Zurück ins Großraumbüro?

Das Auslaufen der aus Infektionsschutzgründen eingeführten Homeoffice-Pflicht sorgt für Ärger

Die coronabedingten Infektionsschutzregeln haben möglich gemacht, was viele Arbeitnehmer schon lange ersehnt und wogegen sich ein Großteil der Arbeitgeber bisher erfolgreich gesträubt hatte: das Arbeiten im Homeoffice. Was vorher vielen unmöglich erschien, ob nun aus technischen Gründen oder aus Angst davor, die Mitarbeitenden weniger überwachen zu können, war auf einmal ziemlich problemlos möglich. Doch jetzt läuft die Bundesnotbremse aus - und mit ihr die Pflicht zum Homeoffice.

Seit Januar mussten Arbeitgeber überall, wo es möglich ist, Homeoffice anbieten. Im April wurden die Regelungen auf Grund der hohen Corona-Infektionen nachgeschärft und Arbeitnehmer per Gesetz verpflichtet, das Angebot auch anzunehmen. Inzwischen sinkt die Zahl der Corona-Neuinfektionen, immer mehr Menschen sind zudem geimpft. Die Corona-Vorschriften am Arbeitsplatz werden daher gelockert. Ab Juli müssen Chefs ihren Mitarbeitern kein Homeoffice mehr anbieten. Trotzdem sind Firmen auch weiterhin verpflichtet, Tests anzubieten und Hygienepläne zu erstellen. Diese veränderten Vorschriften hat das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch gebilligt, sie gelten bis zum 10. September.

Während die Arbeitgeber sich freuen, dass dieser »bürokratische Aktionismus« beendet wird, wie es der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa nennt, schlägt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Alarm. »Die letzten Monate haben gezeigt, dass beim Homeoffice sehr viel möglich ist, es aber auch seine Schattenseiten hat«, sagt der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. »Es würde den Bedürfnissen vieler Beschäftigter widersprechen, wenn die Arbeitgeber einfach wieder zum Status quo ante zurückzukehren und neue Freiheiten blockieren.«

Wie der Vor-Pandemie-Status aussah, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Laut diesen waren vor Ausbruch der Corona-Pandemie lediglich zwölf Prozent der Beschäftigten gelegentlich im Homeoffice und sogar nur fünf Prozent mindestens die Hälfte der Arbeitstage. Je nach Studie wäre jedoch für 17 bis 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Homeoffice aufgrund der beruflichen Tätigkeiten möglich. Und im April 2020, während der ersten Coronawelle, waren dann laut einer Befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auch 34 Prozent der Beschäftigten ganz oder teilweise im Homeoffice. Im Mai 2021 haben laut Ifo-Institut 31 Prozent zumindest zeitweise von zu Hause aus gearbeitet. Doch wie geht es nun weiter, gibt es eine Rückkehr zu dem Vor-Pandemie-Status?

Der DGB fordert von der neuen Bundesregierung ein Gesetzespaket für mobiles Arbeiten und Homeoffice. »Dazu gehören ein Rechtsanspruch, angemessener Arbeitsschutz, eine ordentliche Ausstattung und weitere Schritte hin zu mehr Mitbestimmung. Klar muss auch sein, dass Homeoffice nicht vom Arbeitgeber verordnet werden darf«, so Hoffmann. Die BDA hingegen lehnt eine gesetzliche Homeoffice-Regelung ab.

Uneinigkeit und fehlende gesetzliche Regelungen werden nach Ansicht von Rechtsexperten in den kommenden Monaten noch für einigen Streit sorgen. So hatte beispielsweise der Arbeitsrechtler Christian Bitsch gegenüber der Zeitschrift »Manager Magazin« erklärt, dass die gesetzliche Regelung trotz der zeitlichen Begrenzung nachhallen könnte. Dies gelte für diejenigen Firmen, die mit den Mitarbeitenden keine schriftliche Vereinbarung zum Heimarbeitsplatz geschlossen haben, in der eine Klausel das Ende der Vereinbarung regelt. »Die Arbeitgeber haben ein Angebot gemacht und die Arbeitnehmer haben es angenommen. Damit ist ein Vertrag zwischen beiden Seiten zustande gekommen, wonach künftig von zu Hause gearbeitet wird«, so Bitsch gegenüber der Zeitschrift.

Wollen Arbeitgeber Homeoffice nun wieder zur Ausnahme machen, könnte es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen. Denn die Mehrheit der Beschäftigten wünscht sich, dass die Arbeit von zu Hause auch nach der Pandemie zum Alltag gehört. Zu diesem Schluss kommt eine repräsentative Befragung der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Demnach können sich beispielsweise in Nordrhein-Westfalen 57 Prozent der Befragten vorstellen, in Zukunft mindestens die Hälfte ihrer Zeit von zu Hause aus zu arbeiten. 85 Prozent der Befragten meinten, dass sich im Homeoffice geeignete Aufgaben genauso gut erledigen ließen wie am normalen Arbeitsplatz in der Firma.

Corona-Stress zermürbt. Vor allem Mütter im Homeoffice fühlen sich emotional stark belastet - und sind Burn-out-gefährdet

Sechs von zehn Befragten empfinden sich sogar als produktiver und nähmen die Arbeit angenehmer wahr als im Büro. Für viele Beschäftigte steht zudem außer Frage, dass Homeoffice in vielen Fällen machbar ist. Als positiv bewertet ein Großteil der Befragten am Homeoffice den Zeitgewinn, da der Arbeitsweg wegfällt, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die gezieltere Verteilung der Aufgaben über den Tag. Auch in der am Dienstag veröffentlichten DGB-Befragung »Gute Arbeit 2020« nennt die Mehrheit der Befragten diese Vorteile des Homeoffices. Als negativ bewerten die Befragten jedoch Mehrarbeit und die Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeiten. Kommentar Seite 10

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