- Wirtschaft und Umwelt
- Medikamente gegen Corona
Heilmittel dringend gesucht
Weiterhin nur wenige Medikamente gegen Covid-19 entwickelt oder zugelassen
Vergleicht man das Medienecho um Corona-Impstoffe und -Impfungen mit jenem um Medikamente zur Behandlung von Covid-19, ist es in Sachen Therapien schon fast beängstigend still. Bis April dieses Jahres wurden jedoch weit über 200 bereits zugelassene oder für andere Indikationen in Entwicklung befindliche Substanzen auf eine Wirksamkeit gegen Covid-19 getestet. Dabei zeigten über 95 Prozent der Kandidaten keine oder nur minimale Effekte. Andere Quellen sprechen aktuell von der Prüfung von mehr als 600 Medikamenten. Insgesamt scheint der Kampf gegen die neuartigen Coronaviren zwar nicht aussichtslos, aber ebenso wenig wie gegen die meisten anderen Virenerkrankungen ist bis jetzt ein spezifisches, hoch wirksames Mittel gegen Sars-CoV-2 in Sicht.
Seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde Anfang Juli das Medikament Tocilizumab für schwer an Covid-19 Erkrankte empfohlen. Bislang wird es exklusiv vom Schweizer Pharmakonzern Roche hergestellt. Tocilizumab gehört zu den monoklonalen Antikörpern (mAbs), die zur Behandlung unter anderem von Krebs eingesetzt werden. Das Mittel kam 2009 zur Therapie rheumatologischer Erkrankungen auf den Markt, der Preis wurde schon in dieser Konstellation hoch gehalten. Die Herstellungskosten werden auf 40 US-Dollar pro Dosis von 400 Milligramm geschätzt - in den USA erlöste Roche für eine Dosis von 600 Milligramm 3625 US-Dollar, nur ein Sechstel davon hingegen in Australien. Hier gibt es also einen Spielraum. Entsprechend forderte etwa die Organisation Ärzte ohne Grenzen, dass das Mittel während der Pandemie günstiger verkauft werden solle. Denn ohne einen solchen Nachlass wäre es in vielen Ländern der Welt unbezahlbar.
Tocilizumab ist nach Dexamethason erst das zweite von der WHO empfohlene Therapeutikum zur Behandlung von Covid-19. Weitere mAbs werden derzeit auf ihre Tauglichkeit für die Corona-Therapie untersucht. Der US-Pharmakonzern Regeneron konnte kürzlich in einer klinischen Studie zeigen, dass ein Cocktail von zwei neuen antiviralen mAbs das Sterberisiko bei bestimmten hospitalisierten Covid-19-Patienten senkt. Der Mix wurde in Deutschland für etwa 2000 US-Dollar angeboten, in den Indien kostete er nur halb so viel.
Dexamethason gilt aktuell als Standardmedikation für schwer Erkrankte, die beatmet werden müssen. Das Kortikosteroid ist in der EU von den nationalen Arzneimittelbehörden zugelassen und seit mehreren Jahrzehnten erhältlich. Es diente vor der aktuellen Pandemie zur Therapie von Entzündungskrankheiten und zur Dämpfung der körpereigenen Immunantwort bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen.
Der Gerinnungshemmer Heparin gegen Thrombosen, die bei bis zu 40 Prozent der stationär aufgenommenen Patienten auftreten, gehört ebenfalls zum Standard, aber nicht nur bei Covid-19-Fällen, sondern häufig, wenn Gefäßverschlüsse drohen. Im Zusammenhang mit der Beatmung von Corona-Patienten sind in den Krankenhäusern über 70 verschiedene Wirkstoffe im Einsatz, darunter Medikamente zur Muskelentspannung sowie Schmerz- und Narkosemittel. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung werden in der Regel Symptome behandelt, nicht die ursächlichen Viren bekämpft.
Bewährt hat sich international der frühe Einsatz antiviraler Therapien schon bei den ersten Symptomen, wenn die Viruslast hoch ist. Später, wenn die Entzündung dominiert, haben diese Mittel kaum noch einen Effekt. Große Hoffnungen wurden hier auf das in der EU zugelassene Remdesivir gesetzt. Eine aktuelle Studie aus den USA zeigte jedoch, dass das Virostatikum keinen Einfluss auf das Überleben schwer erkrankter Covid-19-Patienten hat. Dazu wurden die Erkrankungsfälle von über 2000 US-Kriegsveteranen zwischen Mai und Oktober 2020 ausgewertet.
Weitere Kandidaten unter den antiviralen Medikamenten waren das Gichtmittel Colchicin (bisher mit widersprüchlichen Studienergebnissen) und das Antiparasitikum Ivermectin, das regulär gegen Fadenwürmer und Krätzmilben eingesetzt wird. Zwar konnte Ivermectin Sars-CoV-2 abtöten - allerdings nur in Laborstudien, das heißt allein im Reagenzglas. Hoffnungen rund um Ivermectin konnten bislang in Studien mit erwachsenen Covid-19-Patienten nicht bestätigt werden. Sowohl die Europäische Arzneimittelagentur als auch die WHO raten aktuell vom Einsatz zur Behandlung von Covid-19 ab. Erst vor wenigen Tagen musste eine viel zitierte ägyptische Studie zu Ivermectin zurückgezogen werden. Unter anderem enthielt sie Textplagiate, zudem waren starke Widersprüche zwischen den Rohdaten und der veröffentlichten Zusammenfassung nachweisbar, wie der britische »Guardian« berichtete.
Noch in der Erprobung unter den bereits zugelassenen oder in Entwicklung befindlichen Medikamenten sind nicht nur fünf Influenzamittel, sondern auch Therapeutika aus dem kardiovaskulären Bereich, wie weitere Gerinnungshemmer und Blutdrucksenker. Ebenso überprüft werden etliche Immunsupressiva, darunter auch solche, die für den Kampf gegen HIV vorgesehen sind.
Sprays gegen Asthma oder die chronische Lungenkrankheit COPD gehören zu den jüngeren Hoffnungsträgern: Budesonid ist einer der Bestandteile von solchen Inhalatoren. In der Fachzeitschrift »The Lancet Resipiratory Medicine« wurde im Frühjahr eine Studie veröffentlicht, nach der Budesonid bei Einsatz im Frühstadium von Covid-19 geeignet ist, die Zeit bis zur Genesung zu verkürzen und die Zahl schwerer Verläufe zu verringern. Jedoch sei die Studie zu dem entzündungshemmenden Cortisonpräparat noch nicht aussagekräftig genug, warnen deutsche medizinische Fachgesellschaften.
Zu den Substanzen, die explizit für die Covid-19-Indikation entwickelt werden, gehört auch Vilobelimab. Es soll Entzündungsprozesse stoppen, indem es eine bestimmte Proteinkomponente des menschlichen Immunsystems blockiert. Andernfalls würden eigene Gewebe angegriffen und Organe geschädigt. Entwickler dieser Antikörpertechnologie ist das Unternehmen InflaRx aus Jena. Es startete 2020 eine globale Studie mit 360 Patienten, für die Ende 2021 Daten erwartet werden. Vilobelimab ist übrigens die einzige der neuen Substanzen, die aus Deutschland stammt.
In Deutschland beziehungsweise in der EU sind bislang zur Behandlung von Covid-19 nur Remdesivir und Dexamethason zugelassen. Eine einstellige Zahl von Antikörpern besitzt eine Notfallzulassung. Zwei immundämpfende Mittel befinden sich im Zulassungsverfahren. Jenseits der Zulassung können Medikamente nur im Rahmen von Studien oder »off label« eingesetzt werden. Letzteres heißt, dass Ärzte Mittel, die bereits gegen andere Krankheiten zugelassen sind, im Einzelfall auch anderweitig verschreiben können, also etwa gegen Covid-19. Die Kosten müssen in der Regel von den Patienten selbst getragen werden, für Nebenwirkungen haften die Hersteller nicht.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.