Eine dreckige Lüge

Klimaaktivist*innen protestieren gegen den Ausbau der Erdgasindustrie

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Aktivistin steht am Donnerstag auf der Michaelbrücke in Mitte und hält eine aufblasbare Weltkugel über die Spree. In der anderen Hand hält sie ein Schild mit der Aufschrift »Gas Exit or Game Over«, zu Deutsch etwa: Gasausstieg oder das Spiel ist aus. Im Hintergrund wirbt der Energiekonzern Vattenfall vor seinem Heizkraftwerk mit dem Slogan: »Hier sehen Sie die Energiewende bei der Arbeit.« Die Protestierenden kontern die Botschaft mit einem eigenen Transparent: »Hier entsteht die nächste Hitzewelle.« Ihre Aktion richtet sich gegen den Umstieg von Kohlekraft auf Erdgas bei der Energiegewinnung.

»Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge, es ist Zeit für Klimagerechtigkeit!«, sagt Julian Frisch vom Bündnis GasExit, das zu der Protestaktion aufgerufen hat. Vattenfall plane, das bislang kohlebetriebene Heizkraftwerk Reuter West im Spandauer Ortsteil Siemensstadt zu einem Gaskraftwerk umzubauen, das bis 2050 laufen solle. »Die Energiewende von Vattenfall besteht also darin, noch 30 Jahre fossile Energie zu verbrennen und daraus den größtmöglichen Profit zu gewinnen«, sagt Frisch. Energiekonzerne würden durch solche Vorhaben zur globalen Klimakrise beitragen. »Wir fordern Vattenfall auf: Stoppt die Verbrennung fossiler Energien, stoppt den Erdgasausbau, die Zukunft ist erneuerbar!«, ruft der Klimaaktivist auf der Kundgebung.

Um eine klimagerechte Energieversorgung zu ermöglichen, brauche es vor allem eine Wärmewende, denn der Wärme- und Gebäudesektor sei für die Hälfte der Emissionen in Berlin verantwortlich, so Frisch. Anstatt von Kohle auf Erdgas und Müllverbrennung umzusteigen, wie es die Berliner Machbarkeitsstudie zum Kohleausstieg bis 2030 vorsieht, müsse sofort auf nachhaltige Energiegewinnung gesetzt werden.

»Technisch ist die Wärmewende durchaus möglich. Wir haben Potenziale für Solarthermie, für Biothermie, wir können Wärme über Flußwärmepumpen gewinnen, über Abwasser und über Abwärme«, erklärt Frisch. Um die Wärmepotenziale zu untersuchen, hätten das Bündnis Kohleausstieg Berlin und Fridays for Future eine eigene Potenzialstudie bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse würden Anfang Oktober vorgestellt werden. So viel könne man aber schon jetzt sagen: Eine vollständig regenerative Wärmeversorgung in Berlin sei bis spätestens 2035 möglich, so Frisch.

Stefan Müller, Pressesprecher von Vattenfall, beobachtet die Protestaktion auf der Brücke. »Wir haben uns in den letzten Jahren mehr aufeinander zubewegt als voneinander wegbewegt«, sagt er mit Blick auf die Klimaaktivist*innen zu »nd«. Vattenfall sei das erste Energieunternehmen weltweit gewesen, das sich auf das Ziel festgelegt habe, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. »Es ist ein mühsamer Prozess, der sehr lange dauert. Es gibt Meinungsverschiedenheiten zum Thema Geschwindigkeit«, so Müller. Aber auch der Vattenfall-Sprecher sagt: »Erdgas ist ein fossiler Brennstoff und natürlich auch klimaschädlich, da gibt es überhaupt nichts schönzureden. Erdgas ist ein Auslaufmodell.«

Aktivistin Maki hält die Öffentlichkeitsarbeit von Vattenfall für Greenwashing. »Vattenfall muss jetzt in die Wärmewende investieren, anstatt in Erdgaskraftwerke, die genauso klimaschädlich sind wie Kohlekraftwerke«, sagt Maki. Verglichen mit Kohle würde durch den Umstieg auf Gas der CO2-Ausstoß zwar gesenkt, aber durch das bei der Erdgasverbrennung entweichende Methan und die benötigten Lieferketten sei die Klimabilanz letztendlich ebenso schlecht. »Vattenfall verschiebt das Problem in die Zukunft«, so die Aktivistin.

ExitGas, das Bündnis, in dem sich auch Maki engagiert, hat sich im Januar dieses Jahres gegründet. Deren Forderungen sind deutlich: sofortiger Gasausstieg, Stopp der Subventionen für fossile Brennstoffe und Umsetzung einer sozialen Wärmewende. Den Blick richten die Aktivist*innen dabei nicht zuletzt auf die Bundestagswahl am 26. September. Bis dahin und darüber hinaus wollen sie die Klimaschädlichkeit der Erdgasverbrennung öffentlich problematisieren. Die Protestaktion in Mitte wird daher nicht die letzte sein.

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