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Intensivkurs Bahnenziehen
Regierungen und Verbände haben eine konzertierte Aktion fürs Schwimmlernen von Schülern gestartet
Platsch! Mit einem dicken Bauchplatscher vom Steg klatscht die Siebenjährige auf die Wasseroberfläche des Vorder- oder Haussees im ostbrandenburgischen Obersdorf bei Müncheberg (Märkisch-Oderland). Gekonnt schwimmt die junge Grundschülerin aus Berlin anschließend trotz des harten Aufpralls durch den an dieser Stelle zwei Meter tiefen See, am Badeanzug ihrer Schulfreundin prangt groß das Seepferdchen-Schwimmabzeichen. Für das Freischwimmer-Abzeichen hat es noch nicht gereicht, wegen der Pandemie gab es in den vergangenen eineinhalb Jahren keine Gelegenheit für die jungen Mädchen, das Abzeichen zu erwerben. Dass sie dennoch recht gut schwimmen kann, liegt daran, dass die Eltern ein Wochenendhäuschen haben und mit den Kindern häufig üben. Derart gute Bedingungen fürs Schwimmenlernen haben nur wenige, viele Kinder konnten pandemiebedingt in der Region nicht üben, weil die Schwimmhallen über Monate gesperrt waren.
Wie massiv die Unterrichtsausfälle beispielsweise in Brandenburg waren, zeigen Statistiken der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Im vergangenen Jahr konnte der Verband mit insgesamt nur 4588 Kursstunden über 70 Prozent weniger als im Jahr zuvor anbieten. »Dabei wurden 422 Schwimmer ausgebildet und angelernt, während es im letzten Vor-Coronajahr 2019 noch 1417 waren«, sagt DLRG-Landesverbandssprecher Daniel Keip. Die Zahl der geprüften Seepferdchen-Schwimmabzeichen habe sich gleichzeitig um 52,3 Prozent von 547 auf 260 verringert.
»Die Zahl der Nichtschwimmer hat sich aufgrund der langen Schließzeiten der Schwimmhallen definitiv erhöht«, sagt auch die Geschäftsführerin des Brandenburger Landesschwimmverbands (LSV), Maren Nagel. Konkrete Zahlen nennt sie nicht. Mindestens genauso große Sorgen bereiteten dem Verband allerdings auch die Kinder, die noch vor der Corona-Pandemie ihr Schwimmabzeichen gemacht haben, denen aber jetzt jegliche Praxis und Sicherheit fehle. »Hier möchten wir besonders an die Eltern, aber auch an die Schulen appellieren, diesen Kindern besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.«
In Berlin versuchen unterdessen die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, der Landessportbund Berlin, der Berliner Schwimmverband sowie die Berliner Bäder Betriebe in einer konzertierten Aktion, das Schwimmdefizit bei den jungen Schülerinnen und Schüler anzugehen. »Seit diesem Montag haben zwölf Hallenbäder geöffnet, dort finden die Nachholschwimmkurse statt, um die ausgefallenen Schwimmschulstunden zu kompensieren«, sagt Bäderbetriebe-Unternehmenssprecher Matthias Oloew zu »nd«. Das Konzept ist, mit zwei Intensivkursen, die jeweils drei Wochen der Ferienzeit in Anspruch nehmen, das Schwimmen zu vermitteln. Das Angebot gilt insbesondere für Dritt- und Viertklässler. Wie gut das Angebot angenommen wird, zeigte sich bereits in der vergangenen Woche: Von den 8000 Plätzen waren am vergangenen Mittwoch bereits 7200 Plätze vergeben.
Mit Skepsis blickt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft Berlin auf die komprimierten Angebote: Diese bedeuteten entweder mehr Kinder im Kurs oder kürzere Zeiten. »Kinder durchzuschleusen, wird keine sicheren Schwimmer erzeugen«, sagt Sprecher Michael Neiße. Vor der Corona-Pandemie fanden die Schwimmkurse in den Schulen für die Drittklässler immer über das gesamte Schuljahr verteilt statt. Die durch die Pandemie entstandenen Defizite würden nur schwer aufgeholt werden können - schon vor der Pandemie gab es Engpässe bei den Schwimmkursen, weil Bäder aus Sanierungsgründen länger geschlossen waren. »Die Pandemie hat da noch einen draufgesetzt«, sagte Neiße.
Einen ähnlich großen Ansturm von jungen Menschen gibt es unterdessen allerdings auch auf die Ferienkurse in den Sommerbädern der Bäderbetriebe, die ebenfalls an diesem Montag begonnen haben. Auf der Homepage der Bäderbetriebe ist beispielsweise der Verkauf für den »Junior Delfin Grundkurs Seepferdchen« bereits beendet oder sie sind häufig bereits restlos ausverkauft. »Ich befürchte, die sind alle ausverkauft«, erklärt Unternehmenssprecher Oloew.
Für Kinder bis zwölf Jahre, die ins Freibad wollen, hatte der rot-rot-grüne Senat für die Ferienzeit einen freien Eintritt angekündigt. Bisher wurde das generöse Angebot aber noch nicht vollständig ausgeschöpft. Aktuell planen die Bäderbetriebe quasi mit VIP-Tickets für die Kleinen, wie es seitens des kommunalen Unternehmens heißt. Zeichnet sich am Vorabend allerdings ab, dass die Kontingente für die Frei- und Strandbäder nicht über die obligatorische Internetvorbestellung abgerufen werden, schaufeln die Bäderbetriebe die verbliebenen Karten in den normalen Verkauf hinüber, damit die Tickets nicht sinnlos verfallen. Zwar waren die Regelungen für den Schwimmbadbesuch zuletzt noch einmal gelockert worden. Die Beschlüsse des Senats hatten den Bäderbetrieben mehr Handlungsspielrum gegeben. Dazu zählte auch, dass die Kontingente für die Besucherinnen und Besucher für die jeweiligen Bäder noch einmal erhöht wurden.
Trotz der zusätzlichen Eintrittskarten sind in einigen Bädern die Zeitfenster-Tickets schnell vergeben - Bahnenziehen ist also nicht nur für Kinder ein Privileg, sondern auch für Erwachsene. Bei 3,80 Euro Einheitseintritt pro Schwimmbadbesuch ist in Berlin in diesem Jahr auch das noch mal teurer geworden. mit dpa
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