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Wir Nachkriegsgeborenen waren eine Machogeneration
Konstantin Wecker über die wunderschöne Idee der Utopie, Pazifismus und Poesie als Waffe gegen rechts
Herr Wecker, Sie haben ein Album und ein Buch der positiven Vision gewidmet, der Utopie. Welche realisierbare Veränderung wäre eine wichtige Wegmarke für einen Pfadwechsel?
Zuerst einmal finde ich es wichtig, dass die wunderschöne Idee der Utopie überhaupt am Leben erhalten wird. Der Neoliberalismus und Kapitalismus, das Patriarchat und die Diktatoren tun ja alles dafür, dass die herrschaftsfreie Idee von Utopia als spinnös bezeichnet wird. Die Kunst hat aber die Aufgabe, sie weiterzutragen. Zum Beispiel Stefan Zweigs atemberaubend schönes Buch über Erasmus von Rotterdam. Dieser hat seinem Freund Thomas Morus, Autor von »Utopia«, ein Buch gewidmet. Dadurch habe ich mich noch einmal intensiv mit meinen politischen Grundthemen Räterepublik und Anarchie und mit Utopia beschäftigt.
Von Konstantin Wecker, geboren 1947 in München, erschienen 1973 als Solodebüt »Die sadopoetischen Gesänge«. Der öffentliche Durchbruch gelang dem Künstler 1977 mit »Genug ist nicht genug«. In den Folgejahren entwickelte Wecker sich zu einem gefragten Filmkomponisten, 1985 verfasste er eine Theatermusik zu Goethes »Faust I«. Bis heute hat der Sänger und Schauspieler 25 Studioalben veröffentlicht sowie Dutzende Filmmelodien, Musicals und Bücher geschrieben. 2017 erhielt der bekennende Pazifist den Bayerischen Staatspreis für Musik, im Jahr darauf den Göttinger Friedenspreis und 2019 die Albert-Schweitzer-Medaille. Seit 1996 ist Konstantin Wecker mit Annik Berlin verheiratet; das Paar hat zwei Söhne und lebt abwechselnd in München und in der Toskana. Diese Woche erschien seine neue CD »Utopia« sowie im Kösel-Verlag ein Plädoyer für Kunst und Kultur: »Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten«. Mit Konstantin Wecker sprach Olaf Neumann.
Nach der Backlash-Theorie haben die feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte rechtskonservative Politiker wie Donald Trump und Jair Bolsonaro erst möglich gemacht.
Oft erfolgt mit einem Fortschritt gleichzeitig ein Rückschritt. Mit der Idee einer herrschaftsfreien Welt schafft man natürlich auch rechtsradikale Gegner dieser Idee. Das darf uns aber nicht daran hindern, weiterhin gegen den Trumpismus und das Patriarchat vorzugehen.
Die Utopie der 1960er Jahre lautete, wir werden irgendwann mal befreit sein und ein befriedetes Dasein miteinander führen. Die Gegenwart sieht aber ganz anders aus: Möchtegern-Diktatoren in etlichen Ländern, Aufrüstung, kriegerische Auseinandersetzungen, weltweite Pandemie. Hat die Zukunft ihre Überzeugungskraft verloren?
Nein, denn es sieht nach einem letzten großen Aufbäumen des Patriarchats und des Kapitalismus aus. In meinem neuen Buch, das gleichzeitig mit dem Album erscheint, habe ich zwei Kapitel der Utopie und der Anarchie gewidmet. Während dieser pandemischen Zeiten dürfen wir nicht vergessen, dass es weltweit auch antirassistische Bewegungen gibt. Oder eine starke Frauenbewegung, auch in Ländern, wo man sie nie erwartet hätte. Ich habe Leute von Fridays For Future kennengelernt, weil ich auf diese Bewegung eine Laudatio gehalten habe. Atemberaubend, was das für kluge junge Menschen sind!
Woran machen Sie das fest?
Die begehen nicht die Fehler, die uns nach der 68er-Revolution passiert sind. Ich bin kein Politikwissenschaftler, aber ich habe diese lustvollen anarchischen Ideen noch selbst erlebt. Jedoch wurden sie im Lauf der Zeit durch strenge Ideologien kaputtgemacht. Meine Bühne wurde in den 1970er und 1980er Jahren häufig besetzt von den verschiedensten linksradikalen Gruppen. Die meinten, nur ihre eigene Ideologie könne die Welt retten. Genau das hat sich der Neoliberalismus mit seinen Thinktanks zunutze gemacht. Der Klassenfeind hat leider gesiegt.
Was macht Fridays For Future aus Ihrer Sicht anders?
Diese Bewegung ist zum Beispiel weiblicher. Wir hatten zwar den Feminismus intellektuell akzeptiert, aber wir Nachkriegsgeborenen waren im Endeffekt eine Machogeneration. Zum Glück waren meine Eltern Antifaschisten, weswegen ich nicht gegen sie demonstrieren musste. Zum Teil bin ich sogar mit meiner Mutter auf Demos gegangen. Ein glücklicher Zufall, dass ich in dieses Elternhaus hineingeboren wurde.
Ihr Vater hat unter Hitler den Kriegsdienst verweigert. Stammt der Satz »Es gibt kein Recht auf Gehorsam. Verweigern wir uns der Macht« von ihm?
Eigentlich ist es ein Satz von Hannah Arendt, der seit Jahrzehnten in mir verankert ist. Mein Vater hat aber genau das Gleiche gesagt. Er war ein erstaunlich antiautoritärer Mensch. Für die Zeit der schwarzen Pädagogik, in der er geboren ist, ein Wunder.
Hat Ihr Vater Ihnen auch dazu geraten, den Kriegsdienst zu verweigern?
Ich habe mich überhaupt nicht darum gekümmert, ich wollte auch nie zum Militär. Irgendwann bekam ich aber den Einberufungsbefehl. Damit ist mein Vater zum Kreiswehrersatzamt gegangen, zerriss ihn und sagte: »Ich war in der Hitlerzeit nicht beim Militär und mein Sohn geht jetzt auch nicht da hin!« Es ist natürlich verboten, ein amtliches Dokument zu zerreißen, und so dachten sie: Der Vater ist schon wahnsinnig, der Sohn wird es wohl auch sein. Sie haben ihm dann geraten, meinen Geisteszustand prüfen zu lassen. Und darauf habe ich mich gründlich vorbereitet.
Auf welche Weise haben Sie dies getan?
Ich habe mich psychologisch vorbereitet. Als Kriegsdienstverweigerer wurde einem immer folgende Frage gestellt: »Was machen Sie, wenn Sie mit ihrer Freundin durch den Wald gehen und jemand mit einer Waffe kommt auf Sie zu? Wenn Sie auch eine Waffe haben, erschießen Sie den doch?« Ich antwortete: »Ich gehe nie mit einer Waffe durch den Wald! Ich verweigere einfach Waffen, also kann ich den auch nicht erschießen.« Ich habe denen auch ganz klar gesagt, dass mein Freiheitsdrang so groß ist, dass ich bestimmt vom Militär abhauen würde. Ich war ehrlich - und das war gut. (lacht)
Waren Sie schon immer angstfrei?
In solchen Angelegenheiten: Ja.
Sie streiten auch unbeirrt seit Jahrzehnten gegen Aufrüstung und Wettrüsten.
Meine Waffe ist die Zärtlichkeit, die Liebe, die Poesie. Es ist völlig idiotisch, Krieg durch Krieg besiegen zu wollen. Entweder es wird ein wirklich pazifistisches Zeitalter kommen oder die Menschheit wird zugrunde gehen. Kaum vorstellbar, dass die Atombomben, die vorhanden sind, im Falle eines Krieges nicht eingesetzt werden.
»Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« ist ein Grundgedanke der europäischen Idee, aber der Waffenhandel ist gerade in Zeiten der Pandemie in Europa um zehn Prozent gestiegen. Diese Summen könnten ärmere Menschen, ärmere Staaten dringend gebrauchen, um sich besser vor Pandemien zu schützen.
Wann oder wie ist in Ihnen der Pazifismus erwacht?
Ich hatte natürlich Schützenhilfe durch meine freigeistigen Eltern. Auf meiner Volksschule und auf dem Gymnasium tummelten sich noch die unangenehmsten Nazi-Lehrer. Wo hätten sie auch andere herkriegen sollen, unmittelbar nach dem Krieg? Da waren auch noch Ohrfeigen erlaubt. Und es wurde einem hin und wieder mit dem Lineal auf die Finger geschlagen, bis sie bluteten. Wenn die mir irgendetwas wollten, hat mein Vater denen gesagt, sie sollen sich vorsehen.
Und haben Sie selbst gegen diese autoritären Pädagogen aufbegehrt?
Ja, vor allem im Gymnasium, aber auch schon in der Volksschule. Ins Gymnasium ging ich als 13-Jähriger ganz bewusst mit Bakunin und Kropotkin unterm Arm. Ich hatte die nicht gelesen, aber ich wusste, mit diesen Anarchisten provoziere ich meine Lehrer. Zum Glück hatten wir auch großartige Referendare. Ich sage Lehrern heute immer: »Wenn ihr nur einen aus der Klasse erreicht, habt ihr schon gewonnen!« Jeder hatte eigentlich ein oder zwei Lehrerinnen oder Lehrer, die sehr wichtig für ihn waren.
Sie haben Ihr berühmtes Lied »Willy« von 1977 neu eingespielt. Sie widmen es nun dem 22-jährigen Vili Viorel Păun, der am 19. Februar 2020 mit dem Mut der Verzweiflung den Attentäter von Hanau verfolgte, sich ihm mit seinem Auto in den Weg stellte und dafür kaltblütig erschossen wurde. Welche Reaktionen gab es auf die Neufassung Ihres Liedes?
Ich erhielt im letzten Jahr viele Beleidigungen, musste mir manches anhören, beispielsweise auch, weil ich nicht bei den Querdenkern mitlief. Auf die Neufassung von »Willy« gab es nur positive Resonanz. Der Neonazi, der mich sonst angreift, hört sich offenbar diese zehn Minuten nicht an.
»Willy« ist keine Poesie, sondern ein Talking Blues. Immer, wenn ich nicht mehr wusste, wie ich meine Wut in Worte fassen soll, habe ich zu dieser Art von Musik gegriffen. Darum ist das Lied auch auf Bayerisch.
Außerdem: Mir war immer bewusst, dass ich eine sperrige Kunst mache. Ich habe nie Lieder oder Gedichte geschrieben, um damit reich und berühmt zu werden.
Vili Păun, der 2017 von Rumänien nach Deutschland kam, erhielt posthum die Hessische Medaille für Zivilcourage. In »Schäm dich, Europa!« klagen Sie scharf die Flüchtlingspolitik an. Was kritisieren Sie an dieser vor allem?
Es gibt viele engagierte Menschen, die sich um Migrant*innen kümmern. Meine Frau gehört zu ihnen, sie war zum Beispiel auf Lesbos. Es ist zum Heulen, wie derzeit Europa heimtückisch die Grenzen zumacht, Geflüchtete auf dem Meer verrecken lässt und Bündnisse mit Staaten schließt, denen Geld vorschießt, damit sie ihre Bevölkerung daran hindern, nach Europa zu ziehen. Eine Schande für Europa! Der Bürgermeister von Palermo meinte, wir könnten Millionen von Menschen aufnehmen. Das verlangt nicht mehr und nicht weniger als Humanität.
Wie kommt es, dass heute Rassisten und Faschisten wieder überall in den Parlamenten sitzen?
Aus Bequemlichkeit. Die Wähler denken, ihnen werde das bisschen Wohlstand bewahrt. Es ist auch eine tiefe Angst davor, sich immer wieder etwas Neuem stellen zu müssen. Ich habe mich in meinem Buch »Die Kunst des Scheiterns« ein halbes Jahr lang nur mit den Niederlagen in meinem Leben beschäftigt. Faszinierend, was man aus dem Scheitern lernen kann!
Ich werde mich immer gegen die Taten der Neonazis stellen, aber verurteilen kann ich niemanden. Was für eine Kindheit muss der Nazi gehabt haben?! Gerade jemand wie ich sollte sich im moralischen Verurteilen zurückhalten. Ich habe mich jetzt wieder mit Wilhelm Reichs »Massenpsychologie des Faschismus« beschäftigt. Der Faschismus konnte nur durch Mythen groß werden, die durch die Ratio nicht zu knacken waren. Bei den Nazis gab es keine Entwicklung des Hirns.
Sie haben die Hoffnung, dass die Pandemie die Gesellschaft zusammenschweißen wird: »Corona kann eine Wende sein, hin zu mehr Solidarität und Menschlichkeit«. Woran machen Sie das fest?
Das sind eigene Beobachtungen. Vielleicht begreifen viele Menschen den Wahnsinn des Kapitalismus jetzt ein bisschen mehr als vor der Pandemie.
Glauben Sie, dass Menschen bereit wären, zugunsten der Umwelt auf Wohlstand à la doppeltes Einkommen, Eigenheim im Grünen mit Schottergarten und SUV zu verzichten?
Vielleicht, weil sie Kinder haben. Die Erde wird so nicht überleben. Wir haben alles getan, um unsere Umwelt und Tierwelt zu vernichten. Aber die eingefleischten Kapitalisten werden sicher nicht Verzicht üben. Die leugnen ja auch den Klimawandel. Dann können sie so weiterleben wie bisher.
Sind Sie mit der Zeit zu einem »Öko« geworden?
In gewisser Weise ja. Ich könnte das Engagement für Parents For Future und Fridays For Future nicht mittragen, wenn ich nicht im tiefsten Herzen auch so handeln würde. Aber man macht immer wieder Fehler.
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