Rollern für die Verkehrswende

Regulierung von Sharing-Angeboten stößt auf Widerstand in der Branche

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Praktisch lautlos rollert Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek durch die Sophienstraße in Mitte. An ihrer Seite fährt Pascal Blum, Gründer und Chef des Berliner Herstellers Unu ebenfalls auf dem an eine Vespa erinnernden Elektrorollers aus eigener Produktion. Kapek präsentiert an dem Donnerstag mit der öffentlichkeitswirksamen Spritztour ihr aktuelles Dienstfahrzeug. Wie ihre Co-Fraktonschefin Silke Gebel verzichtet Kapek auf den ihr qua Amt zustehenden Dienstwagen. »Anders, als die anderen Fraktionsvorsitzenden«, wie sie nicht vergisst, zu erwähnen.

»Angefixt« worden für diese Art der Mobilität sei sie durch die Sharing-Elektroroller des Anbieters Emmy. Es bleibe »halt doch doof«, wenn der Roller weg sei, wenn man aus einem Termin komme, beschreibt sie das Problem. Sie hebt noch den großen Stauraum des Unu-Rollers hervor, der zwar in Deutschland entwickelt, aber in China produziert wird. »Ich brauche keine Ladeinfrastruktur«, hebt Kapek einen weiteren Vorteil hervor. Die zwei Akkus für zusammen 100 Kilometer Reichweite können entnommen werden, um sie an der Steckdose aufzuladen.

So weit, so unstrittig. Heftig diskutiert wird derzeit über die finalen Kapitel des Berliner Mobilitätsgesetzes, die sich dem Wirtschaftsverkehr und der Neuen Mobilität, vor allem den sogenannten Sharing-Anbietern, also Vermietern von Fahrzeugen per Handy-App. Der Grünen-Fraktion sei es »ein ganz großes Anliegen«, die Gesetzesergänzungen noch in dieser Legislatur zu beschließen.

Ob dieser Wunsch Wirklichkeit wird, ist durchaus offen. Denn gerade die geplante Regulierung des Sharing-Wildwuchses auf den Berliner Straßen trifft auf Widerstand. Das Berliner Straßengesetz soll unter anderem durch den neuen Paragrafen 11a ergänzt werden, mit dem eine mit Auflagen versehene Genehmigungspflicht eingeführt wird. Ziele sind unter anderem, dass die inzwischen bei vielen verhassten E-Tretroller nicht mehr wild auf den Bürgersteigen herumstehen oder nicht selten liegen, sowie ein Angebot auch in den Außenbezirken.

Doch die Branche poltert. »Wenn wir den Paragraf 11a so umsetzen, dann kommt nicht ein Auto mehr in die Außenbezirke«, sagt Michael Fischer vom Elektroautovermieter We Share, einer Tochter des Volkswagenkonzerns, bei einem vom Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg organisierten Fachgespräch am Donnerstagabend. Fischer bezeichnet die geplante Regelung als »rechtlich nicht haltbar« und erinnert an die bereits zuvor ausgesprochene Drohung, im Zweifelsfall klagen zu werden. Bilateral sei man durchaus bereit, Vereinbarungen mit der Stadt zu treffen, so Fischer.

»Ich lese auf dem Paragraf 11a vor allem heraus, dass für Sharing-Anbieter eigene Flächen reserviert werden«, entgegnet Heiner von Marschall, Vorstand des Landesverbands Nordost des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland. Das sei eine Privilegierung in Zeiten der Verknappung von Parkplätzen, erläutert er. Zumal er bisher einen reduzierten Autobesitz durch Carsharing nicht erkennen kann. »Wir haben hier über 6000 Sharing-Fahrzeuge. Dann müssten über 120 000 Autos weniger zugelassen sein in Berlin. Das ist offensichtlich nicht der Fall.«

Auch Antje Kapek von den Grünen hatte bereits Gespräche mit den Vermietern: »Mein Interesse besteht darin, auch den Sharing-Anbietern ein klares Signal zu geben, dass sie ein veritabler Teil der Verkehrswende sind. Dass man einen Weg finden muss, dass sie Berlin als Standort nicht aufgeben oder so enorme Nachteile haben, dass sich das Angebot für die nicht mehr lohnt.« Für sie, wie auch für von Marschall, liegt in der Verknappung und Verteuerung des Parkraums der Schlüssel für die Reduzierung des Autobesitzes, was auch das Sharing-Geschäft erleichtern würde.

Hauptthema in dem Gespräch sind jedoch die E-Tretroller. »Wir wollen die Hindernisse im wahrsten Sinne des Weges aus dem Weg räumen für ein harmonisches Miteinander«, sagt Kristian Ronneburg.

»Der Staat hat die Kontrolle über den öffentlichen Raum verloren«, konstatiert Roland Stimpel vom Fachverband Fuss. Die »illegale Sondernutzung« müsse erstmal abgeräumt werden, bevor es einen Neustart nur mit festen Stationen gebe, fordert der Fußverkehrsaktivist. Die französische Hauptstadt Paris erwägt derzeit ein Komplettverbot von E-Tretrollern.

Rechtsanwalt Thomas Hiby spricht von einer »Gemeingefahr, teilweise Lebensgefahr«, die von den E-Tretrollern für Blinde und Sehbehinderte ausgehe. »Ich habe einen Fall, da gab es einen Oberschenkelhalsbruch«, berichtet der Jurist, der für die Rechtsberatungsgesellschaft »Rechte behinderter Menschen« arbeitet.

»Natürlich sind wir für die Mobilitätswende«, sagt Manuela Myszka, Vize-Vorsitzende des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin. Fußgänger übten bereits die geforderte Toleranz, indem sie sich zwar ärgern, aber den Fahrzeugen ausweichen. Aber Blinde, Sehbehinderte, Rollstuhlfahrer oder Mütter mit Kinderwagen könnten das oft nicht. »Das Recht auf Berufsfreiheit abzuwägen gegen das Recht auf Unversehrtheit - das wird eine ethische Debatte werden«, so Myszka. »Und ich habe gedacht, dass wir diese Debatte in Deutschland nicht führen müssen.«

Zumindest verbal gibt sich die Branche in dieser Frage wesentlich aufgeschlossener. »Wir sehen, dass es Nutzungskonflikte gibt und wir wollen sie lösen«, sagt Neele Reimann-Philipp vom E-Tretroller-Anbieter Voi. »Wir sind für die Regulierung und wollen sie auch gemeinsam mit Kommunen«, bekräftigt sie. Die Nutzungskonflikte habe es aber bereits vor der Einführung von E-Scootern gegeben. Es müsse über die »Umverteilung von Flächen« gesprochen werden.

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