»Heute sehen wir, dass sich die SPD stabilisiert«

Fraktionschef und Co-Landeschef Raed Saleh über den Wahlkampf, Spitzenkandidaturen und sozialdemokratische Wohnungspolitik

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 7 Min.
Der 44-jährige Raed Saleh ist Fraktionschef und Co-Landesvorsitzender der Berliner SPD.
Der 44-jährige Raed Saleh ist Fraktionschef und Co-Landesvorsitzender der Berliner SPD.

Wir fragen uns, wie es um Ihre politische Urteilsfähigkeit bestellt ist?
Inwiefern? Warum? Ich bin neugierig.

Raed Saleh
ist seit 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Der 44-jährige Spandauer ist seit Ende November vergangenen Jahres zugleich Co-Landesvorsitzender der Berliner Sozialdemokraten. Dieses wichtige Amt bekleidet Saleh gemeinsam in einer Doppelspitze mit Franziska Giffey, die die Berliner SPD zur Spitzenkandidatin für die kommende Abgeordnetenhauswahl nominiert hat. Der 1977 in Sebastia in den palästinensischen Autonomiegebieten geborene Saleh hat mit dem Co-Landesvorsitz und dem Fraktionsvorsitz somit quasi zwei der drei wichtigsten Machtpositionen bei den Berliner Sozialdemokraten inne – er kann mit Giffey also vergleichsweise frei schalten und walten. Über den Wahlkampf, Prognosen, die Krise der SPD, die Plagiatsaffäre und den Rechtsschwenk der Partei sprach mit Raed Saleh Martin Kröger. 

Sie haben immer gesagt, am Anfang der Legislatur liegt Die Linke vorne, in der Mitte die Grünen und im Wahljahr die SPD. Den Umfragen zufolge ist der Spitzenplatz weit entfernt? Zuletzt hat Sie ja sogar die CDU mit Kai Wegner als Spitzenkandidat überholt.
Das kommt auf die Umfrage an. Nach der neuesten Umfrage von Wahlkreisprognose waren wir auf Platz 1 mit 21 Prozent.

Welches Institut, Wahlkreisprognose.de?
Genau. Auch bei anderen Instituten waren wir auf Platz 2 oder mal auf Platz 1. Ich weiß noch genau, als ich gesagt habe, im Wahljahr liegt die SPD vorne, das war auf der Fraktionsklausur vor zwei Jahren. Damals lag die SPD in Berlin bei 14 Prozent. Heute werden wir zwischen 19 und 21 Prozent gemessen – am Ende wird es so kommen, die Berlinerinnen und Berliner werden in der Zuspitzung zur Wahl auch auf die Personen schauen.

Sie haben das Ruder herumgerissen?
Wie war denn die Situation vor einem halben Jahr? Da lag die SPD »unter ferner liefen«. Die Grünen und auch die CDU haben sich bereits im Rathaus gesehen. Ich sage in deren Richtung immer: Liebe Leute, freut euch nicht zu früh. Und heute sehen wir, dass sich die SPD stabilisiert. Franziska Giffey und ich bekommen viel Zuspruch für unsere Themen, die Menschen kommen auf uns zu, wir waren kürzlich in der Altstadt von Spandau ...

... Das zählt nicht wirklich, das ist für Sie doch ein Heimspiel.
Das merken wir auch an anderen Orten. Diese Aufholjagd macht richtig Spaß.

Ihre Spitzenkandidatin Franziska Giffey hat in den vergangenen Wochen nicht immer eine perfekte Figur gemacht. Die Aberkennung des Doktortitels, das hängt ihr nach. Als Bundesministerin wegen Plagiatsbetrügereien zurückgetreten, aber für den Posten der Regierenden Bürgermeisterin reicht es?
Ich würde aufpassen! Das ist einmalig, was da abgelaufen ist. Schließlich war der Vorgang bereits abgeschlossen, und es gab ein Urteil – eine Rüge. Nach einer CDU- und AfD-Intervention wurde das wieder aufgemacht. Die Konsequenz, der Rücktritt von Franziska Giffey, verdient Respekt.

Der Fehler liegt aus Ihrer Sicht also bei der Freien Universität?
Am Ende entscheiden die Berlinerinnen und Berliner, welcher Partei, welcher Person sie das Vertrauen aussprechen. Trotz der Angriffe auf Franziska Giffey zeigt jede Umfrage, dass sie die beliebteste und bekannteste Politikerin der Stadt ist. Da kommen, mit Verlaub, die Spitzenkandidatin der Grünen und der Spitzenkandidat der CDU gar nicht vor. Sie als »nd« sind doch auch nicht schlauer als die Wählerbasis. Lassen sie die doch entscheiden. Oder vor was haben sie Angst?

Wir haben keine Angst. Die Berlinerinnen und Berliner werden auch nach dem inhaltlichen Angebot entscheiden. Uns als linker Zeitung fällt auf, dass Frau Giffey Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Syrien und Afghanistan fordert, wollen Sie mit dem Fischen am rechten Rand die Wahlen gewinnen?
Nein, im Gegenteil. Franziska Giffey hat gesagt, dass terroristische Gefährder und Schwerstkriminelle, die Menschen körperlich angegriffen haben, Mörder und Vergewaltiger, dass sie bei denen auch für Abschiebungen ist.

In Afghanistan und Syrien herrscht Krieg, Islamisten terrorisieren die Bevölkerung.
Von Kriegsgebieten hat sie nicht gesprochen. Es geht darum, dass das in Ausnahmefällen möglich sein muss. Damit trifft sie nicht nur den Nerv der Gesellschaft, sondern auch vieler in meiner Partei.

Haben Sie nicht bisher mit Rot-Rot-Grün in einer Koalition regiert, die Abschiebungen möglichst vermeiden wollte?
Wir haben gleich nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz gesagt, wir stehen für einen starken Staat, der die Menschen in der Gesellschaft schützt.

Bleiben wir bei Ihren Positionierungen: Die SPD und Franziska Giffey haben sich klar gegen den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen gestellt. Jetzt haben dafür 350.000 Berlinerinnen und Berliner unterschrieben – genauso viele Zweitstimmen hatte die SPD 2016 in Berlin. Darunter sind doch viele, die Sie ansprechen wollen?
Ich bin für Enteignungen, wo sie notwendig sind, ich bin aber gegen willkürliche Enteignungen. Wenn sich ein Eigentümer schäbig verhält und ein Wohnhaus verfallen lässt, dann muss er enteignet werden können. Wir Sozialdemokraten haben die Möglichkeit der Enteignung ins Grundgesetz geschrieben. Aber wir haben nicht geschrieben, nur weil jemand 3000 Wohnungen hat, nehmen wir ihm seinen Besitz weg.

Diese Zahl finden Sie willkürlich?
Eigentum muss garantiert werden. Es ist falsch zu sagen, wir nehmen jemandem etwas weg, der sich an die geltenden Gesetze hält. Wir brauchen ein Mietmoratorium in Deutschland, wir brauchen ein Zweckentfremdungsverbot, wir brauchen ein Umwandlungsverbot, wir brauchen eine Neubauoffensive. Ich bin froh darüber, wenn Private bauen. Aber auch, wenn wir Bestände von Vonovia und Deutsche Wohnen zurückkaufen können.

Haben Sie eigentlich auch zehn Minuten vor der Pressekonferenz mit den Bossen dieser Immobilienfirmen und ihren Parteifreunden, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und dem Finanzsenator Matthias Kollatz, von dem Deal erfahren? So wie das bei Ihren Koalitionspartnern Linke und Grüne war?
Ich wurde vom Regierenden Bürgermeister informiert – nicht so knapp, es war am selben Tag.

Es handelt sich offenbar um einen sogenannten Share Deal, Berlin entgehen riesige Summen an Steuereinnahmen. Das kann Sie doch als Fraktionschef nicht kaltlassen, schließlich verhagelt es Ihnen den Haushalt?
Wir werden uns die Sache anschauen und bewerten. Ich bin froh über den Rückkauf der 20 000 Wohnungen, der sich da abzeichnet.

Es gibt böse Zungen, die munkeln, dass vor allem dort Bestände zurückgekauft werden, wo prominente Sozialdemokraten antreten? Zum Beispiel in Spandau.
Darüber musste ich auch schmunzeln, als ich es gelesen habe. Es stimmt aber nicht. Für mich ist entscheidend, ob der Preis stimmt und wir die Bestände zurückbekommen, die einst vom Land Berlin mit der GSW verkauft wurden. Linke und Grüne rufen sonst immer »kaufen, kaufen«, aber sie sind nicht einverstanden, wenn es nicht in ihren Kram passt.

Nehmen wir an, der Volksentscheid wird am Wahltag angenommen, was dann?
Das sehe ich nicht.

Rein theoretisch, was machen Sie?
Es ist wie bei anderen Volksentscheiden, der Senat wird sich mit dem Votum ausführlich beschäftigen und eine verfassungskonforme Umsetzung prüfen.

Sie würden den Willen der Berlinerinnen und Berliner ignorieren?
Nein, wir gehen respektvoll mit Initiativen um und wir gehen respektvoll mit den Entscheidungen um.

Mit Ihrer Positionierung pro Vermieterlobby geben Sie doch die Interessen derjenigen auf, die da unterschrieben haben?
Das ist Quatsch. Wenn es eine Partei gibt, die unter Rot-Schwarz und unter Rot-Rot-Grün Maßnahmen für die Mieterinnen und Mieter getroffen hat – Stichworte Mietendeckel, Milieuschutzgebiete und Fonds für Rückkäufe –, dann war es die SPD. Wir wollen deshalb, dass die Bereiche Stadtentwicklung und Verkehr wieder im Senat unter sozialdemokratischer Führung zusammengelegt werden.

Das würde Grünen und Linken vor den Kopf schlagen. Mit wem wollen Sie denn ab 26. September regieren, wenn Sie die Ressorts bereits neu zuschneiden?
Ich habe seit 2006 viele Koalitionen erlebt, Rot-Rot, Rot-Schwarz, Rot-Rot-Grün. Die letzten Jahre mit Michael Müller im Maschinenraum hatten weniger Glamour als unter Klaus Wowereit, aber es waren sehr gute Jahre. Die Franziska-Giffey-Jahre nach Corona werden eher harte Arbeitsjahre werden, aber für die Menschen in Berlin auch sehr gut.

Sie sitzen dann im Maschinenraum mit Kai Wegner von der CDU?
Ich kämpfe für eine starke SPD, nur dafür. Die Linken und Grünen sind uns kulturell näher.

Wie geht es mit Ihnen persönlich weiter?
Das, was ich jeweils mache, mache ich gerne, mit vollem Einsatz und voller Energie. Ich bin meiner Partei dankbar, dass sie mich mitgestalten lässt.

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