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»Kriegst eh alles, was du willst«
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss stellt die Arbeit ein. Erleichtert ist weniger die FPÖ, vielmehr die österreichische Regierungspartei ÖVP
Er ist zu Ende. Keine Befragungen mehr im österreichischen Parlament, keine lästigen Nachfragen und rhetorische Fallstricke und wohl auch keine geleakten Chatprotokolle aus der untersten Schublade der Politik. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss ist abgeschlossen. Zwar sollte er nach dem Wunsch der Opposition verlängert werden. Doch die Grünen stimmten dagegen und sprangen so dem Koalitionspartner ÖVP bei. Genau, der ÖVP, nicht der FPÖ. Denn die hatte für die Verlängerung gestimmt.
Denn der Ibiza-Skandal, diese Schnaps-durchtränkte Episode der Politik, losgetreten von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, hat sich in den vergangenen Monaten zu einem ÖVP-Skandal entwickelt. Einem, der Österreich an den Rand einer Staatskrise geführt hat: Es geht um Absprachen, es geht um erkaufte Gesetze und Freunderlwirtschaft.
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Nun locken all diese Dinge keinen Alpenländer von der Ofenbank; wenn die Kanzlerpartei dann aber die Justiz attackiert, Ermittler bedroht, Untersuchungsmodi umbauen möchte und Medien angreift, dann sind das Dinge, die neu sind in Österreich. Und all das ist passiert in den vergangenen Monaten. Und allen Anfang genommen haben die Kalamitäten für die Kanzlerpartei ÖVP eben in einem Gremium: dem Ibiza-Ausschuss.
Es sind Diskrepanzen zwischen dort getätigten Aussagen und an die Öffentlichkeit geratenen Chatprotokollen, mit denen allesangefangen hat. Finanzminister Gernot Blümel hatte da etwa gemeint, er wisse nicht, ob der Glücksspielkonzern Novomatic jemals Spenden getätigt hätte oder solche angesprochen worden wären. Dann tauchte folgende SMS an Blümel auf: »Guten Morgen, hätte eine Bitte: bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben!« Der Absender: der damalige Novomatic-Chef Harald Neumann.
Aber auch Kanzler Sebastian Kurz verplapperte sich im Ausschuss und sagte, er sei in die Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der staatlichen Beteiligungs-AG ÖBAG nicht involviert gewesen. Dann tauchten Chats auf, in denen Kurz für Schmid den Weg in den Chefsessel besagter AG ebnet. Bezeichnend sind dabei nicht zuletzt der Tonfall der Nachrichten sowie deren Stil. Da bezeichnete Blümel Schmid als »Familie«, da beklagte sich Schmid, dass er keinen Diplomatenpass mehr habe und »wie der Pöbel« reisen müsse, da schrieb Kurz scherzhaft an Schmid: »Kriegst eh alles, was du willst«. Und da freuten sich alle zusammen, dass Schmid die Kirche wegen deren Kritik an der Asylpolitik der ÖVP-FPÖ-Regierung erfolgreich eingeschüchtert habe. All das angereichert mit ganz vielen Bussi-Smileys.
Laptop im Kinderwagen
Da ist aber noch eine ganz andere Dimension der Affäre: die, dass aus dem Justizapparat heraus Warnungen an die betreffenden Personen ergangen sein dürften. So gab es eine Hausdurchsuchung bei Blümel - während der seine Frau allerdings mit dem Laptop des Mannes im Kinderwagen ums Haus ging. Thomas Schmid löschte vermeintlich alle Daten von seinem Handy, bevor die Ermittler kamen. Und auch weitere Hausdurchsuchungen, etwa bei einem milliardenschweren Immobilienunternehmer oder einem Verfassungsrichter und ehemaligen Justizminister, dürften im Vorfeld verraten worden sein. Und da fällt dann immer einer Name: Christian Pilnachek, langjähriger Chef der Strafrechts-Sektion im Justizministerium und jetzt Privatier. Auch zwischen Pilnachek und dem Kreis um Kurz hatte es einen intensiven Chat-Verkehr gegeben. Aus all dem ergibt sich Bild einer Regierungspartei als Staat im Staat - ein Staat im Staat, der zurückbeißt.
Quell allen Ungemachs für die Kanzlerpartei waren und sind strafrechtliche Ermittlungen in Angelegenheiten, die zugleich Untersuchungsgegenstand im Parlament waren, sowie ein Urteil des Verfassungsgerichts, wonach staatsanwaltlich erhobene Daten in komplettem Umfang an den Ausschuss weitergeleitet werden müssen. So dürften die Leaks auch zustande gekommen sein: über den Umweg Opposition. Die Staatsanwaltschaft war es folglich, die am massivsten ins Visier der ÖVP geriet; zugleich aber auch Medien, die seitens der Kanzlerpartei mit Klagen überhäuft wurden. Und schließlich verhöhnten Kurz und Blümel ohne Umschweife das Verfassungsgericht und lieferten per Urteil angeforderte E-mail-Korrespondenzen aus ihren Zuständigkeitsbereichen nur zögerlich an den Ausschuss aus - oder unvollständig, wie die Opposition meint. Zu solchen passiven Weigerungen hinzu kommen ganz konkrete Vorstöße: etwa die Idee des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP), die Wahrheitspflicht für von Untersuchungsausschüssen befragte Personen aufzuheben. Oder Idee des Kanzlers, die Staatsanwaltschaften und deren Arbeitsbedingungen umfassend zu reformieren. So weit, dass Hausdurchsuchungen bei Amtsträgern praktisch unmöglich würden.
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