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Altersarmut ist weiblich
Frauen erhalten im Schnitt 36 Prozent weniger Rente als Männer
»Ich habe mir das auch anders vorgestellt im Alter. Ich habe mir so einen typischen, erwerbsarbeitsfreien Ruhestand vorgestellt, in dem ich meine Freizeit gestalten kann«, erklärte die Rentnerin Frau Bagger der Wissenschaftlerin Jutta Schmitz-Kießler im Rahmen einer Studie vor einigen Jahren. Sie tue das nicht, um zu zeigen, wie produktiv sie sein könne, oder um der Wirtschaft einen Gefallen zu tun. »Ich muss arbeiten«, so die Rentnerin gegenüber Schmitz-Kießler.
Damit ist sie in Deutschland nicht alleine. So waren laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2019 circa 1,29 Millionen Menschen, die die Regelaltersgrenze erreicht hatten, weiter erwerbstätig. Das sind 45 Prozent mehr als noch 2010. Besonders hoch ist der Anteil an Frauen, die noch im Rentenalter einer Erwerbstätigkeit nachgehen.
Von Frau Bagger, die eigentlich anders heißt, erzählte Schmitz-Kießler am Dienstag auf der 16. Frauenalterssicherungskonfe-renz. Auf der von Verdi und vom Sozialverband Deutschland (SoVD) organisierten digitalen Veranstaltung wurde über die Alterssicherung von Frauen diskutiert. Was Frau Bagger berichtet, ist keine Seltenheit. Auf der anderen Seite stehen laut Schmitz-Kießler diejenigen, die beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen bereits im erwerbstätigen Alter abgehängt wurden und die im Rentenalter nicht dazu in der Lage sind, ihre Armut aktiv zu überwinden. »Das ist natürlich eine gravierende Problemgruppe, über die gesprochen werden muss.«
Der Rentenunterschied zwischen Frauen und Männern ist enorm groß. Während die durchschnittlich überwiesene gesetzliche Rente in Deutschland bei 982 Euro im Monat liegt, erhalten Frauen im Schnitt 425 Euro weniger als Männer. Auch bei den Einkünften aus der eigenen betrieblichen Altersversorgung gibt es deutlich geschlechtsspezifische Unterschiede. So erhalten Männer in Westdeutschland im Schnitt 699 Euro, in Ostdeutschland 319 Euro. Frauen in Westdeutschland bekommen im Schnitt jedoch nur 315 Euro, in Ostdeutschland sogar lediglich 172 Euro im Monat.
Was dazu unter anderem beiträgt, ist, dass Frauen im Schnitt jeden Tag anderthalb Stunden länger unbezahlte Sorgearbeit leisten als Männer. Auch die Regelungen zum Ehegattensplitting führen dazu, dass Frauen weniger Zeit für Erwerbsarbeit aufwenden. Für verheiratete Frauen lohnt sich die Vollzeiterwerbstätigkeit auf Grund des Steuerrechts oft nicht. Wie kommen Frauen nun aber an mehr Rente? Für Judith Kerschbaumer, Bereichsleiterin Sozialpolitik von Verdi, ist mehr Vollzeit statt Teilzeit eine gute Option. »Frauen sind ganz oft in der Teilzeitfalle«, so Kerschbaumer auf der Konferenz am Dienstag. »Jeder Euro, auf dem im Erwerbsleben verzichtet wird, bedeutet später weniger Rente.« Wichtig seien laut ihr zudem mehr Lohn und mehr Tarifbindung. »Was wir auch brauchen, ist eine Aufwertung von frauentypischen Berufen.«
Während der Verdi-Vorsitzende Frank Wernicke auf der Konferenz unter anderem die Bedeutung der betrieblichen Altersvorsorge betonte, vertrat der SoVD-Präsident Adolf Bauer die Ansicht, dass es vor allem um Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente gehen müsse. »Unter dem Deckmantel der Generationengerechtigkeit wird eine angebliche Kostenexplosion bei der gesetzlichen Rente herbeigeredet, die nur dazu dienen soll, die zusätzliche Altersvorsorge in den Mittelpunkt zu stellen und zu stärken.« Er forderte die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung für alle und ein schrittweises Anheben des Rentenniveaus auf 53 Prozent.
Eine gesetzliche Neuerung, über die verschiedene Bundesregierungen über ein Jahrzehnt lang gerungen und gestritten haben, merken jetzt ab Juli die ersten Rentnerinnen und Rentner in ihren Geldbeuteln: die Grundrente. Aber was bringt diese den Rentnerinnen? »Im Schnitt 75 Euro mehr«, so Kerschbaumer, viele hätten sich mehr erhofft. Aber immerhin 900 000 Frauen haben laut ihr einen Anspruch auf die Grundrente. Allerdings sei es ein Irrglaube, mit der Grundrente liege man immer oberhalb der Grundsicherung. Bauer vom SoVD stellte zudem fest, dass Frauen bei der Erwerbsminderungsrente im Schnitt über ein Jahr früher als Männer in Rente gehen. »Das bestätigt die Notwendigkeit insbesondere für Frauen, etwas zum Thema gesundes Arbeiten zu machen«, so Bauer.
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