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Provokation für die Beschäftigten
Verdi kritisiert Vorstoß des Handelsverbandes HDE in den laufenden Tarifgesprächen scharf
Wenn die Verdi-Verhandlungsführer*innen sich diesen Donnerstag in Nordrhein-Westfalen mit den Arbeitgeber*innen der Handelsbranche treffen, wird ihre Laune sicherlich nicht die beste sein. Denn der bundesweite Branchenverband HDE machte zwei Tage vor Beginn der vierten Gesprächsrunde im größten Tarifbezirk einen Vorstoß, der für die Dienstleistungsgewerkschaft eine Provokation darstellt. Der Verband schlägt nämlich seinen Mitgliedsunternehmen vor, die Gehälter noch vor dem Tarifabschluss rückwirkend ab Juni oder Juli um zwei Prozent zu erhöhen. Auch eine Prämie für Vollzeitbeschäftigte in Höhe von 300 Euro könnte drin sein. Das alles jedoch nur für Unternehmen, die gut aus der Coronakrise gekommen sind.
Arbeitgebernahe Kommentatoren könnten meinen, dass dieser »Orientierungsrahmen für freiwillige Entgelterhöhungen« eine nett gemeinte Offerte an die Angestellten sei, die die Lage der einzelnen Unternehmen berücksichtigt. Schließlich wirkte sich die Coronakrise sehr unterschiedlich auf die Bereiche im Handel aus. Während die Umsätze im Lebensmittelhandel vergangenes Jahr um acht Prozent zulegten und damit so schnell stiegen wie seit Beginn der statistischen Aufzeichnung im Jahre 1994 noch nicht, brachen die Umsätze der Warenhäuser um 16,3 Prozent ein. Gleichzeitig boomte der Onlinehandel - im Textilbereich legte er zum Beispiel 2,7 Milliarden Euro beziehungsweise 14,6 Prozent zu.
Doch laut Verdi stellt die Pandemie nur einen Vorwand dar, um eine »Differenzierung« in den Tarifabschlüssen durchzudrücken. »Die Ausgaben, die die Beschäftigten zu schultern haben, differenzieren auch nicht nach Teilbranchen«, wehrt sich Orhan Akman, der bei der Dienstleistungsgewerkschaft für den Einzel- und Versandhandel zuständig ist, gegen diesen Versuch der Arbeitgeber*innen. Wenn Unternehmen wirklich in eine Krise geraten sind, habe man in der Vergangenheit immer Lösungen gefunden. »Dafür bieten die Tarifverträge auch in ihrer bisherigen Form ausreichend Spielraum«, so Akman.
Den jetzigen Vorstoß sieht der Gewerkschafter als »klare Provokation« an. »Damit verschärft der HDE den Tarifkonflikt im Einzel- und Versandhandel und erschwert die ohnehin komplizierten Verhandlungen weiter«, so Akman. Dass es dem Verband auch nicht um eine Lohnofferte geht, zeigen die Worte, mit denen der Verband gegen Verdi schießt: Von »mangelnder Verhandlungsbereitschaft« ist die Rede, und dass es auch »um die Sicherung zahlreicher Arbeitsplätze« gehe.
Für Gewerkschafter Akman ist es hingegen »absurd«, die wirtschaftlichen Probleme so zu lösen: »Tarifverträge regeln Arbeitsentgelte und nicht die wirtschaftliche Situation der Unternehmen!« Und was der HDE vorschlägt, ist der Gewerkschaft definitiv zu wenig. Sie wirft ein, dass die von den Arbeitgeber*innen ins Spiel gebrachte Erhöhung von zwei Prozent noch hinter der für 2021 prognostizierten Inflationsrate zurückbleibe. Dies bedeute für die Beschäftigten eine der Verschärfung der jetzt schon drohenden Einkommens- und Altersarmut und sei ein »Schlag ins Gesicht der Kolleginnen und Kollegen, die Tag für Tag ihre Gesundheit auf Spiel gesetzt haben, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen«, so Akman.
Verdi ging in die in den 13 Tarifbezirken parallel stattfindenden Verhandlungen mit der Forderung nach 4,5 Prozent mehr Lohn sowie nach einem armutsfesten Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde. Gleichzeitig forderte die Gewerkschaft den HDE auf, die Tarifverträge gemeinsam für allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Dies würde bedeuten, dass sie für alle Unternehmen und alle 5,1 Millionen Beschäftigten der Branche gelten würde und nicht nur für die tarifgebundenen Unternehmen. Doch dies lehnt der Arbeitgeberverband HDE weiterhin ab.
Die Gewerkschaft warnt die Arbeitgeber*innen unterdessen, nicht die Kampfbereitschaft der Kolleg*innen zu unterschätzen. Um dies zu unterstreichen, rief Verdi am Mittwoch wieder in Nordrhein-Westfalen zu ganztägigen Warnstreiks auf. Zur zentralen Kundgebung in Dortmund erwartete die Gewerkschaft 1500 Beschäftigte aus mehr als 130 Betrieben.
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