Protest gegen Leipziger Flughafen wird radikaler

Nächtliche Sitzblockade auf Zufahrt sorgt für erregte politische Debatte in Sachsen. DHL will Millionensumme als Schadenersatz

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Flughafen Leipzig-Halle und vor allem der dort stattfindende nächtliche Frachtflugverkehr sorgen seit Jahren für Protest. Eine Bürgerinitiative klagte bis zum Europäischen Gerichtshof für ein Nachtflugverbot - ohne Erfolg. Andere Gruppen wehren sich gegen stadtnahe Flugrouten, die Anwohner nachts um den Schlaf bringen; auch sie weitgehend ohne Erfolg. Im Gegenteil: Derzeit wird der weitere Ausbau des Airports geplant. 7000 Einwendungen im Planungsverfahren werden daran im Grunde ebenso wenig ändern wie 11 000 Unterschriften unter einer Petition. »Die Mittel bürgerlichen Protests sind ausgeschöpft«, sagt Paula Vogel. »Es braucht neue Wege, um den Druck zu erhöhen.«

Vogel ist Sprecherin einer aktivistischen Gruppe namens »CancelLEJ«, die jetzt solche neuen Wege gegangen ist. Rund 50 Aktivisten blockierten in der Nacht zum Samstag eine Zufahrt, über die Lkw des Logistikkonzerns DHL auf das Flughafengelände gelangen. Es ist das erste Mal überhaupt, dass bei Protesten gegen den Flugbetrieb zu Mitteln des zivilen Ungehorsams gegriffen wurde. Es sei um »friedlichen und gewaltfreien Protest« gegangen, sagte Vogel. Gleichzeitig sei die Eskalation unumgänglich. Der Flughafen sei nicht nur eine nächtliche Lärmquelle, die Gesundheitsschäden verursache. Der Flugverkehr sei auch wichtiger Treiber der globalen Klimakrise, die sich rasant verschärfe. Zudem sei gerade der Airport Leipzig, der zu den wichtigsten Frachtumschlagplätzen von DHL und anderen Logistikkonzernen gehört, Teil der Infrastruktur eines »wachstumsbasierten globalen Kapitalismus«, dessen negative Folgen immer deutlicher zutage träten. Mit der Aktion gehe es um Aufmerksamkeit auch von Menschen, die »nicht Tausende Seiten Planänderungsantrag oder Tabellen mit Landegebühren lesen wollen«.

Das Anliegen scheint erreicht: Die Blockade sorgte für Schlagzeilen, zudem für eine happige Schadenersatzforderung von DHL und erregte Debatten in Sachsens Landespolitik. Der Konzern bezifferte den Schaden durch Verspätungen auf 1,5 Millionen Euro. CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer sah durch die Aktion nicht nur den Konzern, sondern auch den Freistaat und dessen Bevölkerung getroffen. Er »glaube, die Mehrzahl der Menschen in Sachsen würde sagen: Recht wäre, wenn die Blockierer den Millionenschaden bezahlen«. Er verurteilte zudem »Gewalt gegen Personen oder Sachen«. Sein Stellvertreter, SPD-Wirtschaftsminister Mar-tin Dulig, verurteilte die Aktion ebenfalls scharf. »Der Zweck heiligt nicht alle Mittel!«, schrieb er im Nachrichtendienst Twitter. Mit der Blockade sei »der freie Handel am internationalen Airport blockiert« worden. »Protest gehört zur Demokratie«, erklärte er, »aber nicht so!«

Die Äußerungen stießen auf heftigen Widerspruch. Marco Böhme, Leipziger Landtagsabgeordneter der Linken und Zeuge der Blockade, wies darauf hin, dass diese bei der Polizei als Spontanversammlung angezeigt und von der Versammlungsbehörde genehmigt worden sei - »ohne Auflagen, also auch genau an der Stelle, wo die Betreffenden saßen«. Erst nach Ende der Versammlung seien die Blockierer unter Verweis auf die Schadenersatzanzeige von DHL durch Bereitschaftspolizisten umstellt und in Gewahrsam genommen worden. Weil einige sich weigerten, ihre Identität preiszugeben, blieben sie dort über Stunden. Ihnen seien Grundrechte vorenthalten worden, kritisierte »CancelLEJ«: »Das Ausmaß der Repressionen ist eines Rechtsstaats unwürdig.«

Linkspolitiker Böhme fragte zudem in Richtung des Regierungschefs, wo dieser die »Behauptung« von Gewalt gegen Menschen oder Sachen hernehme. Diese sei »diffamierend«. Böhme selbst wurde wiederum von der Landtags-CDU aufgefordert, den Millionenschaden zu bezahlen, weil er als Leiter der Versammlung auftrat. Hingegen erklärte Irena Rudolph-Kokot, die Co-Vorsitzende der SPD Leipzig, in Richtung von Dulig, das Versammlungsrecht gehöre »zu den wichtigsten Grundrechten unserer Demokratie«. Der Protest am Flughafen sei als Versammlung angezeigt und »ohne Auflagen zugelassen« worden. Sachsens Linke merkte an, dass DHL wiederholt als Sponsor für Parteiveranstaltungen nicht zuletzt von CDU und SPD aufgetreten sei: »Manche politischen Wortmeldungen korrelieren durchaus mit finanziellen Zuwendungen.«

Wald statt Asphalt - Die gegenwärtige Verkehrspolitik ist weit davon entfernt, eine Mobilitätswende zu wagen

Mit der Radikalisierung des Protestes am Flughafen vollzieht sich eine Entwicklung, wie sie etwa auch in den Braunkohlerevieren oder an militärischen Übungsplätzen wie in der Altmark zu beobachten war. Dort hatten Bündnisse wie »Ende Gelände« oder »War starts here« dafür gesorgt, dass langjähriger, aber lokal begrenzter Protest plötzlich bundesweite Aufmerksamkeit und Unterstützung durch aktivistische Gruppen erhielten. Im Fall des Leipziger Flughafens stößt das bei den alteingesessenen Initiativen durchaus auf Zuspruch. Es sei »Zeit zu handeln« und »kein Wunder, dass sich der Protest auf die Straße verlagert«, erklärte etwa die Leipziger Bürgerinitiative »Gegen Fluglärm«. In einer Chronologie erinnerte sie an 17 Jahre erfolglosen Widerstand und merkte an, die jetzige Eskalation habe »eine ignorante Politik provoziert und mitzuverantworten«.

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