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Reitpferden wird bei Olympia viel abverlangt. Vor allem die Trainingsmethoden werden oft kritisiert
Es ist eine Fracht, die Millionen wert ist: Am Mittwoch sind die ersten Pferde für die Olympischen Spiele von Lüttich nach Tokio geflogen worden. Aus Deutschland waren vier Dressurpferde dabei, eines davon als Ersatz. Aus ganz Europa und den USA waren rund 50 Pferde in dem Cargoflieger. Vor dem Flug waren diese über acht Tage in Quarantäne, den Tieren wurde Fieber gemessen, ihre Impfungen wurden überprüft und sie wurden auf das Herpesvirus getestet. Nach einem Turnier in Spanien im März waren an diesem Virus mehrere Tiere gestorben.
»Im Flugzeug stehen die Pferde jeweils zu zweit in einem Container - ähnlich den Pferdeanhängern, die man oft auf der Autobahn sehen kann«, erklärt Julia Basic, die für die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) als Pressesprecherin in Tokio sein wird, gegenüber »nd«. Die Pferde würden von ihren Reiter*innen zum Flughafen in Lüttich gebracht und in Tokio von ihren Pfleger*innen in Empfang genommen, diese seien bereits einen Tag zuvor geflogen. Eine Person pro Team darf die Pferde begleiten, aus Deutschland ist das die sechsfache Olympiasiegerin Isabelle Werth. Auch Pferdepfleger und ein Tierarzt sind an Bord. Der Flug dauert circa 18 Stunden, inklusive eines Tankstopps in Dubai.
»Pferde haben keinen klassischen Jetlag wie Menschen, aber durch die Reise verändert sich ihr Rhythmus aus Ruhen, Fressen und Bewegung. Deshalb fliegen sie zehn Tage vor Beginn der Wettkämpfe, damit sie sich akklimatisieren und an den neuen Rhythmus und die Umgebung gewöhnen können«, sagt Basic. Die Dressurwettkämpfe beginnen am 24. Juli. Die Pferde, die in der Disziplin Vielseitigkeit antreten, fliegen am 19. Juli nach Tokio, die Springpferde am 25. Juli. Die Reiter*innen wohnen nicht im Olympischen Dorf, sondern im Hotel, das näher an den Wettkampfstätten liegt. »Die Reiter müssen mehrmals am Tag zu den Pferden, morgens für das Training und später am Tag für den Wettkampf«, erklärt Basic.
Andreas Franzky ist Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz und Leiter des Arbeitskreises Pferde. Er hält den Flug für unproblematisch, auch wenn einige Tiere zum ersten Mal fliegen: »Die meisten Pferde, die zu den Olympischen Spielen fliegen, sind im internationalen Wettkampfsport erprobt und kennen es, in einem Flugzeug transportiert zu werden«, sagt er zu »nd«.
Doch der Sport selbst ist umstritten. »Die Annehmlichkeiten bei der Reise dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die sensiblen Tiere unter den Trainingsmethoden, den Reisen und häufigen Ortswechseln und der nicht artgerechten Haltung leiden«, meint Christina Ledermann zu »nd«. Um erfolgreich zu sein, würden die Tiere schon früh mit umstrittenen Trainingsmethoden wie der Rollkur - bei der der Kopf von Dressurpferden zur Brust gezogen und extrem gedehnt wird - Zwangsmitteln und Doping zu Höchstleistungen getrieben, die nicht selten mit ihrem Tod auf Rennbahn oder Turnierplatz enden, so die Vorsitzende von Menschen für Tierrechte, dem Bundesverband der Tierversuchsgegner. »Es geht um unseren eigenen Erfolg«, sagte der niederländische Springreiter Albert Voorn in einer Dokumentation des WDR einmal selbstkritisch.
Im Jahr 2015 sorgte der Fall Totilas für einen Skandal. Das hochdekorierte Dressurpferd wurde mit einem Knochenödem in die Europameisterschaft geschickt und dort aufgrund seines lahmenden Hinterbeins disqualifiziert. Mitbesitzer Paul Schockemöhle behauptete damals, von der Erkrankung vorher nichts gewusst zu haben. Der ehemalige Springreiter geriet in den 90er Jahren in die Kritik, weil Videoaufnahmen zeigten, dass er Pferden beim Sprung über ein Hindernis mit einer Holzstange gegen die Beine schlug, um sie zu höheren Sprüngen zu bringen. Das, sowie wie das Anheben der Stangen, nennt sich »Barren«. Es ist tierschutzwidrig und führt zu erheblichen Schmerzen beim Pferd.
Nach diesem Skandal wurde es in den Regelwerken der FN verboten. Im Mai behauptete der Fernsehsender »RTL«, ihm lägen neue Aufnahmen vom Barren beim Training vor, gab allerdings keine Auskunft darüber, gegen wen sich die Vorwürfe richten. Der Verband erstattete daraufhin Anzeige gegen unbekannt. Über den Stand der Ermittlungen könne die FN nichts sagen: »Wir wissen, dass die Polizei ermittelt«, so Basic. »RTL« veröffentlichte das Video letztlich nicht, da ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz nicht »unzweifelhaft bewiesen« werden könne.
Franzky vom Arbeitskreis Pferde lobt die Reaktion des Verbandes. Allerdings sei die abgeschwächtere Praxis des »Touchierens« weiterhin erlaubt. Das Pferd soll dabei durch einen leichten Kontakt mit einer Stange zum aufmerksameren Springen animiert werden. Dem Pferd dürfen dabei keine Schmerzen zugefügt werden. Der Tierarzt sieht jedoch eine große Gefahr des missbräuchlichen Einsatzes, weil die Übergänge der Methoden fließend seien: »Ich halte es für zeitgemäß, beides zu verbieten.«
Auch in anderen Disziplinen des Reitsports gibt es zweifelhafte Methoden, wie etwa beim Trabrennen das Anbinden der Zunge oder die Verwendung von Ohrstöpseln, die auf der Zielgeraden den Pferden aus den Ohren gezogen werden und damit als eine Art »akustische Peitsche« die Pferde schneller machen sollen. Beide Manipulationen sind im Trabrennsport regelkonform, Franzky hält sie aber für nicht akzeptabel und tierschutzwidrig.
»Ich will, dass wir gemeinsam stark sind«. Profi-Turnerin Elisabeth Seitz trägt einen langbeinigen Turnanzug, damit sich die Zuschauer auf das Wesentliche konzentrieren können: die Turnübung
Für Olympia geht der Tierarzt davon aus, dass die Pferde optimal trainiert und versorgt, gesund sowie physisch und psychisch in der Lage seien, die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Doch danach müsse ihnen ein pferdegerechtes Leben gewährt werden. Ledermann sieht das für diese Leistungspferde in weiter Ferne. »Es ist zu hoffen, dass den Tieren wenigstens in den Wettkampfpausen Weidegang im Sozialverband gewährt wird«, so die Tierrechtlerin.
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