- Politik
- Bevölkerungsschutz
Warnung verschlafen?
Nach Unwetterkatastrophe wächst Kritik an Bevölkerungsschutz. Innenminister zeigt sich betroffen
Berlin. Mit dem Rückgang der akuten Gefahr in den Hochwassergebieten gewinnt die Debatte über Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz an Schärfe. Eine britische Wissenschaftlerin warf den deutschen Behörden »monumentales« Systemversagen bei der Flutkatastrophe vor. Teile der Opposition im Bundestag richteten heftige Kritik gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zugeordnet ist. Seehofer machte sich am Montag unter anderem an der zwischenzeitlich von einem Dammbruch bedrohten Steinbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen ein Bild von den Schäden. Dort entspannte sich die Lage ebenso wie in den meisten anderen Hochwassergebieten im Westen Deutschlands und etwa in Bayern.
Aus Sicht der Hydrologin Hannah Cloke von der englischen Universität Reading ist in Deutschland viel schiefgegangen. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben worden seien, seien offenbar nicht bei der Bevölkerung angekommen, sagte sie der Zeitung »Sunday Times«. Für den Katastrophenschutz sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Bei Naturkatastrophen können sie allerdings zum Beispiel das Technische Hilfswerk (THW) oder die Bundespolizei zur Hilfe anfordern.
Cloke war am Aufbau des Europäischen Hochwasseraufklärungssystems beteiligt, das nach den verheerenden Überschwemmungen an Elbe und Donau 2002 gegründet wurde. Mit Hilfe meteorologischer und hydrologischer Daten sowie anhand von Computermodellen werden dabei Überschwemmungen und Sturzfluten vorhergesagt.
In Rheinland-Pfalz wurden bis Montag 117 Unwettertote gezählt, in Nordrhein-Westfalen 46. Armin Schuster, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), sagte im Deutschlandfunk mit Blick auf Kritik, derzeit sei man in der Phase »Retten, Bergen, Obdach bieten et cetera«. Schuster weiter: »Ich habe meinen Mitarbeitern sogar quasi untersagt, Manöverkritik zu machen. Wir helfen jetzt.«
Seehofer sagte während seiner Reise zu besonders betroffenen Orten, der Katastrophenschutz in Deutschland sei gut aufgestellt. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmanagement zu ziehen seien.
FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer kritisierte, die rechtzeitige Warnungen der Meteorologen seien weder von den Behörden noch von den öffentlich-rechtlichen Medien hinreichend an die Bürger kommuniziert worden. Für das Systemversagen trage Seehofer »unmittelbar die persönliche Verantwortung«. Die FDP-Fraktion beantragte eine kurzfristige Sondersitzung des Innenausschusses. Seehofer müsse dort darlegen, was die Bundesregierung wann wusste und was unternommen wurde, um den Katastrophenschutz sicherzustellen. nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.