Allein im Kino

Sonntagmorgen

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf dem Weg ist mir mulmig zumute. Ich stehe im Begriff, etwas zu tun, das ich seit meiner Kindheit nicht mehr gemacht habe. Ist halt blöd, wenn man unbedingt den Film sehen möchte, aber niemand sonst. Was für eine soziale Demütigung. Mein Freundeskreis ist klein und steht auf Arthaus. Ich hätte auf Facebook fragen können, aber womöglich hätte sich dann jemand gemeldet, mit dem ich partout nicht ins Kino gehen will.

Als Kind bin ich öfter alleine ins Kino gegangen, aber ich weiß nicht mehr, ob es an Vereinsamung oder meiner Vorliebe für Kung-Fu-Filme aus Hongkong lag. Auf jeden Fall hatte ich nach dem Film häufig mit Wolfgang zu tun. Der lebte in einer Heilerziehungs- und Pflegeanstalt und war pädophil. Er lauerte nach dem Kino auf und verfolgte uns Kinder. Manchmal war es einfach, ihn abzuhängen, hin und wieder aber hing er wie eine Klette an einem. Hieß er wirklich Wolfgang, frage ich mich, als ich das Kino betrete. Vielleicht habe ich mal den Mut gehabt, mich ihm zu stellen und zu fragen, oder ich habe ihn einfach so genannt.

Ich stehe vor der Kasse. Gleich kommt der Moment, wo ich mich vor der jungen Frau outen muss. Ob sie häufig solche Gestalten wie mich vor sich stehen hat?

»Einmal Kino 3 bitte«, sage ich leise. Normal wäre: »Zweimal Kino 3 bitte«, und cool wäre: »Dreimal Kino 3 bitte.«

»Das tut mir leid für Sie«, antwortet sie.

»Ist der Film so schlecht?«, frage ich zurück und versuche ein Lächeln.

»Nein«, sagt sie und zögert. »Ich meine, dass Sie alleine ins Kino gehen.«

Ich schweige und nehme das Ticket entgegen.

Ich bin der Erste im Saal und einen Moment lang beschleicht mich die Furcht, auch der Einzige zu bleiben.

Aber dann kommen noch Leute. Pärchen, Kumpels, Freundinnen und Cliquen. Dazu ein Rollstuhlfahrer mit seinem Assistenten. Ich habe mich extra oben an den Rand gesetzt. Weiter unten mittig im Pulk der sozial Privilegierten, das würde mich deprimieren. Vor dem Film bin ich auch nicht aufs Klo gegangen. Sonst drückt man seiner Begleitung das Getränk und das Popcorn in die Hand, aber das geht ja jetzt nicht. Ich hätte die Sachen irgendwo abstellen können, aber dann wären sie mir bestimmt geklaut worden.

Das Internet fragt mich, ob ich ein Foto hochladen will. Ich fotografiere die dunkle Leinwand. Es ist nichts zu sehen auf dem Bild. Vermutlich ist es das scheußlichste Foto überhaupt und wird gleich gelöscht. Bevor der Abspann läuft, verlasse ich den Kinosaal. Niemand bemerkt es. Der Film ist schlecht, aber ich habe nichts anderes erwartet. Am Ausgang angekommen, habe ich sogar schon Schwierigkeiten, mich überhaupt an ihn zu erinnern. Auf dem Weg nach Hause bemerke ich, dass hinter mir ein Mann läuft. Ich ändere die Richtung. Er folgt mir. Ob das Wolfgang ist?

An der Ecke Lüderitz-/Kameruner Straße biege ich nach links ab. Er bleibt mir auf den Fersen. Okay, Wolfgang, denke ich, dann wollen wir doch mal schauen, wer von uns beiden sich besser im Kiez auskennt. Robert Rescue

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