»So nicht bestellt«?

Clara Bünger kritisiert Deutschlands inhumane Abschiebepraxis

  • Clara Bünger
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie kamen nachts, während die sieben Kinder schliefen: Es war der 10. Juni 2021, als die Polizei bei der Familie Imerlishvili vor der Tür in Pirna in Sachsen stand. Die Kinder konnten sich nicht einmal richtig anziehen, die elfjährige Lika griff schnell zu ihrem Ranzen. Es wurde geschrien und geweint, der Vater wollte, Berichten zufolge, aus Verzweiflung aus dem Fenster springen. Kurze Zeit später saß die Familie in einem Bus, der sie zu dem Abschiebeflieger nach Leipzig brachte und von dort nach Tbilisi in Georgien.

Abschiebungen finden in Sachsen häufig nachts statt. Eigentlich soll dem nicht so sein: Der Koalitionsvertrag der sächsischen Regierung gibt vor, dass »gewährleistet werden soll, dass Abschiebungen durch Behörden des Freistaates Sachsen für die Betroffenen so human wie möglich und unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls gestaltet werden«.

Dabei ist klar, dass solche Abschiebungen niemals mit Humanität in Verbindung zu bringen sind. Hinter jeder Abschiebung steckt ein Mensch, mit einem eigenen Schicksal und einer Lebensgeschichte. Lebensentwürfe der Betroffenen werden durch die Abschiebung oft zerstört wird. 2020 wurden, trotz der Coronapandemie, 10 800 Menschen abgeschoben. Viele davon nach Georgien, wie die Familie Imerlishvili aus Pirna. Diese Praxis der Abschiebungen fällt nicht vom Himmel, sie ist menschengemacht und Ergebnis politischer Entscheidungen und der daraus resultierenden rechtlichen Rahmenbedingungen. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode des Bundestages hat es von Verschärfungen im Asylbewerberleistungsgesetz bis hin zum zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht zahlreiche Restriktionen im Bereich des Asylrechts gegeben.

Dass sich nun einige politische Entscheidungsträger*innen in Sachsen und bundesweit betroffen über das Schicksal der Familie Imerlishvili zeigen, ist bemerkenswert bis heuchlerisch. Die Verschärfungen des Asylrechtes haben sie teilweise mitbeschlossen.

Einen nachvollziehbaren Grund für diese Politik blieben sie dabei schuldig. Wahrscheinlich ist, dass sie sich getrieben fühlen von einer immer rechter werdenden Grundstimmung im Land. Sie alle eint das Verdrehen von Tatsachen, die Verwendung von Verschwörungserzählungen und die Verbreitung des aus dem Faschismus bekannten Zerrbilds der angeblich »bedrohten Nation«.

Die Zahl an Abschiebungen und die Zahl an verhinderten Einreisen ist zur wichtigsten Zahl konservativer und rechter Politik geworden. Das Schicksal der Menschen rückt dabei in den Hintergrund. Stolz verkündete Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dass an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden, das laut Global Peace Index immer noch als das gefährlichste Land der Welt eingestuft wird. Das habe er zwar als Geschenk »so nicht bestellt«, aber er hat die Grundlage dafür geschaffen mit seiner Politik, in der er die Migration als »Mutter aller Probleme« bezeichnete. Seine Agenda ist klar: Migrationsverhinderung und Abschiebungen um jeden Preis. Am stärksten zeigt sich dass aktuell in der Diskussion um Abschiebungen nach Syrien, die einen klaren Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention bedeuten würde.

Bei Abschiebungen nicht abschreiben - Fabian Hillebrand über die neueste Variation einer zweifelhaften Forderung – diesmal wieder aus der SPD

Mit der Lösung von Problemen haben die rechtlichen Verschärfungen bei Abschiebungen nichts zu tun. Im Gegenteil: Beim zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, auch als »Hau-ab-Gesetz II« bezeichnet, hatte die Bundesregierung behauptet, es gäbe ein Defizit bei der Durchsetzung der Ausreisen. Dabei waren damals, 2018, knapp 19 000 abgelehnte Asylsuchende ausreisepflichtig. Demgegenüber sind aber sogar 41 500 abgelehnte Asylsuchende ausgereist oder wurden abgeschoben.

Die Abschiebung der Familie Imerlishvili zeigt einmal wieder, was das Ziel der Abschiebungen ist: Statt Humanität und Kindeswohl in besonderem Maße zu beachten, übt man sich in einem Wettbewerb der Unmenschlichkeit. Man will Härte demonstrieren, um auf harten Hund zu machen. Am Ende nützt das aber nur der Rechten, die sich in ihrer Politik bestätigt sieht. Wenn man der rechten Bedrohung aber ernsthaft etwas entgegensetzen will, hilft nur eins: das Ende der rigiden Abschiebepraxis und die Abberufung einer Politik, die entmenschlichende und rassistische Diskurse und Praktiken auf dem Rücken von geflüchteten Menschen betreibt.

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