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Wald statt Asphalt
Die gegenwärtige Verkehrspolitik ist weit davon entfernt, eine Mobilitätswende zu wagen
»Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.« Diese alte Weisheit aus mobilitätspolitischen Debatten fand sich am ersten Juniwochenende auf einem großen Banner wieder, den Aktivist*innen an einer Baustelle der A100 in Berlin aufgehängt hatten. Neben den Blockaden von Autobahnbaustellen haben mehr als 70 weitere Aktionen an dem ersten heißen Sommerwochenende gezeigt, wie vielfältig und breit der Protest für eine soziale und klimagerechte Mobilitätswende ist. Bereits im vergangenen Jahr zeichnete sich ab, dass die Mobilitätswende zu einem neuen Schwerpunkt der Klimagerechtigkeitsbewegung avanciert. Unter dem Motto »Wald statt Asphalt« hatten die Besetzungen im hessischen Dannenröder Wald, die sich gegen dessen Rodung für die A49 richteten, für die symbolische Zuspitzung des Konflikts gesorgt: Für wen wird in wessen Namen welche Infrastruktur ausgebaut? Wer profitiert von welcher Form der Mobilität? Während inzwischen fast 50 selbstorganisierte Rad-Entscheide in ganz Deutschland für eine bessere Fahrradinfrastruktur kämpfen, nehmen sich auch Umweltverbände des Themas wieder intensiver an.
Die neue Schwerpunktsetzung ist berechtigt: In Deutschland ist der Verkehrssektor nach der Energiewirtschaft und der Industrie der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Doch im Gegensatz zu den anderen beiden Sektoren ist es nicht gelungen, die Emissionen gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu senken. Ein Fünftel der CO2-Emissionen in Deutschland geht auf den Verkehrssektor zurück. Für den Großteil dieser Emissionen sind Benzin- und Diesel-Pkw verantwortlich, auch wenn deren Motoren und Antriebe immer effizienter werden. So sind die CO2-Emissionen pro Verkehrsaufwand (also pro gefahrenen Kilometer pro Person) laut Umweltbundesamt zwischen 1995 und 2018 um rund 9 Prozent gesunken. Doch blickt man auf die absoluten Zahlen, entsteht ein anderes Bild: Im gleichen Zeitraumen sind die gesamten Kohlendioxid-Emissionen des Pkw-Verkehrs um 3,7 Prozent gestiegen. Die Gründe dafür sind schnell genannt: Laut Kraftfahrtbundesamt sind derzeit mehr als 48 Millionen Autos in Deutschland zugelassen. Die Zahl der Autos steigt Jahr für Jahr, dasselbe gilt für die Zahl der mit ihnen gefahrenen Kilometer. Noch dazu werden die Autos immer größer. So meldete das Kraftfahrtbundesamt im Jahr 2019 erstmals die meisten Neuzulassungen im Segment der SUVs. Dies wiederholte sich 2020: Mit 21,3 Prozent machen die ressourcenintensiven Wagen mehr als ein Fünftel aller in Deutschland zugelassenen Pkw aus. Gemeinsam mit dem Segment der Geländewagen (10,5 Prozent), das im Wesentlichen auch SUV umfasst, sind inzwischen rund ein Drittel aller Neuzulassungen Spritschlucker.
Dieser Artikel stammt aus OXI - Wirtschaft anders denken. OXI ist eine ökonomiekritische Monatszeitung, die exklusiv für nd-Abonnent*innen in »nd DIE WOCHE« beiliegt. Es liefert ökonomische Hintergründe und Analysen. Mehr über OXI gibt es hier.
Fette Fahrzeuge bescheren fette Gewinne. Entsprechend produzierte die deutsche Autoindustrie im letzten Jahr weltweit 5,2 Millionen Geländewagen oder SUVs – was mehr als einem Drittel der Produktion von 13,3 Millionen Pkw gleichkommt. Und die Autohersteller gieren nach mehr: Im Jahr 2025 soll der SUV-Anteil an den verkauften Fahrzeugen laut Wunsch des Volkswagen-Konzerns bei mehr als 50 Prozent liegen. 2025? Das ist in dreieinhalb Jahren. Zu diesem Zeitpunkt dürften in Deutschland eigentlich keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Im Auftrag von Greenpeace hat das Wuppertal Institut errechnet, wie der Verkehrssektor in Deutschland bis 2035 CO2-frei werden und damit einen Beitrag leisten kann zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels. Neben dem raschen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zählt dazu an vorderster Stelle die Reduzierung der mit dem Auto zurückgelegten Wege. Ambitionierte CO2-Flottengrenzwerte können eine wirksame Maßnahme sein; auch sollen Zulassungs- und Kfz-Steuern nach ökologischen Kriterien (CO2-Ausstoß, Schadstoffklassen, Stromverbrauch, Gewicht) ausgerichtet werden.
Doch die gegenwärtige Verkehrspolitik ist von diesen Maßnahmen weit entfernt. Zahlreiche steuerliche Anreize sind so gestaltet, dass sie das Kaufen und Fahren von Autos anstelle der Alternativen fördern. Beispielsweise macht die sogenannte »Pendlerpauschale« die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort steuerlich absetzbar und trägt damit zur Zersiedelung bei. Zwar gilt diese Pauschale für alle Verkehrsmittel, doch in der Mehrheit fällt die Wahl auf das Auto – eine ökologische Priorisierung der Verkehrsmittel ist nicht vorgesehen. Zudem ist die Pauschale sozial ungerecht: Denn wer aufgrund seines niedrigen Einkommens keine oder nur wenig Steuern zahlt, kann die Pauschale nicht steuerlich geltend machen. Sozial ungerecht ist auch das Dienstwagenprivileg. Je höher das Gehalt, desto häufiger bekommt jemand einen Dienstwagen (inklusive Tankkarte) – und desto größer ist dieser. Je teurer das Auto, desto mehr Betriebskosten – einschließlich Versicherung, Reparaturen und Spritverbrauch –; und die Firmen können all das von der Steuer absetzen. Dadurch entgehen dem Fiskus jährlich ca. drei Milliarden Euro. Zugleich haben Unternehmen mit der Wahl ihrer Dienstwagenmodelle einen entscheidenden Einfluss auf die Pkw-Flotte auf deutschen Straßen. Mehr als 60 Prozent aller Neuzulassungen sind gewerblich, wovon wiederum ein großer Teil aus dem oberen Segment stammt. Doch die meisten Unternehmen leasen ihre Autos nur für zwei oder drei Jahre, bevor sie auf dem Gebrauchtmarkt landen. So prägen die Autoflotten der Unternehmen maßgeblich den Fahrzeugbestand und damit auch den Energieverbrauch in Deutschland. Zu den klimaschädlichen Subventionen gehört neben dem Dienstwagenprivileg und der Pendlerpauschale auch die im Vergleich zu anderem Benzin deutlich niedrigere Mineralölsteuer auf Diesel.
Die Bundesregierung könnte diese Subventionen abschaffen und andere, vergleichsweise leichte Maßnahmen für den Klimaschutz im Verkehr ergreifen, zu denen auch die Einführung eines sofortigen Tempolimits auf Autobahnen gehört. Stattdessen hält sie, wie auch der Dieselskandal eindrucksvoll vor Augen geführt hat, lieber schützend ihre Hand über die deutschen Autokonzerne. Und diese haben sich bisher nun einmal stark auf fossile Antriebstechnologien spezialisiert. Verbot der Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren? In Deutschland kommt dies führenden Politiker:innen nicht über die Lippen. Andere Staaten in der EU sind längst weiter: Norwegen will ab 2025 nur emissionsfreie Pkw zulassen, die Niederlande ab 2030. Auch Dänemark, Island, Irland, Slowenien und Schweden zählen zu den europäischen Staaten mit Ausstiegsdaten innerhalb von weniger als zehn Jahren. Großbritannien will ab 2035, Frankreich und Spanien ab 2040 nur noch emissionsfreie Pkw neuzulassen. Inzwischen hat auch die kalifornische Regierung angekündigt, dass ab 2035 nur noch emissionsfreie Pkw und leichte Nutzfahrzeuge in dem für die deutsche Exportindustrie äußerst relevanten Bundesstaat der USA verkauft werden dürfen. Auf EU-Ebene nimmt die Debatte ebenfalls an Fahrt auf: Im März riefen neun Mitgliedsstaaten die Europäische Kommission dazu auf, ein Datum für ein Zulassungsverbot von Autos mit Verbrennungsmotoren zu verkünden. Sie verwiesen auf die selbst gesteckten Klimaziele der EU und die Notwendigkeit, den Ausbau der Infrastruktur für emissionsfreien Verkehr stärker zu fördern. Damit könnten auch Anreize und Planungssicherheit sowie ein »level playing field«, also faire Wettbewerbsbedingungen, für die Autohersteller geschaffen werden. Doch zusammen mit Industrieverbänden laufen diese lieber Sturm gegen die Ausarbeitung von neuen Euro-7-Abgasnormen durch die EU-Kommission, die Ende 2021 veröffentlicht werden sollen.
Die ambitionierte Förderung von Elektromobilität sowie der dafür nötigen Ladeinfrastruktur ist zu Recht von relevanter Bedeutung für die Verkehrswende. E-Autos verheißen eine deutlich klimafreundlichere Mobilität als jene, die auf der Verbrennung fossiler Treibstoffe basiert. Doch andere Probleme der auf Autos im Privatbesitz basierenden Mobilität werden nicht gelöst: Etwa jenes des hohen Platzverbrauchs, der insbesondere in Städten durch die breiten Straßen und zahlreichen Parkplätze die Lebensqualität mindert und zur Flächenversiegelung beiträgt. Die Lärmbelästigung durch den Verkehr wird ebenfalls bleiben, da schon ab einer Geschwindigkeit von etwa 30km/h nicht das Motorengeräusch, sondern das sogenannte Reifen-Fahrbahn-Geräusch die primäre Lärmquelle ist. Darüber hinaus kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2020 insgesamt 2.719 Menschen bei Verkehrsunfällen in Deutschland ums Leben, knapp 330.000 wurden verletzt. Vor allem jedoch verschärft der durch die Produktion von E-Autos massiv steigende Verbrauch bestimmter Rohstoffe andernorts ökologische und soziale Krisen. Bereits jetzt ist jedes Auto ein Rohstoffprodukt. Doch erst die mit der Elektromobilität massiv steigende Nachfrage nach Metallen wie Lithium und Kobalt, aber auch Grafit und Nickel hat die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme beim Abbau dieser Rohstoffe in den Fokus gerückt. Der Abbau dieser Rohstoffe in Argentinien, Bolivien und Chile, der Demokratischen Republik Kongo und Sambia, China, Russland und den Philippinen geht mit zahlreichen Konflikten einher – es geht um die Zerstörung von Lebensgrundlagen für Profite, die andernorts angehäuft werden. Doch nicht nur für die Akkus von E-Autos, sondern auch für Karosserie, Gehäuse, Motor und Bordelektronik eines jeden Autos – also auch jenen mit Verbrennungsmotor – werden bereits jetzt zahlreiche metallische Rohstoffe verarbeitet. So ist der Industriestaat Deutschland der fünftgrößte Verbraucher von Metallen weltweit – und ein großer Teil dieser Metalle, die nahezu ausnahmslos importiert werden, geht direkt zu den Autounternehmen oder ihren Zulieferern. Die lukrative Wertschöpfung, die in der Weiterverarbeitung der Rohstoffe sowie der Akku- und schließlich Autoproduktion liegt, findet in Asien, Europa und Nordamerika statt. Dort ist das E-Auto das perfekte Symbol für die grüne Ökonomie, die verspricht, dass ein »Weiter so« möglich ist und sich die Produktions-, Konsum- und Lebensweisen in Staaten des Globalen Nordens nicht wesentlich verändern müssen.
Die Diskussion um das E-Auto gilt es als Einfallstor zu nutzen – und die Rohstoff-, Energie- und Mobilitätswende zusammenzudenken. Unter den Folgen bestimmter Produktions- und Lebensweisen leiden vor allem jene Menschen, die am wenigsten dazu beitragen. Das gilt global wie lokal. Ob jemand sich überhaupt ein Auto leisten kann, ist eine Frage des Einkommens. Wer über nicht so viel Geld verfügt, ist auf Fuß- und Radwege, Busse und Bahnen angewiesen. Und damit auf eine Infrastruktur, die sowohl in Bezug auf den ihr zugestandenen Platz im öffentlichen Raum (Stichwort Flächengerechtigkeit) als auch in Bezug auf die ihr zugestandene finanzielle Förderung stark unterprivilegiert ist. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist unterfinanziert. Im ländlichen Raum sind Busse und Bahnen häufig gar nicht vorhanden; in Städten sind sie zu voll und zu spät und für viele Menschen trotzdem zu teuer. Zugleich sind es Menschen mit niedrigen Einkommen, die an den dicht befahrenen, lauten und schadstoffbelasteten Straßen wohnen. Über all das gilt es zu sprechen, wenn über eine sozial gerechte Mobilitätswende debattiert wird. Freilich müssen auch die Auswirkungen von höheren CO2-Preisen (und somit höheren Spritpreisen) auf unterschiedliche Einkommensgruppen berücksichtigt und ausgeglichen werden. Selbstbewusst müssen auch die rhetorischen Schlagworte der liberalen Auto-Verteidiger angeeignet werden, die stets vor »Verzicht« und »Verboten« warnen: Aktuell schon verzichten viele Menschen gezwungenermaßen auf saubere Luft, geschützte Radwege und einen gut ausgebauten, kostenfreien ÖPNV, der als selbstverständlicher Teil der Daseinsvorsorge begriffen wird. Die Alternativen jenseits des Pkw im Privatbesitz müssen im Zentrum einer Wende stehen, die keinen Wandel der Antriebe, sondern einen Wandel der Mobilität verspricht.
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