»Goin’ down, down, down«

Er setzte der Hippie-Blümchenwelt ein Ende: Vor 50 Jahren starb Jim Morrison

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 6 Min.

Noch vor Iggy Pop und Black Sabbath setzen die Doors der Hippie-Blümchenwelt Ende der 1960er etwas Düsteres und Abgründiges entgegen. »Come on, baby, gonna take a little ride. / Goin’ down by the ocean side. / Get real close / Gonna get real tight. / Baby gonna drown tonight. / Goin’ down, down, down«, singt Morrison schon beim ersten Jam mit Ray Manzarek, woraus sich dann »Moonlight Drive« entwickelt, als Single 1967 veröffentlicht.

»The Doors schienen nicht davon überzeugt, dass Liebe Brüderlichkeit und Kamasutra sei«, konstatiert Joan Didion in »Das weiße Album«, ihrem großen Essay über die Sixties-Revolte von 1979. »Die Musik der Doors bestand beharrlich darauf, dass Liebe Sex und Sex Tod sei und dass darin die Rettung liege. The Doors waren die Norman Mailers der Top Forty, Missionare von apokalyptischem Sex.«

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Vor allem küchenpsychologisch interessierte Musikhistoriker haben sich immer wieder gefragt, wo die sinistre Drift von Morrisons Thanatos-Predigten herkommen mag. Ein frühkindliches Trauma vielleicht? Einem Freund soll er verraten haben, er sei als Kind vergewaltigt worden. Er habe das seiner Mutter erzählt, aber sie habe ihm nicht geglaubt. Von einem anderen Erlebnis hat er öfter erzählt. Morrison ist erst fünf Jahre alt, Dad fährt mit ihm und Grandma von Albuquerque nach Santa Fe, als sie einen verunglückten Lkw sehen. Auf und neben der Straße liegen schwer und tödlich verletzte Pueblo-Indigene. Sein Vater hält an, verständigt Polizei und Krankenwagen. Der Fünfjährige ist außer sich, lässt sich kaum beruhigen inmitten dieses Pandämoniums. Der Vater versucht ihm weiszumachen, alles sei nur ein Traum gewesen. Damals sei die »Seele eines sterbenden Indianers« in seinen Körper eingedrungen, meint Morrison später.

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Er studiert Film an der UCLA, kommt damit nicht zurande und wirft alles hin, um Dichter zu werden. Erst danach Musiker. Sein Vater macht ihm Vorwürfe, er bricht mit seinen Eltern und sieht sie nie wieder. Die Doors sind jetzt seine Familie, und die versucht er zusammenzuhalten. Der Ruhm des Sängers wächst mit diversen skandalumwitterten Shows. Als die Band einmal als »Jim Morrison and the Doors« angekündigt wird, pfeift er den Ansager zurück. »So nicht, Mann, du musst noch mal raufgehen und uns richtig ansagen. Der Name der Band ist The Doors.« Und als die Manager ihm eine Solokarriere aufschwatzen wollen, weiht er die anderen ein und man jagt die Manager gemeinsam zum Teufel. Keiner treibt einen Keil zwischen ihn und die Band. Und als Oliver Stone in seinem Doors-Film 1990 Morrison als ziemlichen Verrückten darstellt, ist die Band sehr ärgerlich. Nein, so seien sie nie gewesen und schon gar nicht Jim Morrison.

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1970 sprach er seine Gedichte ein und veröffentlichte sie in Kleinstauflage. Sieben Jahre nach seinem Tod wurden sie 1978 von der Band unter dem Titel »An American Prayer« vertont. Doch auch die alten Doors-Songs wirkten mitunter wie musikalisch begleitete Gebete. Laut Arno Schmidt gibt es zwei Dichter-Archetypen: den Hordenclown und den Propheten. Morrison ist wie jeder Frontman ein bisschen von beidem. Am wohlsten fühlt er sich jedoch in der Rolle des Schamanen, des Dichterpriesters, der auch deshalb nicht Klartext sprechen kann, weil er seine Botschaften aus einer anderen Sphäre bezieht, metaphysische Areale anzapft, in Zungen redet. Anfangs hilft ihm LSD, um seine Konditionierungen hinter sich zu lassen, sich von der Übermacht der Ratio zu befreien. Später reicht Alk. Er übt sich auch in Écriture automatique, einem Produktionstrick der Surrealisten, und wiederholt ihre Fehler. Wenn man mitstenografiert, was einem die delirante Assoziationsmaschine liefert, kommt nicht immer große Poesie, sondern oft auch bloß horrender Blödsinn heraus. Der wird aber durch die Schamanenrolle nobilitiert: Es könnte ja doch etwas Relevantes sein, wir kurzsichtigen Rationalisten hienieden verstehen es nur einfach nicht.

In »The American Night«, der gerade bei Maro wiederaufgelegten (zweisprachigen) Anthologie mit Gedichten, Songs und lyrischen Tagebuchnotaten, finden sich genügend obskure Verse, die sich noch nicht von der Person Jim Morrison abgelöst haben, die zu viel Privatwissen voraussetzen, als dass man sie wirklich verstehen könnte. Aber eben auch beeindruckende Poeme, wie zum Beispiel »Horse Latitudes« (vom Album »Strange Days«, auf dem auch »Moonlight Drive« ist).

Als »Horse Latitudes« (Rossbreiten), bezeichnen Seeleute eine windstille und deshalb früher gefürchtete Region zwischen dem 25. und 35. Breitengrad. Dauerte die Flaute zu lange, wurde das Wasser knapp. Und die Spanier auf dem Weg zu ihren Kolonien waren gezwungen, die mitgeführten Tiere, oft Pferde, zu schlachten oder über Bord zu werfen. In Morrisons lyrischer Verdichtung wird dieses Seemannsgarn zu einer Reflexion über das Sterben an sich. In der Übersetzung von Barbara Jung und Sabine Saßmann: »Wenn das stille Meer sich heimlich wappnet / Und seine finstren und abgetriebenen / Strömungen winzige Monster gebären, / hängen die Segel wie tot. / Fataler Augenblick / Und das erste Tier wird von Bord gestoßen, / Rasend pumpen die Beine / Ihren zähen grünen Galopp, / Und Köpfe tauchen hoch / Schwebezustand / Graziös / Innehalten / Nachgeben / In stummer Nüstern Todesqual / Behutsam geläutert / Und versiegelt«.

Wie er die Zeit für einen Moment fast anhält mit Versen von nur einem Wort, um jenen kurzen »Schwebezustand« vor dem Ertrinken sprachlich nachzubilden, zeigt, dass man ihn als Lyriker auch nicht unterschätzen darf.

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Professionelles, respektive pathologisches Trinken gehört zur Ikonografie des »Poète maudit« bei Arthur Rimbaud, Dylan Thomas, Jack Kerouac und all den anderen. Die kaputte Romantik des Suffs ist auch bei Morrison Teil seiner selbstgewählten Dichter-Imago. »Drogenbesorgen fand er würdelos, die konspirativen Treffen und das geheime Zustecken von Päckchen«, schreibt Birgit Fuß in ihren instruktiven, wohltuend abgewogenen »100 Seiten« zu »Jim Morrison«. »Er mochte auch die Langsamkeit lieber: Beim Trinken konnte er Schluck für Schluck entscheiden, wie es weitergeht, wobei er sich fast immer für Bis-zum-Umfallen entschied.«

Im letzten Jahr seines Lebens war Jim Morrison vom Dauersuff ausgelaugt, impotent, depressiv. Die markanten Wangenknochen waren von einem Bart verdeckt, er hatte sich eine Wampe zugelegt und seine Stimme war angegriffen von den drei Schachteln Zigaretten am Tag. Auf der Bühne brachte er es einfach nicht mehr. Die Band einigte sich auf die Beatles-Lösung: nur noch Studio-Alben. Ray Manzarek berichtete, wie im Winter 1970 das Gespräch auf die kürzlich verstorbenen Jimi Hendrix und Janis Joplin kam. »Du trinkst gerade mit Nummer drei!« Es war kein Scherz.

Am 3. Juli 1971 liegt er dann tot in einer Badewanne in Paris, wo er seit ein paar Monaten mit seiner Freundin Pamela Courson lebt, um in Ruhe schreiben zu können. Herzinfarkt. Er hatte schon länger unter Atemnot gelitten, deshalb waren die beiden immer wieder in wärmere Regionen gereist, in den Südwesten Frankreichs, nach Spanien, Marokko, Korsika. Courson nimmt Heroin, Morrison nicht. Oder vielleicht doch, als Palliativ gegen seine Lungenschmerzen? Stirbt er an einer Überdosis? Oder an einer profanen Lungenblutung? Der Gerichtsmediziner verzichtet auf eine Obduktion.

Courson setzt Morrison nach zwei Tagen Totenwache auf dem Cimetière du Père-Lachaise bei. Weder die leibliche noch seine wahre Familie ist anwesend. Erst Tage nach der Beerdigung erfährt die Öffentlichkeit von seinem Tod. Das ruft die Spinner auf den Plan, die ihn noch am Leben wähnen.

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»The End« war der letzte Song von Radio Berlin International, dem Auslandsrundfunk der DDR, vor dem Anschluss am 3. Oktober 1990. »Can you picture what will be / So limitless and free / Desperately in need of some stranger’s hand / In a desperate land«.

Birgit Fuß: Jim Morrison. 100 Seiten. Reclam, 100 S., br., 10 €.

Jim Morrison: The American Night. A. d. amerik. Engl. v. Barbara Jung und Sabine Saßmann. Maro, 222 S., br., 18,50 €.

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