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Sauberer Strom mit schmutziger Seite
Die Internationale Energieagentur wirbt für den Ausbau der Wasserkraft - trotz massiver Eingriffe in die Natur
Als Fatih Birol kürzlich als Gast zu einer Wasserkraft-Konferenz eingeladen war, bekam der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) viele Klagen aus der Branche zu hören. In der öffentlichen Debatte werde diese Form der Stromerzeugung vernachlässigt, hieß es dort. Das sei weder gut noch nachvollziehbar, schließlich lieferten Wasserkraftwerke mehr sauberen Strom als Wind oder Sonne, über die immerzu gesprochen werde.
So schilderte es Birol am Mittwoch bei der Vorstellung eines Reports, in dem die IEA erstmals das weltweite Potenzial der Wasserkraft abschätzt. Erklärtes Ziel der Studie: für einen stärkeren Ausbau zu werben. Wer Klimaneutralität erreichen wolle, so Birol, müsse den »vergessenen Riesen des sauberen Stroms« ganz weit oben auf die energie- und klimapolitische Agenda setzen.
Theoretisch ist die Wasserkraft tatsächlich eine großartige Lösung für die kommende saubere Energieversorgung. Sie liefert nicht nur emissionsfrei Strom ohne Nutzung fossiler Quellen, sie kann auch als Speicher dienen und so die schwankende Produktion aus Wind- oder Sonnenenergie ausgleichen. Von einer »unglaublich flexiblen Energiequelle« schwärmt die IEA, die zum Industrieländerclub OECD gehört.
Laut dem Report ist Wasserkraft derzeit die Quelle von 17 Prozent der weltweiten Stromproduktion. Beim sauberen Strom, zu dem die IEA allerdings auch die Atomenergie zählt, sind es sogar 45 Prozent. In 28 Entwicklungs- und Schwellenländern mit zusammen 800 Millionen Einwohnern ist Wasserkraft die wichtigste Stromquelle.
Die Zahlen könnten der Studie zufolge durchaus noch höher liegen. Die Hälfte des Potenzials der Hydroenergie sei noch nicht ausgeschöpft, in Schwellenländern sogar 60 Prozent. Das gilt sowohl für Pumpspeicherwerke und Laufwasserkraftwerke als auch für Staudammprojekte, die mit knapp zwei Dritteln den größten Teil des Wasserkraftstroms stellen.
Beeindruckend sind die Zahlen auch bei der Speicherkapazität. Bei Batterien (inklusive E-Autos) sind es laut IEA lediglich 660 Millionen Kilowattstunden, bei Pumpspeicherwerken schon 8,5 Milliarden - bei Stauseen sogar 1500 Milliarden Kilowattstunden. »In der klimaneutralen Welt von 2050 wird Solarenergie die Nummer eins sein«, sagte Birol. »Aber die Wasserkraft brauchen wir dann zur Absicherung.«
Allerdings geht die Entwicklung derzeit eher in die andere Richtung, und das ist auch der Grund, warum die IEA jetzt so nachdrücklich für die Hydroenergie wirbt. Denn nach einem starken Wachstum in den vergangenen zwei Jahrzehnten wird sich der Ausbau bis 2030 voraussichtlich um ein Viertel verlangsamen, prognostiziert die Agentur und mahnt: Für das Ziel der Klimaneutralität wäre eine Verdopplung der Zubaurate erforderlich. »Die Regierungen müssen ihre Wasserkraft-Ambitionen drastisch steigern«, fordert der Report.
Solche Anstrengungen kann die IEA allerdings nur bei China ausmachen, wo 40 Prozent des globalen Zuwachses bis 2030 realisiert werden dürften. In dieser Woche ist am Jangtsekiang, dem längsten Fluss des Landes, das mit 16 000 Megawatt zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt in Betrieb gegangen. Übertroffen wird es nur noch vom ebenfalls chinesischen Drei-Schluchten-Damm.
Auch bei der Finanzierung von Wasserkraftwerken im Ausland ist China führend. In Afrika finanziert Peking laut IEA 70 Prozent der Neubauprojekte, in Lateinamerika fast 50 Prozent. Gerade in ärmeren Ländern, deren Stromnetz wenig ausgebaut ist, könne Wasserkraft eine »Investition in die Zukunft« sein und durch Stromexporte Einnahmen generieren, argumentiert die Agentur.
Die großen Staudammprojekte zeigen aber auch die problematischen Seiten der Hydroenergie. Extreme und tiefgreifende Eingriffe in Natur und Landschaft sind damit verbunden, Lebensräume seltener Tiere und Pflanzen werden zerstört, die Sedimentzusammensetzung der Gewässer sowie der Grundwasserhaushalt verändert. Viele Menschen werden umgesiedelt und verlieren ihre Heimat. Die Eingriffe betreffen nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die der Länder, die stromabwärts liegen, was zu politischen Konflikten führen kann.
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Auch die IEA sieht diese Probleme und spricht von »negativen sozialen und Umwelteffekten«. Agentur-Chef Birol beteuert: »Wir wollen der Wasserkraft keinen Blankoscheck ausstellen.« In den sieben Empfehlungen des Reports an die Adresse der Regierungen taucht an zweiter Stelle denn auch die Forderung auf, »robuste Nachhaltigkeitsstandards« durchzusetzen. Ob das genügen wird, auch Großprojekte nachhaltig zu machen, darf man bezweifeln.
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