Zwischen Landflucht und Verdrängung

Brandenburger Wohnungsmarkt: Immer mehr Leerstand in der Peripherie und steigende Mieten im Speckgürtel

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Lauchhammer ganz im Süden Brandenburgs ist der Spitzenreiter. Mit einer Quote von 35 Prozent stand Ende 2020 mehr als jede dritte Wohnung von Mitgliedern des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) leer. Für Wittenberge in der Prignitz werden knapp 23 Prozent Leerstand vermeldet. In beiden Städten stieg die Quote im Vergleich zum Vorjahr noch einmal an. »Im weiteren Metropolenraum liegt der Leerstand auf einem Zehn-Jahres-Hoch«, sagt BBU-Vorständin Maren Kern bei der online abgehaltenen Jahrespressekonferenz des Verbandes am Mittwoch. Fast jede neunte Wohnung war Ende 2020 außerhalb des Speckgürtels in Brandenburg unvermietet.

»Der Leerstand steigt weiter, obwohl wir kontinuierlich abreißen«, sagt Kern besorgt. Fast 17 400 Wohnungen wurden seit 2010 von BBU-Mitgliedern - hauptsächlich kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen - abgerissen, allein 960 im vergangenen Jahr. »Der Abriss wird immer schwieriger, weil der Leerstand immer diffuser wird«, berichtet Maren Kern. Es ist der demografische Wandel, der zuschlägt. Die Jungen, die Kinder kriegen könnten, sind oft schon weg, zurück bleiben die Alten. »Unsere Unternehmen melden uns, dass sie Schwierigkeiten haben, Wohnungen zu vermieten, die wegen Sterbefällen leerstehen«, so Kern. Bisher konnte in den grenznahen Regionen auch kein nennenswerter Zuzug aus Polen registriert werden.

Lübbenau stemmt sich gegen den Trend

Immerhin Lübbenau im Spreewald kann sich gegen den allgemeinen Trend stemmen. Hier sank der im Vergleich überschaubare Leerstand nur leicht um 0,1 Punkte auf runde fünf Prozent. Die Stadt habe sehr intensiv in Berlin um neue Bürger geworben, berichtet die BBU-Vorständin. »Mit attraktivem Angebot an sozialer Infrastruktur, dabei alles ein bisschen ruhiger, grüner, haben sie einige Berliner abgeworben. Aber wir sprechen nicht von mehreren Tausend«, erklärt Kern. Tatsächlich könnte Digitalisierung und Homeoffice auch nach der Pandemie perspektivisch gegen die Landflucht helfen, glaubt sie. »Auf längere Sicht gibt es vielleicht durchaus einen Drang aufs Land. Für Homeoffice brauchen wir aber wirklich eine bessere Netzabdeckung. Die ist in ländlichen Gebieten weiterhin schlecht bis katastrophal«, sagt Kern.

Doch Gesamtverkäufe städtischer Wohnungen wie derzeit im sächsischen Klingenthal fürchtet Kern nicht. »Das droht im Moment nicht, und wir haben uns in dem Zusammenhang immer dafür stark gemacht, dass das nicht passiert«, sagt sie. Eine oder zwei Kommunen in der Mark hätten das getan. »Das ist nicht förderlich gewesen«, erklärt sie. Um das abzuwenden, brauche es allerdings Unterstützung durch ein Landes- Modernisierungsprogramm. »Dafür muss es Zuschüsse geben«, fordert Kern.

Wachstumsschmerzen im Speckgürtel

Sorgen ganz anderer Art haben Mieterinnen und Mieter jedoch im Berliner Umland. Auf nur noch 1,9 Prozent ist die Leerstandsquote dort Ende 2020 gesunken, nachdem sie viele Jahre bei 2,3 Prozent lag. Sogar unter einem Prozent liegt sie in Teltow oder Bernau. In Potsdam sank sie von 2,6 auf 1,9 Prozent. Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt wird allgemein eine Fluktuationsreserve von drei Prozent als nötig angesehen. Kern führt das auf eine coronabedingte Delle bei den Neubaufertigstellungen zurück. Nur 525 neue Wohnungen sind im Umland 2020 bezugsfertig geworden, mit Schwerpunkt auf Potsdam. Dieses Jahr sollen es wieder knapp 1000 werden, wie bereits 2019. »In Potsdam hat man sehr frühzeitig den Neubaubedarf geplant. Das ist auch so umgesetzt worden. Um das weiter zu gewährleisten, muss die hohe Schlagzahl eingehalten werden«, so Kern.

Ablehnung des Potsdamer Mietendeckels

Als »nicht zielführend und nicht nötig« bezeichnet Kern das in Potsdam laufende Bürgerbegehren für die Einführung eines Mietendeckels für die städtische Wohnungsbaugesellschaft Pro Potsdam. Die Forderung: Die Mieten der rund 18 000 städtischen Wohnungen sollen um maximal ein Prozent in fünf Jahren erhöht werden dürfen. Im Mai hatten Verwaltung und das Unternehmen mit der offiziellen Kostenschätzung ein Schreckensszenario von weniger Neubau und Bestandsverkäufen bei Umsetzung des Begehrens verbreitet.

»Wir waren sehr überrascht von den Zahlen. Sie sind sehr hoch, weil sie bis ins Jahr 2050 reichen«, sagt Anja Heigl zu »nd«. Sie ist Vertrauensperson bei dem Begehren und Mitglied der Fraktion »Die Andere«. »Man muss ganz schön in die Glaskugel schauen, um so weit vorauszuschauen.« Knapp 2800 Unterschriften sind trotzdem seit dem Sammelstart Anfang Juni bereits zusammengekommen. »Es kann nicht einfach bei Mitleidsbekundungen des Oberbürgermeisters mit den Mietern bleiben, sondern es muss aktiv etwas getan werden«, fordert sie.

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