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Polizeikritik, aber richtig
Reicht es im Kapitalismus, einfach nur die Polizei abzuschaffen? Das diskutiert die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift »Cilip«
Vor über einen Jahr gingen auch in Deutschland Tausende Menschen gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße. Die Massenproteste, an der sich vor allem junge migrantische Menschen beteiligten, waren von der »Black Lives Matter«-Bewegung in den USA inspiriert. Wenig bekannt ist dagegen, dass es auch in der BRD, ausgehend von dem Aufbruch nach 1968, eine Geschichte der linken Polizeikritik gibt. Dafür steht die Ende der 70er Jahre gegründete Zeitschrift »Cilip«, die bis heute den Untertitel »Bürgerrechte und Polizei« trägt. 1984 schrieb die damalige Redaktion, dass sie sich von der Utopie einer staats- und gewaltlosen Gesellschaft leiten ließe. Daran wird auch in der aktuellen Ausgabe der »Cilip« erinnert, die den Titel »Lieber ohne Polizei?« trägt. Britta Rabe, die politische Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, betont in ihrem Beitrag: »Meinen wir es ernst mit der Suche nach Wegen hin zu einer gerecht(er)en Gesellschaft, ist die Abschaffung des aktuellen Strafsystems die unausweichliche Konsequenz.«
Die Soziologin Helga Cremer-Schäfer setzt sich kritisch mit denjenigen auseinander, die in Sozialarbeit eine Alternative zur Polizei sehen. Besonders im linksliberalen Milieu der »Black Lives Matter«-Bewegung will man unter dem Motto »Defund the police« (der Polizei die Finanzierung entziehen) Gelder von der Polizei in die Sozialarbeit umlenken. Doch Cremer-Schäfer weist darauf hin, dass im neoliberalen Kapitalismus die soziale Arbeit für die »Kontrolle von Normabweichungen« zuständig ist. Sie ersetze daher die Polizei nicht, sondern ergänze sie. Die Sozialwissenschaftlerin erinnert an die linken Debatten der 80er Jahre, die den Abolitionismus, also die Abschaffung von Gefängnissen und anderen sozialen Zwangsanstalten wie Heime und Psychiatrien, als Gegenentwurf zur Ideologie des Reformstrafvollzugs diskutierten. Cremer-Schäfer sieht in Institutionen und damit auch in der institutionellen Sozialarbeit keine emanzipatorische Alternative zum Status quo. »Kriminalität abschaffen können nur Anti-Institutionen«, so die emeritierte Soziologin.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Wenig beachtet bleibt - auch bei Cremer-Schäfer - das Verhältnis von Kapitalismus und Gefängnissystem. Ist in einer Klassengesellschaft eine Gesellschaft ohne Gefängnisse und anderen Zwangssysteme überhaupt möglich? Und wie kommen wir in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft dahin, sie zunehmend überflüssig zu machen? Solche Fragen werden in den Beiträgen der »Cilip« zumindest angerissen, was man für große Teile der polizeikritischen Bewegung in den USA, aber auch in Deutschland nicht behaupten kann.
Wie problematisch es ist, wenn man sich nur auf den Kampf gegen die Polizei konzentriert, macht die Sozialwissenschaftlerin Jenny Künkel in ihrem Beitrag zum Kopenhagener Alternativstadtteil Christiania deutlich. Sie zeigt auf, dass die viel gelobte Autonomie dieses Kiezes ausgesprochen begrenzt ist. Die staatliche Drogenpolitik bestimmt das Leben im angeblich selbstverwalteten Stadtteil, und des Öfteren kam es zur Kooperation von Bewohner*innen und Polizei gegen den Verkauf von harten Drogen.
»Cilip« liefert in den acht Beiträgen zum Schwerpunktthema gute Argumente dafür, dass eine Polizeikritik, die nichts vom Kapitalismus wissen will, nur zu Umgruppierungen bei den repressiven Staatsapparaten führt, zu denen der marxistische Philosoph Louis Althusser schon in den 70er Jahren neben Polizei und Armee auch Schule, Universitäten und Sozialindustrie zählte.
Unter den aktuellen »Cilip«-Beiträgen ist neben einer Kritik am geplanten neuen Versammlungsrecht in Nordrhein-Westfalen, das die Demonstrationsrechte einschränkt, besonders der Aufsatz von Fabian Bennewitz über die bundesdeutsche Polizeihilfe in Zentralamerika von 1980 bis 1990 hervorzuheben. Er erinnert an den spezifisch bundesdeutschen Beitrag im Kampf gegen die damaligen linken Guerillabewegungen. Er zeigt aber auch, dass die seinerzeit starke linke Solidaritätsbewegung mit dazu beigetragen hat, dass die Polizeihilfe zur Aufstandsbekämpfung schließlich eingestellt werden musste.
Ausgabe 125 der »Cilip. Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei« zum Thema »Lieber ohne Polizei?«. Zu beziehen über: www.cilip.de
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