»Frauenort« für Atomkraftgegnerin
Ehrung für Marianne Fritzen, die lange Zeit das Gesicht des Protestes im Wendland war
Ein Foto machte sie bundesweit bekannt: Im März 1979 steht Marianne Fritzen bei einer Demonstration in Gorleben ganz allein vor einer Polizeikette. Die Handtasche unter den linken Arm geklemmt, schaut sie mit einer Mischung aus Trotz und Misstrauen zu behelmten Gesichtern hoch. Fritzen war über viele Jahre im Wendland das Gesicht des Protestes gegen Atomkraft. 2016 starb sie im Alter von 91 Jahren. Nun erinnert ein »Frauenort« im Rundlingsdorf Schreyahn im Kreis Lüchow-Dannenberg an die streitbare Umweltschützerin.
Mit der Initiative »Frauenorte« will der Niedersächsische Frauenrat die Erinnerung an bedeutende Frauen in dem Bundesland wachhalten. Zu den bisher in die Liste aufgenommenen Persönlichkeiten zählen etwa die Worpsweder Künstlerin Paula Modersohn-Becker, die Oldenburger Pädagogin und Frauenrechtlerin Helene Lange sowie die 1770 in Göttingen geborene Dorothea Schlözer, die im Alter von nur 17 Jahren als erste Frau den Titel Doktorin der Philosophie erhielt. Kulturangebote an den »Frauenorten« umfassen unter anderem Lesungen, Vorträge und Stadtrundgänge. Der »Frauenort« für Marianne Fritzen ist der 45. in dieser Reihe.
Fritzen, Tochter einer Französin und eines Saarländers, wuchs im Elsass auf und machte in Paris das Abitur. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs zog sie zunächst nach Berlin und 1957 mit Mann und Kindern ins Dörfchen Kolborn in der Nähe von Lüchow. Als in den 1970er Jahren Pläne für den Bau eines Atomkraftwerks in der Region bekannt wurden, setzte sich Marianne Fritzen erstmals gegen Atomkraft ein. 1973 beteiligte sie sich an der Gründung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, bis 1982 führte sie die Initiative als Vorsitzende.
Der Widerstand in Gorleben wurde in der bundesweiten Antiatombewegung und der Öffentlichkeit wichtig. Marianne Fritzen stand plötzlich im Rampenlicht und musste lernen, damit umzugehen. Sie musste Staatsgäste - mehr oder weniger herzlich - begrüßen, kämpferisch die Position der Atomkraftgegner vertreten und doch immer wieder zwischen den unterschiedlichen Interessen und Ideologien der Widerstandsgruppen in- und außerhalb des Wendlands ausgleichen. Ihre gleichzeitig radikale wie konsequent gewaltfreie Position hat Fritzen beibehalten. Auch nach der gewaltsamen Räumung der »Republik Freies Wendland« im Juni 1980 gehörte sie zu den Gewaltfreien - wenngleich es sie nach eigenem Bekunden Kraft kostete, die Wut über die »Maßlosigkeit des Staates und die Instrumentalisierung der Polizei gegen die Bürger« nicht in militanten Aktionen münden zu lassen.
Fritzen gehörte zu den Mitbegründern der Grünen und saß für sie in kommunalen Parlamenten. Im Jahr 2000 brach sie aus Protest gegen den Atomkonsens, den die SPD-Grünen-Bundesregierung mit den AKW-Betreibern schloss, mit der Partei. Der Krieg gegen Jugoslawien bestärkte sie noch in ihrer Entscheidung, wie Fritzen später sagte. Das ihr zugedachte Bundesverdienstkreuz lehnte sie ab - ebenso die ihr von einigen Medien zugedachten Titulierungen wie »Mutter des Widerstandes«.
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