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Kampf um Arbeits- und Bleiberechte

Beschäftigte des Lebensmittellieferdienstes Gorillas diskutieren mit Bundessozialminister Heil

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) musste am Dienstagnachmittag auf dem Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg auf seine Englischkenntnisse zurückgreifen. Auf Einladung der SPD-Direktkandidatin des Wahlkreises Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost für den Bundestag, Cansel Kiziltepe, stand er dort fünf so genannten Ridern, also Fahrer*innen, des Lebensmittellieferdienstes Gorillas gegenüber. Von einer großen Traube Reporter*innen, Kameraleuten und Fotograf*innen umgeben, richteten die Fünf ihre Forderungen an den Minister. Da sie zum Teil erst vor kurzer Zeit aus Mexiko, England oder der Türkei nach Deutschland immigriert sind, wollten sie das Gespräch auf Englisch führen. Auch die offizielle Firmensprache bei Gorillas ist Englisch.

Nachdem sie Heil über unregelmäßige Lohnzahlungen, die schlechte Fahrer*innen-Ausstattung und den mangelnden Brandschutz beim Feuer an einem Firmenstandort in Friedrichshain unterrichtet hatten, versicherte dieser, sich umgehend mit der Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (Linke) treffen zu wollen und mit ihr die Fragen des Arbeits- und Brandschutzes zu klären.

Während des Gesprächs stellte sich heraus, dass Heil sich zuvor bereits mit der Unternehmerseite getroffen hatte, die ihm selbstredend ein anderes Bild der Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten vermittelt hatte. So habe man ihm dort beispielsweise gesagt, ein Rider liefere mit seinem Fahrrad nie mehr als zehn Kilo Ware aus. Die Antwort der Betreffenden ist bitteres Gelächter. »Wir tragen oft bis zu 20 Kilo auf dem Rücken«, sagt einer.

Dass Heil sich überhaupt zuerst und klammheimlich mit der Unternehmensführung getroffen hat, findet Zeynep Karlıdağ, eine der Sprecher*innen des Gorillas Workers Collective (GWC): »Wir wollten ihn bei unserem Treffen eigentlich auffordern, im Lichte des medialen Interesses zur Unternehmensführung zu gehen«, erläutert die 23-Jährige.

Mit dem Gorillas Workers Collective wurde innerhalb der Belegschaft ein Zusammenschluss gebildet, der die seit Februar dieses Jahres in unregelmäßigen, immer kürzer werdenden Abständen durchgeführten Streiks zu organisieren versucht. Bisher ohne, dass eine Gewerkschaft dazu aufgerufen hat oder Tarifverhandlungen laufen. Darüber entbrannte zwischen den Gorillas-Ridern und Heil dann auch eine Diskussion. Denn nach deutscher Rechtsprechung sind solche wilden Streiks illegal. Nichtsdestotrotz betonte Heil am Dienstag, »Streiks sind in Deutschland ein Menschenrecht«. Und schränkte sofort ein: »Es muss aber eine Gewerkschaft dazu aufrufen.« Er ermunterte die Rider, von denen bisher nur wenige gewerkschaftlich organisiert sind, dies zu tun. »Wenn 50 Prozent von euch in der Gewerkschaft sind, dann steigen die mit ein«, so Heil.

Zuerst wollen die Gorillas-Beschäftigten aber einen Betriebsrat wählen, für dessen Gründung sie nach eigener Aussage derzeit Geld sammeln. Die Arbeitgeberseite gibt sich zumindest nach außen hin kooperativ. »Uns liegen die Interessen unserer Rider am Herzen und wir nehmen ihr Feedback äußerst ernst«, teilte das Unternehmen bereits am Wochenende mit. »Wir unterstützen ausdrücklich und uneingeschränkt die Gründung eines Betriebsrats bei Gorillas und werden dafür selbstverständlich alle benötigten Mittel zur Verfügung stellen«, so ein Unternehmenssprecher weiter.

Hintergrund des Arbeitskampfes ist auch, dass laut deutscher Visumsbestimmungen Personen aus vielen Ländern Lateinamerikas, aus denen die meisten Rider bei Gorillas kommen, nur ein halbes Jahr bei demselben Arbeitgeber einen »Ferienjob« machen dürfen. Laut Angaben des GWC wurde erst kürzlich etlichen Beschäftigten auf einen Schlag fristlos gekündigt, weil sie bereits mehr als sechs Monate bei Gorillas arbeiteten. Die Antwort auf diese Entlassungen war ein erneuter Streik, der sich neben dieser Unternehmenspraxis auch gegen jene aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen richtet, unter denen viele Beschäftigte leiden. Mit diesem Moment gegen die rassistische deutsche Migrationspolitik ist dieser Streik auch ein politischer, der nach dem so genannten Arbeitsordnungsgesetz der Nazis von 1934 bis heute verboten ist. Diesen Hinweis eines der Aktivisten wies Heil weit von sich und antwortete: »Wir leben hier in einer Demokratie.« Daraufhin erwiderte der nicht verlegene Rider mit Bestimmtheit: »Ja, aber eben in einer bürgerlichen Demokratie« und spielte damit auf die arbeitsrechtlichen Schlupflöcher an, die gerade die von der SPD eingeführte Agenda 2010 den Unternehmen lässt.

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