Onkel Laschet und die Lkw

Leo Fischer sieht in Vorstadt-Staus ein Bild der Verhältnisse und ein Symbol für den CDU-Kanzlerkandidaten

Will man sich vom Zustand der Welt ein schönes und schnelles Bild verschaffen, kann man das gut in einem beliebigen Gewerbegebiet vor den Toren einer mittelgroßen deutschen Stadt tun. In diesen sich bis zum Horizont erstreckenden grauen Vorhöllen der Funktionalität, reihen sich die Lkw wie Perlen an der Schnur: In einer Minute kann man zehn, fünfzehn, zwanzig zählen, eine brennende Lawine aus Blech, die sich da, kaum über Schritttempo, durch die Landschaft fräst, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Jeder dieser Lkw ist minutengenau getaktet, jede Fehlstunde wird den Fahrer*innen persönlich zur Last gelegt. Jede Verspätung bedeutet, dass irgendein Regal leer bleibt, irgendein Prozess stillsteht, bedeutet Überstunden und weitere Qual in einem ohnehin schon quälerischen Betrieb. Jeder einzelne ist unverzichtbar und doch austauschbar, an keiner Stelle darf die Kette reißen. Und dies ist nur eine Straße in einer Stadt in einem Land, das die meiste Industrie ohnehin schon ausgelagert hat.

Man multipliziere die Abhängigkeiten, die Schuld und die Gewalt, die diese einzige Straße in einer Stunde produziert, rechne sie hoch aufs Land, auf den Kontinent, auf die Welt. Die Absurdität einer Produktionsweise, die Obst einmal um die Welt schickt, um es zu schneiden, und noch einmal, um es in ein kleines, rein dekoratives Schälchen zu packen, um es dann eine Weltreise weiter zu verkaufen, ist so manifest, dass es eigentlich keiner Erwähnung bedürfte, so verschwenderisch mit den Lebensbedingungen der Erde, dass einem der Atem stockt. Gleichzeitig wirkt sie so unvermeidlich, so notwendig und so unbesiegbar, dass einem der Gedanke an Widerstand gegen sie als ebenso absurd vorkommt: Welche Greta Thunberg wäre in der Lage, sich in den Strom der Lkw zu stellen? Welchen Sand kann man in ein derart kolossales Getriebe streuen? Welcher der Millionen Motoren, die die Energie von Äonen in einem Jahrzehnt verbrennen, müsste als erstes stillgestellt werden - und würde nicht sofort von drei weiteren ersetzt? Dass die Verhältnisse menschengemacht sind, daher jederzeit auch andere sein könnten, spricht nicht dagegen, vor der Aufgabe, die so dringlich wie unlösbar erscheint, schon gedanklich zu verzweifeln.

Das Gesicht, das sich die als Notwendigkeit inszenierte Vernichtung gegeben hat, ist in diesem Land das von Armin Laschet. Der joviale Onkel, der auf der Familienfeier jeden Gedanken, jede Gemütsregung, jedes Bedürfnis, das weiter führt als bis zur Schale mit dem Kartoffelsalat, mit billigem Geblödel zensiert, wenn er nicht mit dem Tremolo der von sich selbst Ergriffenen das Unvermeidliche verteidigt, ist zum Herrschaftsprinzip geworden: Laschet somatisiert Verzweiflung, die sich als solche nicht wissen darf. In seinem leeren, putzmunter strahlenden Kinderkopf ist kein Geräusch außer das Tosen jener Lkw der Vorstadt, der See aus Blech, den er manchmal Rede werden lässt. Seine Konkurrentin hat sich noch nicht ganz von einem naiven Humanismus entfernt, umso stärker lässt sie sich über diesen angreifen. Armin Laschet lässt sich so wenig angreifen wie der Lkw-Stau im Gewerbegebiet, er ist so sinn- und würdelos wie jener in seiner Unhinterfragbarkeit: Er könnte auch »Brumm, brumm« sagen und würde gewählt. Helmut Kohls Habitus spielte noch mit der Imago des Fernsehpfarrers, Gerhard Schröder mimte den Dartkneipenkumpel, beide verliehen der Brachialität des Industrialismus noch nahbare Züge. Laschet hingegen könnte noch ein Dutzend Opus-Dei-Berater engagieren und würde nicht menschlicher.

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