damit beleben sie die Debatte, wie mit diesem Problem umgegangen werden sollte und wie man die betroffenen Frauen besser schützen kann.

Drei Dutzend Abgeordnete der Nationalversammlung haben kürzlich einen Gesetzentwurf zur Revision des Notwehrrechts eingereicht. Doch das würde nur denen helfen, die Selbstjustiz üben und dafür heute noch teuer büßen müssen. Nach Lösungen muss breiter gesucht werden, und das schnell.

Jedes Jahr verlieren in Frankreich mehr als 100 Frauen durch die Hand ihres Partners ihr Leben. Frauenverbände schätzen, dass jährlich 220 000 Frauen durch eheliche Gewalt verletzt werden. Von ihnen traut sich nur knapp ein Viertel, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Das liegt nicht zuletzt an den schlechten Erfahrungen, die viele von ihnen dort machen müssen. Zu oft werden sie abgewiesen oder ihre Worte werden offen oder indirekt in Zweifel gezogen. Nach jedem spektakulären Fall ehelicher Gewalt mit tödlichem Ausgang zeigt sich die Regierung betroffen und die Politiker versprechen, dass mehr zum Schutz von Frauen getan werden soll, vor allem präventiv, und das schon von der Schule an. Auch die Polizisten sollen zu diesem Thema besser aus- und weitergebildet werden. Doch bisher hat sich kaum etwas verändert. Von Anfang des Jahres bis heute zählt man bereits wieder 52 tote Frauen.

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