Gärten sollen Luxuswohnungen weichen

Oberhausener wehren sich gegen die Kündigung ihrer generationenalten Pachtverträge zu Ende Oktober

  • Henning von Stoltzenberg
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Sommermonaten herrscht in den Kleingärten im Ruhrgebiet Hochbetrieb, da trotz zahlreicher Impfungen viele Familien ihren Auslandsurlaub lieber verschieben oder ihn sich schlichtweg auch gar nicht leisten können. Eines dieser Kleinidylle befindet sich in Oberhausen-Sterkrade. Dort sind auf rund 30.000 qm etwa 50 Gärten zu finden, die teils in der dritten Generation verpachtet werden. Das Problem: Es handelt sich um sogenanntes Grabeland. Hier soll laut Pachtvertrag nur einjähriges Gemüse angebaut werden. Bäume, Sommerhäuschen oder Geräteschuppen sind untersagt. Interessiert hat das in den letzten achtzig Jahren des Bestehens der Kleingärten niemand.

Auch dem Besitzer, der MAN GHH Immobilien GmbH, fiel das erst wieder ein, als auffiel, dass mit der Fläche Geld zu machen ist, und zwar viel Geld. Den Kleingärtnern wurde fristgerecht zum 31. Oktober gekündigt. Seitdem bangen diese um ihre Refugien, die oft über viele Jahre aufgebaut und gepflegt wurden. Die Immobilien GmbH will stattdessen 19 Einfamilienhäuser auf die Flächen setzen. Vermögende Interessenten stehen in den Startlöchern und lassen in öffentlichen Stellungnahmen kein gutes Haar an den Gärten und ihren bisherigen Pächtern.

Wenn es um die Bebauung von Freiflächen geht, wird nicht nur in Oberhausen mit fehlendem Wohnraum argumentiert, mit angeblichen Sachzwängen. Was vor Ort jedoch wirklich fehlt, ist sozialer Wohnungsbau, der sich an dem Bedarf und den finanziellen Möglichkeiten der Mieter in der armen Ruhrgebietsstadt orientiert. Seit Jahren fordert die »Linke Liste« als einzige Fraktion im Rat der Stadt eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die genau dafür sorgt. Ebenso müsste der Leerstand ermittelt werden, um auch diesen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Der neoliberalen Politik erscheint es hingegen einfacher, die wenigen noch bestehenden Freiflächen auch zu bebauen und versucht fast jeden Bebauungsplan durchzuwinken. Oberhausen ist schon jetzt zugepflastert wie ansonsten nur noch München, sage und schreibe 44 Prozent der Stadtfläche sind versiegelt, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) vor drei Jahren herausgefunden hat. Der Stand heute könnte bereits höher sein. Ein wichtiger Punkt für Versicherungen ist der Umstand, dass Wasser bei Starkregen auf versiegelten Flächen nicht versickern kann und Flutschäden drohen.

Die Kleingärtner in Sterkrade wehren sich gegen ihre Vertreibung und lassen sich dabei auch von Drohgebärde des Besitzers nicht einschüchtern. Ein Pächter, der mehrfach mit der Lokalpresse gesprochen hat, soll nun auf einmal einen hohen Betrag zahlen, weil er angeblich eine Sitzbank in den öffentlichen Durchgangsbereich gestellt hat. Andere Gegenstände waren über all die Jahre niemals moniert worden. Mit Plakaten, Flugblättern und einer bereits tausendfach unterzeichneten Petition ziehen die Kleingärtner mit ihrer frisch gegründeten Bürgerinitiative »Grüne Lunge 3.1« gegen den Konzern zu Felde. Dabei vernetzen sie sich auch mit Naturschutzverbänden und Umweltbewegungen wie »Oberhausen sattelt um«, die seit Jahren für eine fahrradfreundliche Stadt kämpfen. In einem Bürgerantrag an den Stadtrat appelliert die Bürgerinitiative an die Fraktionen und Stadtverwaltung, einer Bebauung nicht zuzustimmen. Die Grünen haben ihre Solidarität erklärt. Die SPD schwankt und will sich bisher nicht festlegen. Mit ihr könnte eine Ratsmehrheit die geplante Luxusbebauung verhindern. Dass dies funktionieren kann, hat sich Ende April gezeigt, als eine entsprechende Ratsmehrheit den Bebauungsplan eines 25.000 qm großen Grundstücks im Stadtteil Könighardt ablehnte.

Vor drei Jahren konnte eine Zwangsräumung von Kleingarten Pächtern verhindert werden, die vorsieht, dass nicht geräumt wird, bevor es überhaupt einen Bebauungsplan und die entsprechenden Naturschutz-Gutachten gibt. Auch in Sterkrade wird das Prozedere noch Jahre dauern, doch will der Konzern wahrscheinlich einfach Fakten schaffen ohne Rücksicht auf Verluste.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Thema Grabeland Politik und Betroffene noch eine Weile beschäftigen wird. In Oberhausen Borbeck will nun die Stadt selber auch ein 10.000 qm großes Grabeland-Gelände bebauen, auf dem sich ebenfalls Kleingärten befinden. Die dortige Bürgerinitiative »Auf dem Horst« hat ihrerseits ebenfalls Protest angekündigt und sich mit den Gleichgesinnten in Sterkrade vernetzt.

Der Ausgang dieser Auseinandersetzung ist offen. Es geht nicht um Sachzwänge oder die angebliche Machtlosigkeit der Politik, sondern schlicht und ergreifend darum, auf welcher Seite man steht, wenn es um wenige Luxushäuser oder den Erhalt sozialer und ökologischer Lebensräume geht.

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