Mit dem Rückenwind der Geschichte

Jesse-Björn Buckler beteiligte sich im Juni 2001 an den Protesten gegen den EU-Gipfel in Göteborg - und musste dann für 14 Monate ins Gefängnis

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Aktuell wird viel an die Gipfelproteste im italienischen Genua vom Juli 2001 erinnert. Hatten Sie sich an diesen beteiligt?

Nein. Einen Monat zuvor bin ich bereits bei den Protesten gegen den EU-Gipfel im schwedischen Göteborg festgenommen worden. Als Carlo Giuliani in Genua erschossen wurde, saß ich als vermeintlicher deutscher Terrorist aus dem Schwarzen Block in Isolationshaft.

Zur Person
Jesse-Björn Buckler ist heute bekannter Kampfsportler, freier Autor und berät Nichtregierungsorganisationen in Sicherheitsfragen. Der 44-Jährige lebt in Berlin

Warum hatten Sie an den Protesten im Juni 2001 in Göteborg teilgenommen?

Der Teil der autonomen Bewegungslinken, in dem ich mich bewegt hatte, steckte damals in einer tiefen Sinnkrise. Die Stimmung war mal wieder schlecht und die Motivation am Boden. Die organisierte Antifa der 1990er Jahre brach unter der Last ihrer ungeklärten theoretischen Fragen zusammen. Es war eine Phase der politischen Depression und Perspektivlosigkeit. Die Proteste gegen die Welthandelsorganisation 1999 in Seattle und das damit verbundene Aufkommen der Globalisierungsbewegung überraschte uns.

Inwiefern?

Wir konnten das alles noch nicht so richtig einordnen, waren skeptisch und misstrauisch. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Bewegung war lediglich die Kritik am Neoliberalismus und seinen unschönen Begleiterscheinungen. Viele Gruppen und Inhalte der Bewegung waren uns politisch sehr fern. Bei aller Kritik wurde aber schnell klar, dass da etwas Neues entsteht und es in unserer politischen Verantwortung liegt, in diese Bewegung zu intervenieren. Also die Kritik zuzuspitzen, dem reaktionären Ideologiegerümpel eine Absage zu erteilen und der Bewegung ihren Reformismus auszutreiben.

Wie entwickelte sich die Bewegung?

Es entstand zum ersten Mal ein großes Zusammenkommen europäischer, linksradikaler, autonomer Strukturen. Wichtige Impulsgeber waren dabei einerseits die italienischen Postautonomen und Neo-Zapatisten. Andererseits formierte sich eine sehr traditionelle, anarchistische Strömung. Irgendwo dazwischen tauchten wiederum radikale Queers auf. Beim Protest gegen den Internationalen Währungsfonds in Prag im September 2000 führten diese drei Fraktionen jeweils eigene Demonstrationszüge an. Linksradikale Fundamentalkritik war damit nicht nur unübersehbar geworden, sondern stritt sogar um die Spitzenposition an dieser Bewegung. Und plötzlich war sie da, diese Dynamik, die mich hoffen ließ. Ich fuhr nach Schweden mit dem schönen Gefühl, den Rückenwind der Geschichte zu haben. Ich hoffte, die Vorwehen eines neuen 1968 zu erleben.

Wie kam es zu Ihrer Festnahme?

Die schwedische Polizei begegnete den Protesten mit Repression und praktischer Unfähigkeit. Als bei der internationalen Großdemonstration ein kleiner Schwarzer Block auftauchte, hielt es die Polizei für eine gute Idee, den Block »präventiv« aus dem Aufzug drängen zu wollen. Der Angriff führte zu den massivsten Ausschreitungen, die es bis dato in Friedenszeiten in Schweden gegeben hatte. Stunden später gab es eine »Reclaim the Streets«-Party mit kleineren Geplänkeln. Dabei sind drei Demonstranten von der Polizei niedergeschossen und zum Teil lebensgefährlich verletzt worden. Ein Schuss ging nachweislich ungezielt in die Menschenmenge. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass niemand gestorben ist. Die Polizei behauptete allerhand wilde Geschichten, etwa, dass deutsche Terroristen die Auseinandersetzungen geplant und angeführt hätten. Ich bin einen Tag später von Zivilpolizisten auf dem Weg nach Hause festgenommen worden.

Wie ging es weiter?

Ich war dann im Gefängnis. Und da blieb ich auch. Durch die Falschaussage eines Undercoverpolizisten wurde ich wegen »Landfriedensbruch« und dem »Versuch der gefährlichen Körperverletzung« an einem angreifenden Polizisten verurteilt. Der Staatsanwalt hantierte im Prozess mit absurden Strafmaßen, forderte zwischenzeitlich 16 Jahre Haft, ging dann aber im Laufe des Prozesses »gnädig« auf drei bis vier Jahre herunter. Letztendlich bin ich dann zu zwei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Und, auch wenn mein anarchistischer Stolz an dieser Stelle rebelliert, muss ich gestehen, dass ich wegen »guter Führung« bereits nach ' 14 Monaten Knast nach Deutschland abgeschoben wurde.

Würden Sie heute, 20 Jahre später, wieder zu den Protesten fahren?

Ja. Ich habe nach wie vor ein antagonistisches Verhältnis zum Staat, zum Kapital und zur Nation und finde es skandalös, dass die Welt als »fortwährendes Blutbad«, wie es die Autoren Michael Hardt und Antonio Negri nennen, eingerichtet ist. Naturgemäß sehe ich zwanzig Jahre später vieles differenzierter und würde einiges auch anders machen. Das liegt aber nicht an einer »erfolgreich« verlaufenden Befriedung oder Resozialisierung durch das Gefängnis, sondern an einer Veränderung in meinem Verständnis von Gesellschaft und Revolution. Und - selbst, wenn das jetzt etwas pathetisch klingt, - ich erinnere mich sehr gerne an diese »revolutionäre Hoffnung«, die mich nach Schweden begleitet hat. Sie ist nie ganz verschwunden.

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