Steinmeier besucht Israels neue Regierung

Inmitten politischer Umbrüche mahnt der Bundespräsident eine politische Lösung des Nahost-Konflikts an

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eröffnete Außenminister Jair Lapid am Dienstagnachmittag die erste offizielle Botschaft Israels - mit lobenden Worten für den vor kurzem abgesetzten Langzeit-Regierungschef Benjamin Netanjahu: Er habe unermüdlich darauf hingearbeitet, die »Abraham-Vereinbarungen« Wirklichkeit werden zu lassen.

Zuhause kämpfte Premierminister Naftali Bennett indes mit einigen schwierigen Hinterlassenschaften seines Vorgängers, in einer extrem angespannten Lage, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Region eintraf. Solche Staatsbesuche sind normalerweise eher Gelegenheit für freundliche Worte über die gegenseitige Freundschaft. Doch dieses Mal ist die Regierung neu. Und sowohl in Israel als auch in Palästina befindet man sich im Umbruch.

Bundespräsident Steinmeier ließ es sich nicht nehmen, noch vor Beginn seines Staatsbesuchs die neue israelische Regierung zu einer politischen Lösung des Konflikts mit den Palästinensern aufzurufen. Ohne sie gebe es keine gute Zukunft, sagte er der israelischen Tageszeitung »Haaretz« am Mittwoch. Er wies darauf hin, dass die Bundesregierung eine verhandelte Zweistaatenlösung nach wie vor für den besten Weg zu einer friedlichen Zukunft halte. »Aber zunächst einmal scheint mir wichtig, dass zwischen der neuen israelischen Führung und der palästinensischen Seite Vertrauen aufgebaut wird. Der Weg zu einer Wiederaufnahme des direkten Dialogs über die großen Fragen führt über kleine Schritte und konkrete Zusammenarbeit.«

Doch fast täglich kommt es zu Auseinandersetzungen, die den Dialog zumindest erschweren. Im Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan rissen Bulldozer im Auftrag der Stadtverwaltung eine Metzgerei ab, bis zu 60 Gebäude könnten folgen. Sie alle seien ohne Baugenehmigung erbaut worden, stellten eine Gefahr für ihre Bewohner*innen dar, so der stellvertretende Bürgermeister Arijeh King. Die palästinensischen Eigentümer*innen indes verweisen darauf, dass es nahezu unmöglich ist, als Araber*in eine Baugenehmigung in Ost-Jerusalem zu erhalten. Kurz nach Beginn der Abrissarbeiten kam es zu Konfrontationen zwischen Jugendlichen und der israelischen Polizei.

Zeitgleich spitzte sich auch die Lage zu rund um einen ohne Genehmigung gebauten Siedlungsaußenposten im Westjordanland. Während man sich im Mai in Jerusalem über die Regierungsbildung stritt, hatten israelische Rechtsextremist*innen auf einem unscheinbaren Hügel im Westjordanland ein paar Zelte aufgebaut und das Ganze Eviatar genannt. So etwas passiert oft, und normalerweise rückt dann sofort das Militär an und vertreibt die Siedler*innen, bevor sie den Medien dramatische Bilder bieten können. Doch dieses Mal verweigerte Netanjahu seinem Verteidigungsminister Benny Gantz den Einsatzbefehl, und aus einem knappen Dutzend Menschen und ein paar Zelten wurden in Windeseile Hunderte Leute, feste Häuser und geteerte Straßen. Und vor allem: eine Belastungsprobe für die noch junge Regierung.

Denn zunächst einmal ist Bennett selbst ein Rechter, der die Siedlerbewegung unterstützt und einst Chef von deren Lobbyorganisation Jescha war. Allerdings stützt sich seine Regierung auch auf eine Koalition, in der neben Rechten auch die sozialdemokratische Arbeitspartei und die linksliberale Meretz sitzen. Und beide hatten sehr deutlich gemacht, dass Eviatar wieder von der Landkarte verschwinden muss - was aber Bennetts Partei Jamina Stimmen kosten würde und sie bei der nächsten Wahl unter die 3,25 Prozent-Hürde drücken könnte, zumal Bennetts rechte Basis überhaupt nicht versteht, warum Jamina eine Koalition mit linken und arabischen Parteien anführt.

Am Mittwoch morgen einigten sich Regierung und Siedler*innen auf einen freiwilligen Abzug bis Freitag; die Gebäude sollen dann vom Militär übernommen werden. Ungewöhnlich still verhielt sich bei alledem bislang die palästinensischen Regierung - aus gutem Grund.

Am Montag trat Arbeitsminister Nasri Abu Dschaisch zurück. Die linke Palästinensische Volkspartei, der er angehört, werde die Regierung verlassen: Sie habe sämtlichen Respekt für die Gesetze und persönliche Freiheiten verloren. Denn nachdem in der vergangenen Woche der Aktivist Nizar Banat in einer palästinensischen Polizeiwache ums Leben gekommen war, gibt es in vielen palästinensischen Städten Massenproteste gegen die Regierung, die wiederum die Polizei losschickt, um die Demonstrationen mit Gewalt zu zerstreuen.

Nach Angaben des Roten Halbmondes erlitten mindestens 218 Menschen Kopfverletzungen. Banat hatte in Beiträgen in den sogenannten sozialen Medienhartnäckig Korruption und Menschenrechtsverletzungen in der palästinensischen Regierung aber auch bei den potenziellen Nachfolgern für Präsident Mahmud Abbas angeprangert. Insgesamt acht Mal wurde er deshalb festgenommen. Verstummt war er nie.

»Frieden ist unsere einzige Option«. Im Nahen Osten ruhen offiziell die Waffen. Aber wie schafft man echten Frieden? Gespräche mit sechs Menschen aus der Diaspora.

Abbas, der seit 2009 ohne Mandat regiert, stützt seine Regierung auf eine Koalition aus allen Parteien, nur die Hamas beteiligte sich bislang nicht daran. Kabinettssitzungen gibt es allerdings nicht, Abbas regiert mit Dekreten, die er sich durch einen ebenfalls per Dekret geschaffenen Obersten Gerichtshof legitimieren lässt. Das eigentliche Verfassungsgericht hat diese Praxis mehrfach für unzulässig erklärt und Wahlen angemahnt - erfolglos. Abbas’ Regierung überlebt aber auch vor allem durch Finanzhilfen aus Europa und den Vereinigten Staaten. Dass sich Steinmeier zu den innenpolitischen Entwicklungen in Palästina äußern wird, ist aber nicht zu erwarten.

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