Zwischen Liberalen und Spoilerparteien

Die russische Opposition will von der sinkenden Attraktivität der Regierungspartei Einiges Russland profitieren

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 4 Min.

Russlands politisches System ist geprägt vom Ideal der Stabilität. Doch die Zeit, als nach den chaotischen Jelzin-Jahren das ausschließliche Streben nach Beständigkeit begrüßt wurde, ist vorbei. Aus der Stabilität ist vielerorts Stagnation geworden. Dies betrifft auch die Dominanz der Regierungspartei Einiges Russland.

Umfragen sehen diese im Abwind. Bei der Dumawahl im September droht laut staatlichem Meinungsforschungsinstitut WZIOM weniger als 30 Prozent Zustimmung. 13 Prozent der befragten Wahlberechtigten wollen für außerparlamentarische Parteien stimmen. 12 Prozent der Umfrageteilnehmer sind noch unschlüssig, 11 Prozent wahlmüde. Mit Blick auf die 5-Prozent-Hürde gäbe es also genug Potenzial für eine neue Oppositionskraft im Parlament.

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Nach aktuellem Stand bewerben sich zehn Parteien um den Einzug in die Duma. Dort sitzen seit 2007 fast ausschließlich Vertreter von Einiges Russland und den drei handzahmen Parteien der sogenannten Systemopposition. Diese besteht aus der kommunistischen KPRF, der nominell liberaldemokratischen LDPR und der patriotischen Partei Gerechtes Russland, welche Anfang des Jahres zum Parteienbündnis Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit umfirmierte. Die Erhaltung dieses Systems sei im Interesse des Staatsapparats, glaubt die Politologin Tatjana Stanowaja: Der Status quo erschwere neuen Parteien den Zugang: Diese müssten nicht nur für die Steigerung ihres Bekanntheitsgrades, sondern auch gegen den Apparat kämpfen.

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Einige der angetretenen Parteien haben dennoch eine Chance auf den Einzug ins Parlament. Zum Beispiel die linksliberale Jabloko, welche bis 2003 in der Duma saß und aktuell in Umfragen punktet. Ihr Problem ist, dass sie von oppositionsnahen Wählern nicht unbedingt als frische, unverbrauchte Kraft empfunden wird. Fast schon symbolisch steht für Jabloko ihr langjähriger, bald 70-jähriger Vorsitzender Grigori Jawlinski. Kürzlich polarisierte er mit einem politischen Manifest, in welchem er sowohl die Regierung als auch Russlands bekanntesten Oppositionellen Alexej Nawalny angriff. Allgemein ist die Partei bemüht, sich von beiden Seiten abzugrenzen. Jawlinski will mit jungen Kandidaten einen Imagewechsel herbeiführen und verzichtete Ende vergangener Woche zumindest auf die Duma-Kandidatur.

Es gibt aber auch noch andere Kleinparteien, die man als Russe oder Russin im September wählen kann. So existiert eine Grüne Alternative, die bisher in zwei Regionalparlamenten gegen Umweltprobleme kämpft und nun den Sprung auf die föderale Ebene schaffen will. Oder die Partei Parnass, welche sich wie Jabloko liberal, aber etwas oppositioneller gibt.

Geht es nach Russlands Mächtigen, kann es gar nicht genug Kleinparteien geben, die sich gegenseitig die Wählerstimmen unzufriedener Wähler abjagen und so letztlich unter der 5-Prozent-Hürde bleiben. Es gibt sogar den begründeten Verdacht, dass einige Neugründungen der letzten Jahre von oben nur initiiert wurden, um die Opposition zu zersplittern und abzulenken. Russen sprechen diesbezüglich von Spoilerparteien.

Unter diesem Verdacht steht beispielsweise die Bewegung Nowyje Ljudi (Neue Leute), deren Parteiprogramm auf eine Din-A4-Seite passt. Gründer Alexej Netschajew ist Vorstandsmitglied der Allrussischen Volksfront (ONF) - einem von Putin geleiteten Zusammenschluss kremlnaher Organisationen und Parteien. Oder die Kommunisten Russlands, denen von linken Oppositionellen vorgeworfen wird, ein Kremlprojekt zu sein. Auch die Rentnerpartei, welche offen ihre Putin-Unterstützung erklärt, gilt als Spoiler.

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Diese Kräfte fallen im Wahlkampf kaum auf. Oft haben sie Namen, die anderen Parteien frappierend ähneln. Dies ist kein Zufall: Durch Verwechslungen sollen sie die Wähler verwirren und so Stimmen von den Originalparteien abziehen, analysiert die Zeitung »Wedomosti«. Ihr Einzug in die Duma sei kein Ziel. Demselben Zweck dienen Bots und täuschend echte Fake-Seiten im Internet, die den offiziellen Auftritten oppositioneller Parteien nachempfunden sind, schreibt das kremlkritische Portal Meduza mit Sitz in Lettland. Die Opposition würde darüber hinaus durch die restriktive Auslegung von Pandemievorschriften bei der Wahlwerbung behindert.

Ob das Reservoir oppositioneller Wähler wirklich ausreicht, um eine neue Partei in die Duma zu bringen, muss sich nun zeigen.

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