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Grünes Licht für Umweltverbrechen
Die brasilianische Regierung setzt mit kriminellen Methoden auf Naturzerstörung. Ein Gespräch mit Eliane Gomes-Alves und Cristiane Mazzetti
Eliane Gomes-Alves promoviert in den Bereichen Klima und Umwelt. Zurzeit arbeitet sie als Wissenschaftlerin im Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.
Cristiane Mazzetti ist Umweltmanagerin der Universität von São Paulo (USP) und Master in Umwelt und Entwicklung der London School of Economics and Political Sciences (LSE). Als Spezialistin für Umwelt arbeitet sie mit Themen wie Abholzung und Landnutzung, insbesondere über Kampagnen und Lobbyarbeit. Derzeit ist sie als Senior Campaignerin Teil des Amazonas-Teams von Greenpeace. Das Gespräch führte Ute Evers.
Dieser Artikel stammt aus OXI - Wirtschaft anders denken. OXI ist eine ökonomiekritische Monatszeitung, die exklusiv für nd-Abonnent*innen in »nd DIE WOCHE« beiliegt. Es liefert ökonomische Hintergründe und Analysen. Mehr über OXI gibt es hier.
Erklären Sie uns kurz, um was es bei Ihrer Forschung geht?
Eliane Gomes-Alves: Sie dreht sich um Pflanzen, Gase und das Klima! Pflanzen produzieren Gase, die gemeinhin als Pflanzengerüche bezeichnet werden. Diese Gerüche sind z. B. dafür verantwortlich, Bestäuber anzulocken oder Fressfeinde zu vertreiben. Sobald diese ökologische Funktion erfüllt ist, verbleiben die Gase in der Luft und unterliegen chemischen Reaktionen, die zur Produktion von Partikeln führen, die wiederum als Keime für Wasserdampf fungieren, der kondensiert und die Bildung von Regenwolken einleitet. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Waldgeruch und Wolkenbildung. Meine Forschung zielt darauf ab, zu verstehen, wie Pflanzen diese Gase/Gerüche freisetzen und wie dies im Laufe des Jahres variiert.
Sie konzentrieren sich dabei auf den Amazonas?
Eliane Gomes-Alves: Ja! Der Amazonas ist der größte Tropenwald der Welt und stellt einen wichtigen Kohlenstoffspeicher dar; die Erhaltung des Waldes leistet einen enormen Beitrag zur Regulierung des regionalen und globalen Klimas. Als ich anfing, mich mit der Umwelt im Allgemeinen zu beschäftigen, begannen mir Themen wie die globale Erwärmung und der Klimawandel Sorgen zu bereiten. Ich wollte also verstehen, wie dieser Wald das Klima beeinflusst.
Der brasilianische Regenwald ist in den letzten Jahren aufgrund seiner verheerenden Brände und der Klimapolitik von Präsident Jair Bolsonaro international in den Fokus gerückt. Was ist der größte Schaden, der auf das Konto der aktuellen Regierung geht?
Cristiane Mazzetti: Die Zerstörung einer öffentlichen Politik, die Jahre gebraucht hat, um aufgebaut zu werden und große finanzielle Mittel für ihre Gestaltung und Umsetzung erforderte! Der Aktionsplan PPCDAm (Aktionsplan zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung im legalen Amazonasgebiet), der die Entwaldungsraten zwischen 2004 und 2012 erfolgreich gesenkt hat, beinhaltete Maßnahmen wie die Schaffung von Schutzgebieten und indigenem Land oder die Einrichtung von Kontrollmaßnahmen. Unter Bolsonaro wurden die Kontrollbehörden (Ibama und ICMBio) durch die Militarisierung ihres Personals, Budgetkürzungen und den Verlust der Führungsrolle bei der Durchsetzung der Ziele deaktiviert. Kein von der brasilianischen Regierung vorgelegter Entwurf beinhaltet die Schaffung neuer Schutzgebiete, obwohl es rund 50 Millionen Hektar nicht ausgewiesene öffentliche Wälder gibt, die weiterhin von Landräubern im Amazonasgebiet überfallen und abgeholzt werden.
Daneben hat die Regierung die Umweltkriminalität durch vorläufige Maßnahmen und Gesetzesentwürfe gefördert, die darauf abzielen, den Umweltschutz zu lockern und Umweltkriminalität zu legalisieren. Eine solche Kombination löst grünes Licht für die Zerstörung aus, was nicht leicht rückgängig gemacht werden kann. So nahm etwa die illegale Besetzung und Invasion von öffentlichem Land zu, weil die Durchsetzung der Gesetze zu gering ist, gepaart mit Vorschlägen, indigenes Land für den Bergbau zu öffnen oder die Kriterien für die Landregulierung zu flexibilisieren. Zuwiderhandelnde wissen, dass sie nicht nur nicht bestraft werden, sondern auch durch die Änderungen im Rechtsapparat belohnt werden sollen.
Zwischen 2004 und 2012 wurden viele Signale gegeben, Umweltverbrechen nicht zu tolerieren. Was damals erobert wurde, geht heute Tag für Tag verloren.
Sehen Sie das aus wissenschaftlicher Sicht auch so, Eliane?
Eliane Gomes-Alves: Absolut! Dafür sehe ich drei Gründe. Der erste ist, dass Brasilien bereits einen Rückgang der Investitionen in die Forschung hatte, dies sich aber seit 2018 noch verschlimmert hat. Die Höhe der Stipendien für Graduiertenstudien und wissenschaftliche Assistenten wurde reduziert, was die Anzahl der Forschungen verringert. In Brasilien wird ein Großteil der wissenschaftlichen Forschung durch Postgraduierte durchgeführt. Es sind die Doktoranden und Post-Docs, die einen erheblichen Teil wissenschaftlicher Publikationen ausmachen. Wird die Anzahl der Stipendien reduziert, reduziert sich die Anzahl der Personen, die in Brasilien arbeiten und Wissenschaft produzieren.
Außerdem sind viele junge Menschen entmutigt, eine wissenschaftliche Laufbahn im Umweltbereich einzuschlagen, sehen sie doch, wie viel zerstört und missachtet wird. Es gibt ein Gefühl der Ohnmacht angesichts von so viel Vernachlässigung und Angriffen auf die Wissenschaft. Während die ganze Welt bereits durch die Wissenschaft verstanden hat, dass der Klimawandel eine Tatsache ist und das Leben vieler Menschen dadurch stark beeinträchtigt wird, geht Brasilien gegen den Strich. Brasilien hat hervorragende Wissenschaftler*innen. Doch der Wissenschaft wird kein Wert beigemessen, und somit fehlen Anreize. Sich hier den Umweltwissenschaften zu widmen, erfordert einen gewissen Aktivismus, den nicht jede und jeder bereit ist, zu leisten.
In der Konsequenz verlassen viele Forscher*innen Brasilien. Ich bin ein Beispiel dafür: Als Brasilianerin arbeite ich für ein deutsches Institut und kann mehr wissenschaftlich aktiv sein, als ich es in Brasilien könnte. Das alles hat mittel- und langfristige Auswirkungen, da die Wissenschaft nur mit Investitionen in finanzielle und personelle Ressourcen und mit der Anerkennung ihrer Bedeutung Fortschritte macht.
Nach den verheerenden Bränden im Amazonas-Regenwald letztes Jahr kam es zu Protesten seitens der internationalen Wirtschaft. Im Juni 2020 drohten CEOs brasilianischer und internationaler Unternehmen sowie Akteure aus der Industrie in einem Brandbrief an die Regierung, ihre Investitionen zurückzuziehen, wenn die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes nicht gestoppt würde. Wie glaubwürdig sind solche Aktionen, wenn unter den Unterzeichnern etwa der deutsche Agrochemie-Riese Bayer firmiert, der für Giftexporte in den globalen Süden berüchtigt ist?
Cristiane Mazzetti: Die Anti-Umwelt-Politik der Regierung Bolsonaro hat bei vielen internationalen Akteuren negative Reaktionen hervorgerufen – einige mit mehr oder weniger glaubwürdiger Kritik an der fortschreitenden Waldzerstörung und Umweltdegradation.
Der Mangel an Ressourcen gehört zu den Hauptverteidigungslinien der Bundesregierung, um ihre Untätigkeit zu rechtfertigen, doch entspricht dies nicht der Wahrheit. Es steht Geld zur Verfügung, das ausgezahlt werden könnte, um die Abholzung einzudämmen und Waldbrände zu verhindern. Ein Beispiel ist der Amazonas-Fonds mit etwa drei Milliarden Reais. Gegen dessen Einfrieren wurde nun von zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Parteien vor dem Obersten Gerichtshof geklagt. Der Amazonas-Fonds hat bereits Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Management von Schutzgebieten und der Umweltüberwachung finanziert.
Darüber hinaus wies das Haushaltsgesetz 2021 den niedrigsten Betrag für die Umwelt seit 21 Jahren auf. Dem ohnehin schon schlechten Vorschlag von der Exekutive fügte Bolsonaro sein Veto hinzu und kürzte das Budget für die Umweltbehörden noch mehr. Das Problem liegt dabei nicht in der Verfügbarkeit von Ressourcen, sondern im politischen Willen. Die Verwendung bereits vorhandener Ressourcen zu stoppen und die Budgets zu kürzen, ist ein Weg, den Umweltschutz zu untergraben und Umweltagenturen (wie Ibama und ICMBio) durch Untätigkeit zu töten. In Bezug auf Bayer und andere Unternehmen, die in der Europäischen Union verbotene Pestizide nach Brasilien exportieren, ist die Position mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen eindeutig. Es dürfen keine Produkte in andere Länder exportieren werden, deren Verwendung im Wirtschaftsblock verboten ist!
Der Amazonas als »die grüne Lunge der Welt« ist ein viel bedienter Mythos. Was halten Sie als Naturwissenschaftlerin davon?
Eliane Gomes-Alves: Zu sagen, dass der Amazonas die Lunge der Welt ist, heißt, seine ganze Bedeutung in eine falsche und vereinfachende Formulierung zu packen. Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, dass der größte Anteil des globalen Sauerstoffs vom Phytoplankton (Algen) in den Ozeanen produziert wird. Doch die Menschen wollen einfache Antworten auf komplexe Probleme. Aber die Wissenschaft liefert uns keine einfachen und unveränderlichen Antworten. Es gibt häufig Situationen, in denen neue Entdeckungen alte umstoßen, und je mehr Wissenschaft produziert wird, desto komplexer wird das Verständnis. Es gibt viele Forschungen, die zeigen, wie wichtig der Amazonas etwa in Bezug auf die Artenvielfalt und die Wasserverteilung ist. Das stellt ihn in keiner Weise auf eine weniger wichtige Stufe, als wenn er die Lunge der Welt wäre (was er ja nicht ist). Es liegen unzählige Gründe für die Erhaltung des Waldes vor und diese können nicht durch einen Slogan ersetzt werden, der zu Fehlinformationen führt. Eine seriöse Presse hat die moralische und ethische Verpflichtung, falschen Informationen nachzugehen und sie nicht zu verbreiten.
Wie aktiv können zivile Klimabewegungen und politische Aktivist*innen in Zeiten von Bolsonaro sein?
Cristiane Mazzetti: In der Vergangenheit (vor der Regierung Bolsonaro) sah die Bundesregierung die Zivilgesellschaft als strategische Akteurin in der öffentlichen Politikgestaltung und in Aktionen, die zur Reduzierung der Abholzung beitrugen. So wurde das SojaMoratorium sogar in Berichten es PPCDAm als Maßnahme zur Eindämmung der Entwaldung angeführt. Diese Selbstverpflichtung des Privatsektors, die von Sojahändlern unterzeichnet wurde, war eine Reaktion auf den Druck zivilgesellschaftlicher Kampagnen, die den Zusammenhang zwischen Soja und der Abholzung von Wäldern im Amazonasgebiet aufzeigten.
Gegenwärtig hat die Regierung nicht nur den Dialog mit den NGOs, den ländlichen Bewegungen und den indigenen Völkern eingestellt, sondern auch die Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft in den Räten reduziert und ausgelöscht. Darüber hinaus enthielt einer der Entwürfe des Plans zum Umgang mit der Abholzung im Amazonasgebiet die Absicht, 100 Prozent der in der Region tätigen NGOs zu kontrollieren. Es gab Fälle von Anschuldigungen, Einschüchterungen und (un-)rechtlichen Schritten gegen Aktivist:innen und Umweltschützer:innen. Absurd wurde die Maßnahme, als der brasilianische Geheimdienst (Abin) zur Überwachung der Zivilgesellschaft während der Klimakonferenz in Madrid (2019) eingesetzt wurde.
Eliane, Sie haben einige Zeit im Amazonasgebiet verbracht. Gab es prägende Momente, die Ihren Forschungsansatz beeinflusst haben?
Eliane Gomes-Alves: Auf jeden Fall. Das traditionelle Wissen der Menschen, die in der Nähe der Versuchsstandorte leben, hat viel zu meiner Forschung beigetragen. Es sind die Einheimischen, die wissen, wie man die Pflanzen, mit denen ich arbeite, identifiziert, die wissen, wie man sich im Wald bewegt, und die das Klima aus empirischer Sicht kennen. Es war der Kontakt mit den Amazonasbewohner:innen, der mich über den Wald lehrte, was ich untersuchen sollte und wie ich meine Forschung angehen sollte. Deren traditionelle Wissen beeinflusst die Entwicklung des experimentellen Designs der Forschung und die Anpassungen von Geräten, die nur für den Gebrauch in Regionen mittlerer Breitengrade, wie Europa, gebaut werden.
Welchen Herausforderungen müssen Sie sich als junge Frau in der Forschung stellen?
Eliane Gomes-Alves: Die Herausforderungen sind vor allem ein Ergebnis des Patriarchats. Ich forsche in einem Bereich, den Geowissenschaften, der immer noch von Männern dominiert wird. Bei mehreren Expeditionen war ich die einzige oder nur ein Teil einer sehr kleinen Gruppe von Frauen, die als Wissenschaftlerinnen teilnahmen. Ich war mit Situationen konfrontiert, die von Diskriminierung und Vorurteilen, z. B. mich nicht Auto fahren zu lassen, weil ich eine Frau bin, bis hin zu tatsächlichen Situationen sexueller Belästigung reichten. Leider ist es für mich immer noch üblich, Kommentare zu hören, die mitunter meine kognitiven Fähigkeiten durch Vorurteile gegenüber Frauen herabsetzen; dass Frauen als weniger fähig angesehen werden, und zuweilen meine Menschlichkeit in Form von mangelndem Respekt für meinen Körper und Intellekt herabzusetzen. Dies ist ein täglicher Kampf der Frauen gegen das Patriarchat und er findet, wenn nicht in allen, dann in fast allen Bereichen der Frauenarbeit statt.
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