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Dänische Abwehrriesen
Jannik Vestergaard ist Teil einer Dreierkette, die es mit jedem Gegner aufnimmt
Im Hintergrund ertönte Vogelgezwitscher, neben den Ästen an den Bäumen bog sich auch die aufgestellte Werbewand sanft im Wind. Die digitale Pressekonferenz aus dem dänischen Teamquartier in Helsingør, wo nicht nur Nationaltrainer Kasper Hjulmand, sondern gleich weitere drei Nationalspieler zu früher Stunde unter freiem Himmel über das bevorstehende Halbfinale bei dieser Europameisterschaft am Mittwochabend gegen England sprachen, vermittelte einen guten Eindruck von der Gelassenheit, mit der ein für sein Stehvermögen bewunderter Außenseiter die Aufgabe im Wembleystadion angeht. Dass für den elektrisierenden Showdown die mentalen Speicher in der Kleinstadt an der schmalsten Stelle des Öresunds an der Nordostspitze der Insel Seeland mit der vollen Ladung gefüllt werden müssen, versteht sich von selbst.
»England hat keine Schwächen«, sagte Hjulmand ohne mit der Wimper zu zucken, um nur eine Windböe später auch zu versprechen: »Sie werden sehr gut sein müssen, um uns zu schlagen.« Sehr bald ist der 49-Jährige dann auch gefragt worden, ob er gegen die von den für die Finalspiele zugelassenen 60 000 Fans nach vorne gepeitschten Engländer plane, den berühmten Bus vor dem eigenen Tor parken zu wollen. Hjulmand verneinte mit hoher Erregung. Eine solche Strategie passe weder in die Zeit noch zu seiner Mannschaft. Und hat er nicht drei kräftige Kerle in seiner Abwehrreihe, die jeder für sich einen Mini-Bus abgeben?
Gestatten: Andreas Christensen, 25 Jahre alt, früher mal bei Borussia Mönchengladbach, heute beim FC Chelsea in London; Simon Kjaer, 32, einst beim VfL Wolfsburg, nun AC Mailand und der 28-jährige Jannik Vestergaard, vorher bei der TSG Hoffenheim, Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach, inzwischen beim FC Southampton. Diese dänische Kombination aus Modellathleten bildet eine Dreierkette, die es in Sachen Körperlichkeit mit jedem Gegner aufnehmen kann. Es ging im vom Drama um Christian Eriksen überlagerten ersten Gruppenspiel gegen Finnland (0:1) ziemlich unter, dass Hjulmand damals nach einer Stunde Vestergaard einwechselte, der seitdem keine einzige Spielminute mehr versäumte. Seine Nebenleute würden ihn auch nicht mehr missen wollen, wie Christensen am Montag bestätigte: »Jannik ist ein großartiger Verteidiger. Er hatte keine einfache Zeit im Nationalteam, aber er ist mit diesem Turnier gewachsen.«
Wobei der größte von drei dänischen Felsen in der Brandung ziemlich ausgewachsen rüberkommt: Als er noch lange Haare trug, hätte der 98 Kilo schwere und 1,99 Meter große Profifußballer auch in jedem Wikingerfilm mitspielen können. Trotzdem waren im Nationalteam meist nur Nebenrollen für ihn reserviert, obwohl er von der U18 bis zur U21 der große Anführer aller dänischen Nachwuchsteams war. Doch immer schienen zwei Innenverteidiger gerade besser als der acht Jahre in der Bundesliga beschäftigte Sohn einer deutschen Mutter, die aus Krefeld stammt, während sein Vater in Kopenhagen im dänischen Justizministerium angestellt ist. Nun feiert ganz Dänemark seine neuen Helden.
»Es bedeutet mir sehr viel, Teile dieser Erfolgsgeschichte zu sein. Daran arbeite ich schon seit vielen Jahren«, beteuerte Vestergaard, den erst Nationaltrainer Morten Olsen, dann für viele Jahre auch der Norweger Åge Hareide gerne mal überging. Bei der WM 2018 in Russland blieb er ohne Einsatz, erst jetzt, nach 27 Länderspielen, ist er endlich mittendrin. Dass auch ihn, den Stammspieler der Premier League, in Southampton gesetzt unter dem Österreicher Ralph Hasenhüttl, der drohende Herztod des Mitspielers Eriksen verändert hat, kann er nicht verhehlen. Was hat das mit ihm gemacht? »Ich habe den kleinen Jungen in mir wiedergefunden, den kleinen Jungen vom Spielplatz, als ich ein Kind war. Der kleine Junge und die Freude am Spiel, die Freude am Leben im Allgemeinen. Ich denke, das konnte man sehen.« Dem war am Montag gar nichts mehr hinzufügen.
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